Die Hansestadt Hamburg verfügt über das weltweit größte Bismarck-Denkmal. Knapp 35 Meter misst es und überragt die Häuser an der Hamburger und der Altonaer Seite der alten Wallanlagen. Die Firma Kärcher hat es in mehrwöchiger Arbeit von allem Schmutz der Zeit freigespült. Dieser Bismarck aus Granitporphyr-Blöcken wurde von den meist alldeutsch gesinnten Bürgermeistern und Senatoren, den Reedern, Bankiers und Fabrikherren der Hansestadt gespendet und im Juni 1906 feierlich eingeweiht. Im Oktober des gleichen Jahres besetzte der Schuhmacher Wilhelm Voigt als verkleideter Hauptmann das Rathaus von Köpenick mit einem Trupp Garde- und Wachsoldaten, die er vorher »unter seinen Befehl gestellt« hatte. Er ließ sich die Stadtkasse übergeben, prüfte, quittierte und fuhr dann im Zug davon. Seine Aktion brachte das Kaiserreich und Bismarcks politisches Lebenswerk auf den Punkt: Die Uniform war Obrigkeit und Exekutive, die Armee der Staat im Reich. Der Hauptmann hatte ungeprüft jede Befehlsgewalt.
Meine erste Bekanntschaft mit dem Hamburger Bismarck ist lange her. Es muss 1961 gewesen sein. Ich war gerade 18 und hatte mutig auf meiner ersten Tramp-Tour Hamburg erreicht. Ein freundlicher LKW-Fahrer ließ mich in der Nähe des Bismarck-Denkmals raus, damit ich zur nahegelegenen Jugendherberge kommen konnte – so viel hatte ich gerade noch herausgehört. Das monströse Monument geriet in meinen Blick. Erst erkannte ich das riesige Schwert, dann dahinter den grobkonturierten Umhang und den Mann. Ich vermutete, dass hier ein mittelalterlicher Recke dargestellt wurde (las aber auch keine vielleicht irgendwo vorhandene Inschrift).
Die zweite Bekanntschaft mit dem Hamburger Bismarck machte ich um 1968. Da hatte ich mich schon etwas mehr mit deutscher Geschichte befasst und war der Meinung, die deutschen Weltkriege und ihre Vorgeschichte erlaubten solche Schwert- und Recken-Denkmäler nicht mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten sie entsorgt – was aber bei einem Monument dieser Größe die Fähigkeiten der Rebellierenden in der 68er Zeit bei weitem überstieg.
Inzwischen war ich es gewohnt, bei meinen Hamburg-Besuchen gelegentlich auf den Riesen-Bismarck zu treffen. Und ich freute mich, dass der »Zahn der Zeit« an dem Koloss nagte: die Erosion durch Wind und Regenwasser (letzteres war bis in den Fundamentbereich aktiv), das Leben mit Pflanzen, Blaualgen, Moosen, Flechten und die Gesellschaft mit Graffiti in allen Qualitäten. Doch nun wird er mit neun Millionen Euro aufgefrischt. Da kommt einem notwendig die deutsche Geschichte hoch.
Bismarck, die Ikone deutsch-bürgerlicher Vergangenheit, war von Hause aus ostelbischer Junker mit »verwaltungsbürgerlicher« Mutter. Er politisierte sich im ultramonarchistischen Junkermilieu. 1862 mit nicht einmal 50 Jahren ernannte Preußens König Wilhelm I. ihn zum Ministerpräsidenten. Er war ein Not-Kandidat.
Der König schwankte damals zwischen depressivem Rücktritt und »Draufhauen«, wie seine Generale forderten. Der Grund: Die bürgerlichen Parteien der zweiten Kammer des Preußischen Abgeordnetenhauses wollten partout kein Geld für die Heeresreform freigeben. Dabei nutzten sie das eingeschränkte Budgetrecht der vom König gegebenen Verfassung. Sie fürchteten die Stärkung des Berufsheeres, das dann noch leichter als 1848 gegen die Berliner Bürger eingesetzt werden könnte.
Bismarck fand einen Ausweg, der war klar verfassungswidrig: Am Parlament vorbei beschaffte er Geld für die Armeereform. Diese Armee durfte dann 1864 im Verbund mit österreichischen Soldaten die schwächeren Dänen auf den Düppeler Schanzen in Holstein besiegen. Das wollte schon die deutsche Nationalbewegung von 1848.
Zwei Jahre später gelang es ihm, den Konflikt mit Österreich um die Vorherrschaft im Deutschen Bund hochzukochen und 23 norddeutsche Staaten und freien Städte hinter der preußischen Armee zu versammeln. Die siegte bei Königgrätz. Jubelnde Berliner Bürger im nationalen Hochgefühl füllten Straßen und Plätze. In der zweiten Kammer verabschiedeten die Parteien daraufhin das »Indemnitätsgesetz«. Es sprach Bismarck und König vom jahrelangen Verfassungsbruch wegen der Armeereform frei. Damit hatte die Fortschrittspartei das Rechtsstaatsprinzip als wichtiges Verfassungsideal des liberalen Bürgertums in der Revolution von 1848 verraten. Viele ihrer Abgeordneten wollten noch mehr Bismarck-Politik. Sie spalteten sich ab und gründeten die Nationalliberale Partei.
