Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Halleluja! Der Vatikan verkündet weiterhin Wunder

Madon­nen, die blu­ti­ge Trä­nen wei­nen, Men­schen, die Jesu Lei­dens­ma­le an Hän­den und Füßen tra­gen, Prie­ster, die Ster­bens­kran­ke hei­len und böse Gei­ster aus­trei­ben – das alles klingt nach fin­ste­rem Mit­tel­al­ter und ist doch Rea­li­tät in der katho­li­schen Kir­che des 21. Jahr­hun­derts. Für Chri­sten sind Wun­der Zei­chen gött­li­chen Wir­kens. Ein Fin­ger­zeig. Ein Hoffnungs-Versprechen.

Seit Jahr­hun­der­ten ver­fügt die katho­li­sche Kir­che sogar über eine Fach­ab­tei­lung für Wun­der. Es ist die Selig- und Hei­lig­spre­chungs-Kon­gre­ga­ti­on des Pap­stes. Hier prü­fen Medi­zi­ner, Natur­wis­sen­schaft­ler und Theo­lo­gen, wel­che Men­schen in den Hei­li­gen­stand beför­dert wer­den sol­len. Die »Hall of Fame« der Kir­che. Ein­lass erhal­ten Män­ner und Frau­en, die Wun­der bewirkt haben. Das soge­nann­te Mar­ty­ro­lo­gi­um Roma­num, das »Who is who« katho­li­schen Spit­zen­per­so­nals, umfasst der­zeit 6650 Seli­ge und Hei­li­ge sowie mehr als 7400 Mär­ty­rer. Wei­te­re Aspi­ran­ten war­ten auf Auf­nah­me. Für den Pro­zess der Hei­lig­spre­chung ist ein Wun­der nötig, das auf die Für­spra­che des Ver­stor­be­nen zurück­zu­füh­ren ist. Ist das nicht der Fall, wird es mit dem Wun­dern mit­un­ter schwie­rig. In Grenz­fäl­len hat der Papst das letz­te Wort.

Mit den Wun­dern ist es ja ohne­hin so eine Sache. Neh­men wir die »Mari­en­er­schei­nung«: Die Hälf­te aller welt­weit »bestä­tig­ten« Erschei­nun­gen haben bis­her – war­um auch immer? – vor allem in Frank­reich und Bel­gi­en statt­ge­fun­den, ver­ein­zelt auch in Polen und Tsche­chi­en. War­um die Mut­ter Got­tes aus­ge­rech­net in die­sen Fleck­chen des Glo­bus immer wie­der eine Stipp­vi­si­te gemacht hat, wis­sen selbst die Wun­der-Advo­ka­ten nicht so recht. Sei‘s drum! Wer sich auf die Suche nach Ant­wor­ten macht, ist wie bei allen Wun­der-Recher­chen ohne­hin gut bera­ten, auf eines zu ver­zich­ten: auf Ver­nunft und Ver­stand. Wich­tig ist allein ein uner­schüt­ter­li­cher Glau­be. Das ist der Schlüs­sel zum Hei­li­gen Geist und zur ewig wäh­ren­den himm­li­schen Glück­se­lig­keit. Wer nicht an gött­li­che Wun­der glaubt, muss heu­te nicht mehr um Aus­schluss und Ver­damm­nis fürch­ten. Vor­bei die Zei­ten, als die katho­li­sche Kir­che den Wis­sen­schaf­ten arg­wöh­nisch fas­zi­niert beim ratio­na­len Den­ken zusah – und ver­such­te zu ent­schlüs­seln, was es damit zum Teu­fel auf sich hat. Dass es ihre eige­nen Ansprü­che auf Welt­erklä­rung in Fra­ge stellt, leuch­te­te ihr von Anfang an ein. Daher warf die hei­li­ge Kir­che Wis­sen­schaft­ler – als Ket­zer, Zweif­ler und abtrün­ni­ge Den­ker gebrand­markt – in Ker­ker, schick­te sie in die Ver­ban­nung oder gleich auf den Scheiterhaufen.

