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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Hans Vent: Leiber aus Farbe und Form

Alle Kunst beginnt für ihn beim Men­schen, aber nicht bei des­sen äuße­ren Erschei­nung. Dem Ber­li­ner Maler Hans Vent geht es nicht um die Fort­füh­rung einer künst­le­risch bedeu­tungs­los gewor­de­nen Tra­di­ti­on: der weib­li­che Akt als Schön­heits­ide­al, als Sex-Sym­bol. Für ihn wur­de die nack­te Gestalt, der Kopf, das Gesicht, ver­ein­zelt oder im span­nungs­vol­len Mit­ein­an­der, zum Aus­drucks­trä­ger. Der Kör­per ist in stark ver­ein­fach­te rhyth­mi­sche For­men zer­legt, brei­te Farb­ge­sten, Farb­la­gen ent­ste­hen durch das Vor- und Zurück­schwin­gen des far­ben­trie­fen­den Pin­sels. Das Bild scheint abstrakt, obwohl die Pin­sel­bah­nen sich zu Figu­ren, zu Köp­fen (nicht zu Por­träts) zusam­men­fü­gen. Figur und Mal­ge­ste sind eins mit dem dyna­mi­sier­ten Bild­grund. Die wie impro­vi­siert wir­ken­den Bil­d­ober­flä­chen Vents sind das genaue Gegen­teil des kur­zen und tup­fen­den Pin­sel­duk­tus im ana­ly­ti­schen Kubis­mus, sie unter­schei­den sich aber auch von den tumul­tua­ri­schen Pin­sel­stri­chen des nie­der­län­di­schen US-Ame­ri­ka­ners Wil­lem de Koo­ning, mit dem die­ser einen Abwehr­ef­fekt erzie­len woll­te. Des­sen »Woman«-Bilder sind ange­sie­delt zwi­schen Ata­vi­sti­schem und Tri­via­lem. Vents Akte haben auch nichts mit Fran­cis Bacons kli­ni­scher Betrach­tung des mensch­li­chen Kör­pers als Objekt ohne jede Intim­sphä­re zu tun. Sei­ne Male­rei der Neu­en Expres­si­vi­tät ist als ästhe­ti­sches Gegen­pro­gramm zu ver­ste­hen: Er setzt dra­ma­ti­sche Konfliktzeichen.

Vor einem Jahr – kurz vor sei­nem 84. Geburts­tag – starb Hans Vent, einer der Mit­be­grün­der der (Ost-)Berliner Maler­schu­le, die es als »Schu­le« gar nicht gege­ben hat. »In memo­ri­am Hans Vent« zei­gen jetzt zwei Ber­li­ner Gale­rien Gemäl­de, far­bi­ge Arbei­ten auf Papier, Radie­run­gen, aber auch Kacheln und Skulp­tu­ren vor allem aus den letz­ten drei Jahr­zehn­ten des Künstlers.