Dann kam 1871 und der Sieg über Frankreich. Der preußische König wurde in Paris mit Zustimmung der süddeutschen Fürsten zum deutschen Kaiser gekrönt. In Berlin und allen deutschen Landen war die nationale Begeisterung grenzenlos. Die preußische Armee umgab nun ein Glorienschein, und der König/Kaiser schenkte dem Volk eine von Bismarck redigierte Reichsverfassung. Sie behielt die Diktatur von Kaiser und Armee bei, aber gab ihr eine parlamentarisch-demokratische Hülle. Und zum Entsetzen der Generäle und Bürger erlaubte sie sogar die Teilnahme »des Pöbels« – jedenfalls soweit dieser männlich war – an den Wahlen.
Bismarck regierte den neuen Staat mit der Propagierung wechselnder Feindbilder. Erst ging es für Fortschritt gegen Papsttum, also mit den Liberalen gegen die Katholischen des Zentrums. Dann mit allen Konservativen und Bürgerlichen gegen die Sozialdemokraten, um die Arbeiter still zu halten. Das gelang trotz der Unterdrückung durch die Sozialistengesetze nicht. Bismarck beruhigte die streitenden Kapital- und Agrarinteressen mit den Zollgesetzen von 1879. Die waren gegen Russlands Getreideverkäufe und Englands Industrie gerichtet und verstärkten Differenzen mit Deutschlands Nachbarn.
Im Inneren wuchs trotz heftiger Polizeistaatsunterdrückung mit der Sozialdemokratie eine neue Kraft heran, die Adel und Bürger fürchteten. Mit jeder Reichstagswahl wurde sie stärker. Auch soziale Zugeständnisse machten aus den Arbeitern keine Bürger. Bismarck wollte mehr Verbote, Gefängnis und Unterdrückung der Sozialisten – bis zu seiner Entlassung 1890 durch den neuen Kaiser Wilhelm II.
Bismarck schürte mit der Macht der Armee im Rücken die Klassengegensätze: Die Saat ging auf. Die Bürger forderten weitere Kolonien und eine größere Flotte, die Englands Herrschaft der Meere begrenzen konnte, der Adel mehr Erleichterungen für die Landwirtschaft, die Arbeiter mehr Lebensqualität und Rechte statt der 60-Stunden-Woche. Wilhelm II. besann sich auf das große Schwert. Er erklärte seine Suite des Berliner Schlosses zu seinem königlichen Hauptquartier und umgab sich mit Soldaten.
Deutschland forderte einen Platz an der Sonne, und die Nachbarn fürchteten sich. Die Armee wurde aufgerüstet und vom Generalstabschef ein wunderbewirkender Plan erarbeitet: Mit diesem (geheimen) Schlieffen-Plan konnten die Nachbarn Frankreich und Russland an 1000 Kilometer auseinanderliegenden Fronten besiegt werden. Die Armee musste dafür »nur« durch Belgien, dem England und Deutschland die Neutralität garantierten, nach Frankreich marschieren.
Wer – außer den verabscheuten Linkssozialisten à la Luxemburg oder Liebknecht – hätte damals schon bezweifelt, dass die glorreiche Armee, die die deutsche Einheit geschaffen hatte, auch weitere militärische Wunder vollbringen könnte? Zumal sie ja die längsten Kanonen, die größten Panzerschiffe und die selbstbewusstesten Offiziere hatte! Der Kaiser beriet sich mit Generalstab, Militär- und Marinekabinett, mit dem Kriegsminister und auch mit seinem zivilen Kanzler. Es wuchs die Furcht der Herrschenden vor Sozialdemokraten und Arbeitern als der großen Gefahr im Inneren. Würden bei einer Wirtschaftskrise wieder Barrikaden in Berlin gebaut wie vor 50 oder 60 Jahren? Die Armee mit ihren adeligen Offizieren sah sich jedenfalls als Fels der Sicherheit in der Brandung und als das Schwert des Kaisers, das eingesetzt werden wollte – auch zu einem Putsch gegen das Parlament waren viele Generäle bereit.
Zur gleichen Zeit als die honorigen Verehrer Bismarck das Hamburger Denkmal spendeten und bauten, schürten sie mit ihrem Alldeutschen Verband (Bismarck war Ehrenmitglied gewesen) übelsten Rassismus, Antisemitismus, kultivierten Autoritarismus und glaubten an das Konzept eines Sozialdarwinismus, der Darwins Theorie als antidemokratische politische Gewaltideologie auf den Kopf stellte. Die von Bismarcks skrupelloser Politik hinterlassene Gesellschaft drehte sich in einem Strudel imperialistischer Weltsichten, obwohl Bürger, Industrie, Wirtschaft, Wissenschaften und Kultur sich in nie zuvor erreichtem Wohlstand und Höhen spiegelten. Aber die Furcht vor der Unterschicht ging um. Heinrich Manns Roman »Der Untertan« wurde verboten. Ein Krieg erschien als Hoffnung auf »Mannestat« und Befreiungsschlag. Der Juli 1914 bot den Mächtigen die Chance, nach den langjährigen Militärplanungen die inneren und äußeren Konflikte »siegreich« zu lösen.