Ungläu­bi­ge und Gläu­bi­ge müs­sen heu­te – zumin­dest in unse­ren Brei­ten­gra­den – mit­ein­an­der aus­kom­men. Die Kir­che ver­liert an Ein­fluss, Deu­tungs­macht und Mit­glie­der. Doch am Wun­der-Mono­pol hal­ten die Glau­bens-Advo­ka­ten fest. Der Pil­ger-Markt wird straff orga­ni­siert und ver­wal­tet. Ein lukra­ti­ves Geschäfts­mo­dell – ein wun­der­sa­me Geld­ma­schi­ne. Und so gibt es nah und fern Wun­der-Hot­spots, zu denen die hoff­nungs­fro­he Chri­sten­schar unauf­hör­lich strömt: ins baye­ri­sche Alt­öt­ting, dem bedeu­tend­sten Mari­en­wall­fahrts­or­tes im deutsch­spra­chi­gen Raum, wohin jähr­lich rund eine Mil­li­on Pil­ger kom­men, um der soge­nann­ten »Schwar­zen Madon­na« ihre Sor­gen und Nöte mit­zu­tei­len, aber auch ihren Dank zu über­brin­gen. Ins süd­fran­zö­si­sche Lour­des zieht es Hun­dert­tau­sen­de, wo im Jahr 1858 Ber­na­dette Sou­bi­rous nahe einer Grot­te mehr­fach die Got­tes­mut­ter Maria erschie­nen ist, oder nach Lore­to, einem Wall­fahrts­ort in Ita­li­en, wohin der Legen­de nach Engel das »Hei­li­ge Haus« tru­gen, in dem Maria, die Mut­ter Jesu, gebo­ren wur­de und gelebt haben soll. Im Ran­king der Wun­der-Hot­spots behaup­tet sich auch Tschen­sto­ch­au auf den vor­de­ren Plät­zen, so etwas wie das katho­li­sche Natio­nal­hei­lig­tum Polens. Hier wird seit dem Jahr 1384 das Bild­nis einer wei­te­ren »Schwar­zen Madon­na« ver­ehrt. Eben­falls Fati­ma in Por­tu­gal, wo Maria am 13. Mai 1917 drei Hir­ten­kin­dern erschien und sich ein Son­nen­wun­der vor zehn­tau­sen­den anwe­sen­den Men­schen ereig­net hat. Fati­ma zählt mitt­ler­wei­le zu einem der wich­tig­sten Wall­fahrts­or­te der katho­li­schen Kirche.

Wir dür­fen fest­hal­ten: Maria war eine umtrie­bi­ge Frau, eine rast­lo­se Glo­be­trot­te­rin. Land­auf, land­ab ist sie den from­men Men­schen ganz nahe­ge­kom­men, hat sie ver­zau­bert, erschüt­tert und zu Trä­nen gerührt – vor­nehm­lich in katho­li­schen Gegen­den, gern in süd­li­chen Gefil­den. Gänz­lich gemie­den hat sie Nord­eu­ro­pa, viel­leicht weil es ihr dort zu kalt war. Maria jeden­falls ist ein Dau­er-Hit, eine Hoff­nungs-Spen­de­rin, die, wo immer sie in Erschei­nung tritt, Men­schen in ihren Bann zieht. Sie alle dür­fen auf gött­li­che Gna­de, auf Hei­lung und Begeg­nung hof­fen – auf ein Zei­chen vom lie­ben Herr­gott oder ande­rem himm­li­schen Trö­stungs-Per­so­nal. Jun­ge Frau­en und alte Män­ner wer­den also auch künf­tig von Begeg­nun­gen mit dem Gött­li­chen berich­ten und ihre spon­ta­nen Hei­lungs­ge­schich­ten ver­kün­den. Der feste Glau­be hilft dabei.

Ob es eine Mari­en­er­schei­nung tat­säch­lich gab, eine Sta­tue wirk­lich Blut geweint hat oder eine Reli­quie eine schwer kran­ke Per­son geheilt hat? Letzt­lich ent­schei­det dar­über die Wun­der-Kom­mis­si­on in Rom. Gera­de hat der Vati­kan sei­ne Richt­li­ni­en zur Bewer­tung von Wun­dern über­ar­bei­tet und will die­se künf­tig auch etwas skep­ti­scher beur­tei­len. Dies geht aus einem von Papst Fran­zis­kus unter­zeich­ne­ten Doku­ment her­vor, das der Vati­kan im Mai ver­öf­fent­lich­te. Neben neu­en Kate­go­rien für die Bewer­tung soll das vati­ka­ni­sche Amt für die Glau­bens­leh­re das letz­te Wort bei der end­gül­ti­gen Ent­schei­dung über über­na­tür­li­che Phä­no­me­ne haben.

