Wegen wiederholten Betretens des Militärgeländes in Büchel bin ich zu 90 Tagessätze verurteilt worden, aufgrund einer Gesetzesänderung beträgt die Ersatzfreiheitsstrafe dafür nur noch die Hälfte. Drei Wochen Gefängnis habe ich schon hinter mir, bald habe ich die Hälfte erreicht.
Büchel: Das sind 20 Atombomben, genauer: Wasserstoffbomben, jede um ein Vielfaches stärker als die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Den kollektiven Selbstmord nicht hinnehmen: Wie geht das? Für mich im Moment nur so, dass ich dem Staat signalisiere: Solange du diese Waffen unterhältst, solange deine Soldaten täglich ihren Einsatz trainieren, musst du mich bestrafen.
Inzwischen hat es den 100. Prozess gegen Leute wie mich gegeben. Hundert Prozesse, das ist wenig für einen Zeitraum von 30 Jahren. Mir ist schon wiederholt durch den Kopf gegangen, dass diejenigen, die sich zur Friedensbewegung zählen, mehrheitlich in meinem Alter sind, alle im Ruhestand. Sie können es sich leisten, zivilen Ungehorsam zu begehen und sich dafür einsperren zu lassen. Damit können sie ihre lebenslangen Aktivitäten für den Frieden krönen. (Natürlich rufe ich keineswegs zur Begehung von Straftaten auf, ich sage nur, was wäre, wenn …!)
Bei einem meiner Knastaufenthalte bekam ich ein Zitat von Johnny Depp zugeschickt, das ich immer wieder anbringe: »Meine Freunde sagen, ich bin verrückt. Ich bin aber nicht verrückt. Ich bin nur so, wie sie auch wären, wenn sie nicht solche Angst hätten!«
Hier wurde mir nun auf einer Postkarte ein Zitat von einem A. J. Heschel geschickt, den ich weiter nicht kenne: »Der Mensch muss lernen, dass der Sinn des Lebens ist, Beispiel zu sein. Ein Mensch sollte sich selbst immer so sehen, als sei die Welt halb schuldig und halb unschuldig. Eine einzige Tat kann die Waage der ganzen Welt zur Seite des Verdienstes oder zur Seite der Schuld neigen. Jeder Mensch hat zu allen Zeiten Teil an der Zerstörung oder an der Erlösung der Welt.« Ein interessanter Gedanke, der im Grunde Kants Kategorischen Imperativ wiedergibt.
Ich und Beispiel? Das widerstrebt mir etwas, und zur Erheiterung zitiere ich gern das Bonmot: »Niemand lebt vergebens, er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen.« Aber wenn ich nun mal die Mahnwache im Knast gewählt habe, dann nicht nur für mich, weil es das ist, was ich in der gegenwärtigen Situation tun kann, sondern natürlich auch, um andere aufzurütteln. Ich habe Biografien von Martin Luther King und Nelson Mandela mit in die Haft genommen, die beide lange im Gefängnis saßen, und richte mich an ihrem Beispiel auf.
Von 1969 stammt ein Lied der US-Amerikanerin Anne Feeney mit dem Titel »Have you been to jail for Justice«; man kann es leicht auf YouTube finden. Aufmerksam gemacht hat mich darauf die aus Kalifornien stammende Susan Crane, die noch bis zum 19. Januar 2025 fast sieben Monate in der JVA Koblenz ihre Mahnwache im Gefängnis macht.
Ich habe den Text des Liedes ins Deutsche übertragen und ihn ein wenig an die aktuellen Verhältnisse angepasst. Beispielsweise erwähne ich die Klimakleber, die sich gegenwärtig auf erheblich längere Gefängnisstrafen vorbereiten müssen als wir (taz, 26.10.24, »Die verkannte Generation«), um ihnen meine Solidarität zu bekunden. Mein Text geht so:
Es gibt ein paar Menschen, die kämpfen ihren eigenen Streit;
sie brechen manchmal die Gesetze für die Gerechtigkeit.
Egal, wer ihnen Vorbild war, es ist doch sonnenklar,
seit Rosa Parks und Ghandi, wie wichtig ihr Einfluss war.
(Refrain:)
Ins Gefängnis für das Leben, dann bist du mein Freund.
Sitzblockaden, Klimakleben habe uns vereint.
Singst du Friedenslieder, kämpfst gegen RWE,
ja, dann will ich dich wohl loben weit übern grünen Klee.
Ihr rechtstreuen Leute, sagt mir, was ist dieses Recht;
gut für Menschen vielleicht ist’s heute, morgen ist es schlecht!
Das Recht hat Sklaverei erlaubt, die Frauen unterdrückt,
bis dann, nach vielen Kämpfen, Befreiung ist geglückt.
(Refrain)
Atomare Waffen bedrohen unsre schöne Welt,
und es geschieht schon fast 80 Jahre, dass man dagegenhält.
Wenn alles Demonstrieren nichts nützt, dann gehen wir durch den Zaun,
denn das ist unser Zeugnis: Dem Selbstmord nicht zuzuschauen.
(Refrain)