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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Halbzeit im Gefängnis

Wegen wie­der­hol­ten Betre­tens des Mili­tär­ge­län­des in Büchel bin ich zu 90 Tages­sät­ze ver­ur­teilt wor­den, auf­grund einer Geset­zes­än­de­rung beträgt die Ersatz­frei­heits­stra­fe dafür nur noch die Hälf­te. Drei Wochen Gefäng­nis habe ich schon hin­ter mir, bald habe ich die Hälf­te erreicht.

Büchel: Das sind 20 Atom­bom­ben, genau­er: Was­ser­stoff­bom­ben, jede um ein Viel­fa­ches stär­ker als die Bom­ben auf Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki. Den kol­lek­ti­ven Selbst­mord nicht hin­neh­men: Wie geht das? Für mich im Moment nur so, dass ich dem Staat signa­li­sie­re: Solan­ge du die­se Waf­fen unter­hältst, solan­ge dei­ne Sol­da­ten täg­lich ihren Ein­satz trai­nie­ren, musst du mich bestrafen.

Inzwi­schen hat es den 100. Pro­zess gegen Leu­te wie mich gege­ben. Hun­dert Pro­zes­se, das ist wenig für einen Zeit­raum von 30 Jah­ren. Mir ist schon wie­der­holt durch den Kopf gegan­gen, dass die­je­ni­gen, die sich zur Frie­dens­be­we­gung zäh­len, mehr­heit­lich in mei­nem Alter sind, alle im Ruhe­stand. Sie kön­nen es sich lei­sten, zivi­len Unge­hor­sam zu bege­hen und sich dafür ein­sper­ren zu las­sen. Damit kön­nen sie ihre lebens­lan­gen Akti­vi­tä­ten für den Frie­den krö­nen. (Natür­lich rufe ich kei­nes­wegs zur Bege­hung von Straf­ta­ten auf, ich sage nur, was wäre, wenn …!)

Bei einem mei­ner Knast­auf­ent­hal­te bekam ich ein Zitat von John­ny Depp zuge­schickt, das ich immer wie­der anbrin­ge: »Mei­ne Freun­de sagen, ich bin ver­rückt. Ich bin aber nicht ver­rückt. Ich bin nur so, wie sie auch wären, wenn sie nicht sol­che Angst hätten!«

Hier wur­de mir nun auf einer Post­kar­te ein Zitat von einem A. J. Heschel geschickt, den ich wei­ter nicht ken­ne: »Der Mensch muss ler­nen, dass der Sinn des Lebens ist, Bei­spiel zu sein. Ein Mensch soll­te sich selbst immer so sehen, als sei die Welt halb schul­dig und halb unschul­dig. Eine ein­zi­ge Tat kann die Waa­ge der gan­zen Welt zur Sei­te des Ver­dien­stes oder zur Sei­te der Schuld nei­gen. Jeder Mensch hat zu allen Zei­ten Teil an der Zer­stö­rung oder an der Erlö­sung der Welt.« Ein inter­es­san­ter Gedan­ke, der im Grun­de Kants Kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv wiedergibt.

Ich und Bei­spiel? Das wider­strebt mir etwas, und zur Erhei­te­rung zitie­re ich gern das Bon­mot: »Nie­mand lebt ver­ge­bens, er kann immer noch als schlech­tes Bei­spiel die­nen.« Aber wenn ich nun mal die Mahn­wa­che im Knast gewählt habe, dann nicht nur für mich, weil es das ist, was ich in der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on tun kann, son­dern natür­lich auch, um ande­re auf­zu­rüt­teln. Ich habe Bio­gra­fien von Mar­tin Luther King und Nel­son Man­de­la mit in die Haft genom­men, die bei­de lan­ge im Gefäng­nis saßen, und rich­te mich an ihrem Bei­spiel auf.

Von 1969 stammt ein Lied der US-Ame­ri­ka­ne­rin Anne Fee­ney mit dem Titel »Have you been to jail for Justi­ce«; man kann es leicht auf You­Tube fin­den. Auf­merk­sam gemacht hat mich dar­auf die aus Kali­for­ni­en stam­men­de Susan Cra­ne, die noch bis zum 19. Janu­ar 2025 fast sie­ben Mona­te in der JVA Koblenz ihre Mahn­wa­che im Gefäng­nis macht.

Ich habe den Text des Lie­des ins Deut­sche über­tra­gen und ihn ein wenig an die aktu­el­len Ver­hält­nis­se ange­passt. Bei­spiels­wei­se erwäh­ne ich die Kli­makle­ber, die sich gegen­wär­tig auf erheb­lich län­ge­re Gefäng­nis­stra­fen vor­be­rei­ten müs­sen als wir (taz, 26.10.24, »Die ver­kann­te Gene­ra­ti­on«), um ihnen mei­ne Soli­da­ri­tät zu bekun­den. Mein Text geht so:

 
Es gibt ein paar Men­schen, die kämp­fen ihren eige­nen Streit;
sie bre­chen manch­mal die Geset­ze für die Gerechtigkeit.
Egal, wer ihnen Vor­bild war, es ist doch sonnenklar,
seit Rosa Parks und Ghan­di, wie wich­tig ihr Ein­fluss war.
 
(Refrain:)
Ins Gefäng­nis für das Leben, dann bist du mein Freund.
Sitz­blocka­den, Kli­makle­ben habe uns vereint.
Singst du Frie­dens­lie­der, kämpfst gegen RWE,
ja, dann will ich dich wohl loben weit übern grü­nen Klee.
 
Ihr rechts­treu­en Leu­te, sagt mir, was ist die­ses Recht;
gut für Men­schen viel­leicht ist’s heu­te, mor­gen ist es schlecht!
Das Recht hat Skla­ve­rei erlaubt, die Frau­en unterdrückt,
bis dann, nach vie­len Kämp­fen, Befrei­ung ist geglückt. 
(Refrain)
 
Ato­ma­re Waf­fen bedro­hen uns­re schö­ne Welt,
und es geschieht schon fast 80 Jah­re, dass man dagegenhält.
Wenn alles Demon­strie­ren nichts nützt, dann gehen wir durch den Zaun,
denn das ist unser Zeug­nis: Dem Selbst­mord nicht zuzuschauen. 
(Refrain)