Ange­sichts einer Zunah­me von »fal­schen Gerüch­ten und der Ver­brei­tung von Fake News im Inter­net« sei­en die der­zei­ti­gen Richt­li­ni­en aus dem Jahr 1978 nicht mehr sinn­voll und prak­ti­ka­bel, begrün­den die Wun­der-Exper­ten ihre Ent­schei­dung, die Nor­men grund­le­gend zu über­ar­bei­ten. Außer­dem bestehe die Gefahr, dass Betrü­ger mit angeb­li­chen Wun­dern oder son­sti­gen Phä­no­me­nen ver­su­chen, Geld zu machen und Men­schen zu mani­pu­lie­ren. Die­se Risi­ken sol­len mit den neu­en Nor­men des Vati­kans ver­mie­den wer­den. Es geht also dar­um, unlieb­sa­mer Kon­kur­renz ener­gi­scher als bis­her zu begeg­nen. In der digi­ta­len Welt ist die Kern-Kom­pe­tenz in Sachen Wun­der neu­en Her­aus­for­de­run­gen aus­ge­setzt – es gilt zu han­deln. So soll es künf­tig sechs dif­fe­ren­zier­te Kate­go­rien zur Beur­tei­lung über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne geben. Im gün­stig­sten Fall wird ein »angeb­li­ches« Wun­der mit der Kate­go­rie »Nihil obstat« (zu Deutsch etwa: »Es steht nichts ent­ge­gen«) bewer­tet. Das bedeu­tet den Anga­ben nach, dass es zwar kei­ne Gewiss­heit über die über­na­tür­li­che Echt­heit gibt, aber doch Anzei­chen für ein Wir­ken des Hei­li­gen Gei­stes. Die Gläu­bi­gen dür­fen das Phä­no­men ohne wei­te­res ver­eh­ren und wür­di­gen. Die rest­li­chen fünf Kate­go­rien beschäf­ti­gen sich mit aller­lei Grau­zo­nen, die letz­te Kate­go­rie sieht jedoch vor, ein Phä­no­men klar als nicht über­na­tür­lich zu betrach­ten. Phä­no­me­ne wer­den zunächst vom loka­len Bischof in die Kate­go­rien ein­ge­teilt, der Vati­kan trifft jedoch nach wie vor die end­gül­ti­ge Ent­schei­dung. Und der Papst.

Die katho­li­sche Kir­che unter­schei­det nun also zwi­schen ech­ten, zwei­fel­haf­ten und unech­ten Wun­dern. Das ist so, als erfän­den Hüt­chen­spie­ler ein Hüt­chen­spie­ler-Güte­sie­gel (eine kle­ri­ka­le Mar­ke­tings-Maß­nah­me, die Klaus Unge­rer schon vor Jah­ren in sei­ner Anti-Bibel Gott go home! tref­fend eti­ket­tier­te). Par­ti­el­les Irre­sein als »gött­li­che Erleuch­tung« zu ver­kau­fen, bleibt also auch zukünf­tig ein lukra­ti­ves Geschäfts­mo­dell der katho­li­schen Kir­che. Wei­te­re Inno­va­tio­nen war­ten im »Super­markt der Wun­der« auf Umset­zung: So könn­te die kom­men­de Pil­ger-Com­mu­ni­ty ihren Herr­gott via Whats­App um Gna­de und Erleuch­tung bit­ten. Vor­teil: Die oft beschwer­li­che Rei­se nach Lour­des, Fati­ma oder Alt­öt­ting ent­fällt. Gött­li­che Wun­der könn­ten so ganz ohne Rei­se-Stress auf den from­men Fol­lower nie­der­kom­men. Ein Hal­le­lu­ja auf die Öko-Bilanz. Und auf Maria.

Lese­tipp: Hel­mut Ort­ner, DAS KLERIKALE KARTELL. War­um die Tren­nung von Staat und Kir­che über­fäl­lig ist, Nomen Ver­lag, 272 S., 24 €.