Was hat das alles mit dem Hamburger Bismarck-Denkmal zu tun? Tatsächlich viel! Das überdimensionierte Schwert bemisst sich auf 60 Prozent der Länge der Figur. Da haben Künstler und Architekt keinen mittelalterlichen Roland nachempfunden, sondern ein Monument wilhelminisch-völkischer Neoklassik geschaffen, in Stein geschlagenen Autoritarismus.
Denn es symbolisiert ausdrücklich die undemokratische Gewaltmentalität, den unbedingten Herrschaftsanspruch von Adel und Bürgern und die Quintessenz des bismarckschen Politikverständnisses: Nicht durch Reden und Beschlüsse, sondern durch Blut und Eisen werden politische Tatsachen geschaffen (Bismarck-Rede von 1862)! Wollen wir das wirklich restaurieren? Soll wieder das national-konservative »Hau-Drauf« zum Leitgedanken werden? Fällt einem rot-grünen Senat da nichts Besseres ein? Jahrzehnte lang stand am Standort des Bismarck-Denkmals ein Ausflugspavillon, in dem sich 1848 die liberalen, revolutionär gesonnenen Bürger und später die demokratisch und sozialistisch orientierten Arbeiter trafen. Sind das keine Traditionen, an die anzuknüpfen heute wertvoll wäre?
Die Hohlräume unter Denkmal und Sockel bergen noch eine weitere Vergangenheit. Ende der 1930er Jahre bauten die letzten braunen Weltkrieger dort einen Luftschutzbunker mit zusätzlichen Betonwänden und Decken. Vermutlich schon in den Jahren zuvor durften sich nationalistische, völkische und faschistische Nachfahren der Alldeutschen in den Bismarckkatakomben ein Stelldichein geben. Sie dekorierten Wände und Decken mit Sonnenrad, Reichsadler und Hakenkreuz. Eine Bombe verfehlte dann das Denkmal um wenige Meter.
Nicht Bismarck selbst, aber die Blut- und Eisen-Tradition, die er verkörpert und die seine alldeutschen Verehrer und ihre braun- und national-deutschen Nachfolger bis in die Gegenwart hochhielten und -halten, hat uns und Europa schlimmste Katastrophen gebracht. Heute ist angezeigt, mit dieser Tradition zu brechen, statt wieder an sie anzuknüpfen. Das gegen England präsentierte Schwert mit dem Recken dahinter darf uns nicht in weitere Jahrzehnte begleiten.
Der Zweite Weltkrieg mit Bunkereinbau und Bombeneinschlag ist Teil der Bauwerksgeschichte und sollte sich außen im Denkmal wiederfinden. Ein solches Denkmal muss den Bruch mit der Vergangenheit zeigen, indem es selbst gebrochen ist, der Mann, das Schwert – dürfen nur noch Stückwerk sein. Vergangenheit sind ja beide, Zukunft sollten sie nicht sein. Das umzusetzen ist eine lösbare künstlerische Herausforderung. Kunsthallen-Gründer Alfred Lichtwark nannte das Denkmal einst ein »peinvoll stilisiertes Götzenbild«.
Die Gegenrede vom Denkmalschutz ist eine schlechte Ausrede. Bereits 1961 war die Verarbeitung der Kriegserlebnisse soweit gediehen, dass der Bismarck zugunsten von Planten un Blomen entfernt und durch einen Pavillon ersetzt werden sollte, was aber mit einer schnellen Unterschutzstellung verhindert wurde. Aktuell zeigt Hamburg, wie politisch Denkmalschutz ist. Die alte Altonaer Sternbrücke wollen Anwohner und Denkmalschützer erhalten. Aber der Politik reichte die finanzielle Gegenrede der Bahn, um für Abriss und Neubau zu plädieren – bis dann doch der Ärger der Anwohner eine Meinungsänderung anstieß.
Ist der Bismarck dem Senat heilig? Zur Bemäntelung der weiteren Pflege der autoritären Bismarcktradition mit diesem Denkmal hat die Kulturbehörde ein kleines Museum im Sockel angedacht. Doch das kann eine tatsächliche Veränderung des Denkmals nicht ersetzen. Als Begleitdarstellung zum Denkmal würde es für Besucher lediglich die Aufgabe eines Alibis, der Vermittlung von Verdeckungsideologie, gegenüber der Geschichte und der Intention des Bauwerks übernehmen können.
Reinhard Kölmel leitete 23 Jahre lang ein NaturMuseum an der Elbmündung. Seit 2009 ist er Rentner und freiberuflich tätig. Zuletzt erschien von ihm der »Naturführer Nordsee«, Wachholtz-Verlag, 192 Seiten, 14,80 €.