Wie absichts­los lässt Vent sei­ne Gestal­ten und Köp­fe aus dem Amor­phen auf­tau­chen. Sie tre­ten aus der Mate­rie her­vor und ver­schwin­den wie­der. Es sind hal­lu­zi­na­to­ri­sche Figu­ren­bil­der, beun­ru­hi­gend und bedrän­gend, dro­hend und ver­häng­nis­voll, zer­stö­re­risch und quä­lend, dann aber auch wie­der ver­söh­nend, ein­an­der Schutz gebend. Mit­un­ter wie­der­ho­len sich die Figu­ren – wie die Gesich­ter – echo­ar­tig in par­al­le­len, aber auch kon­fron­ta­ti­ven, doch immer wie­der ihre Form neu defor­mie­ren­den Erschei­nun­gen. Zu der End­lich­keit der Aus­deh­nung – die Figu­ren und Köp­fe erschei­nen mit­un­ter wie klau­stro­pho­bisch im Bild­rah­men ein­ge­zwängt – steht die Ver­tie­fung des Farb­er­eig­nis­ses schein­bar im Kon­trast durch die häu­fi­ge Tur­bu­lenz der Abstu­fun­gen, Durch­drin­gun­gen und Über­schnei­dun­gen. Doch nur schein­bar, denn alle Töne wer­den an eine gemein­sa­me Farb­ska­la gebun­den. Vent führt den Bild­raum dann auch wie­der durch irra­tio­na­le gegen­stands­freie Far­ben in abrup­te Tie­fen – so in sei­nen Land­schaf­ten, sei­nen »Figu­ren am Strand« –, aus denen er aber sofort wie­der in die vor­der­ste Ebe­ne hin­über­glei­tet. Kon­zen­tra­tio­nen, Defor­ma­tio­nen, Abdrän­gun­gen, Erhel­lun­gen, Ver­fin­ste­run­gen bestim­men das Sein. Erschreckend gleich­zei­tig, wie die Figu­ren und Gesich­ter – ein­an­der zu- oder auch abge­wandt – reagie­ren. Wie sie zufäl­lig zusam­men­kom­men und im näch­sten Augen­blick wie­der zer­flie­ßen. Es sind Begeg­nun­gen eines Erleb­nis­mo­ments. Doch jedes Moment bricht mehr­fach aus dem glei­chen Moment her­vor. Die psy­chi­sche Wirk­lich­keit über­strömt die äuße­re Rea­li­tät mit unauf­halt­sa­mer Inten­si­tät. Als vor­der­grün­di­ge Gefühls­la­ge wird aber der phy­sio­gno­mi­sche Aus­druck sug­ge­riert. In den Gesich­tern, die wie Zerr­spie­gel anmu­ten, spürt der Maler dem abgrün­di­gen Sein nach. Das Lächeln gerinnt zu einem gri­mas­sie­ren­den Aus­druck, Wut, Zorn und Empö­rung stei­gern sich zur Bös­ar­tig­keit. Man­che Phy­sio­gno­mien gera­ten zu Kari­ka­tu­ren ihrer selbst. Vent hat ein Gefühl für den Nerv der Zeit, für die Kri­sen­si­tua­ti­on einer Gesellschaft.

Das Ver­hält­nis zu den Farb­räu­men, auch zu den Schat­ten, wel­che die Figu­ren wer­fen, die sich vom Hin­ter­grund lösen und zwi­schen die Figu­ren ein­drin­gen, die Ver­schmel­zung von Männ­li­chem und Weib­li­chem aus dem anfäng­li­chen Gegen­über in das Inein­an­der einer neu­en Figu­ra­ti­on, das alles sind die Rät­sel, die dem Krea­tür­li­chen auf­ge­ge­ben sind und die nicht allein aus dem Bewusst­sein bewäl­tigt wer­den kön­nen. Es sind Arche­ty­pen eines intel­lekt­be­ton­ten, von Kör­per und Natur ent­frem­de­ten Menschseins.

Beun­ru­hi­gend und bedrän­gend, dann aber auch wie­der besänf­ti­gend und auf Aus­gleich bedacht sind Vents Arbei­ten – eine Spra­che von uner­hör­ter Sen­si­bi­li­tät. Das wie­der­ge­fun­de­ne Men­schen­bild – ein objet trou­vé – ist auf ganz neue Art wie­der Teil eines pro­zes­sua­len Kunst­pro­jekts geworden.

»Hans Vent. Der ande­re Blick – Male­rei, Zeich­nung, Skulp­tur«, Gale­rie Forum Ama­li­en­park, 13187 Ber­lin, Brei­te Stra­ße 2 a, Di – Fr 14 – 19 Uhr, Sa 11 – 16 Uhr, bis 30. März. – »In memo­ri­am Hans Vent«, Gale­rie der Ber­li­ner Gra­phik-Pres­se, 10247 Ber­lin, Sil­vio-Mei­er-Stra­ße 6, Mi – Fr 13 – 18.30 Uhr, Sa 11 – 15 Uhr, bis 26. April.