Wenn in Rom ein Papst gewählt ist, steigen weiße Wölkchen in den Himmel. Bevor die Autorin Birgit Vanderbeke ihren neuen Buchtitel kürt, dringen unter einer irischen Zimmertür leichte Rauchschwaden hervor, das ist einsichtig, denn im Raum dahinter sitzt Heinrich Böll, undenkbar ohne eine Zigarette im Anschlag. Zwar ist der gute Mensch von Köln und dem deutschen Land ringsum leider schon seit einigen Jahren verstorben, doch solche kleinen Wunder vollbringt er weiterhin. Da ist auf ihn Verlass, anders beim aktuellen Papst Franziskus. Der schmeichelte sich am Anfang ein als Verbündeter weiblicher Menschen in ihren Nöten, bis er absolut versagte, in den gewohnten Verfluchungs-Klerikerton verfiel und Frauen, die nur mehr einen Schwangerschaftsabbruch als Ausweg sahen, »Auftragsmörderinnen« nannte. Bravo, Heiliger Vater!
Um Missverständnisse auszuschließen, ich plädiere nicht für Abtreibungen, sondern für Geburtenregelung. Franziskus und die Frauen aber werden keine Freunde, die Rolle weiblicher Mitarbeit in der Gemeinde ist dem Kirchenfürsten nach wie vor schnurzpiepe.
Für Heinrich Böll gab es keinerlei Diskriminierungen. Er stellte oft und gern sein irisches Ferienhaus für die Erholung von Prosaisten und Poeten beiderlei Geschlechts zur Verfügung, darunter eben auch Frau Vanderbeke und deren Ehemann. Vor einem halben Menschenleben zählten auch Gerhard, lngrid und Catharina Zwerenz zu den Begünstigten.
Mit dem weiträumigen Buchtitel, »Alle, die vor uns da waren«, unserer Autorin von Böll gespendet, hat sie ein weites Feld und kann ihre Fantasie erblühen lassen, schön durchmischt mit ernsten und heiteren Realitätspartikeln. Eine winzige Korrektur hätte ich gern anzubringen, als geborener Liegnitzerin ist bei mir keine Spur von Sudetendeutschen zu vermuten.
Man begegnet in dem autobiografischen Roman, dem abschließenden Teil einer Trilogie, durchweg sympathischen Menschen, ausgenommen – und das ist die Crux der Biografin – ihrem Vater, den sie 30 Jahre lang nicht getroffen hatte, so hielt sie sich auch konsequent von seinem Begräbnis fern. Ihm ist die von mir gewählte Artikel-Überschrift zuzuschreiben, in dem Satz schwingt mitnichten Fürsorge mit, vielmehr steckt ein drohender Unterton in den vier Worten. Und dabei war dieser Oskar »ein Kind aus meiner Klasse«, wie Tucholsky leicht ironisierend immer mal formulierte. Ein hochintelligenter, umgänglicher Junge, weiß der Teufel, wo Satan im späteren Leben seine Krallen im Spiel hatte. Die Vanderbeke-Tochter Birgit wurde trotz allem keine Heulsuse. Die Frau ist auch keine Solipsistin, verfügt vielmehr über einen intakten sozialen Sinn, mitunter etwas ruppig vorgebracht, zum Beispiel: »Die Iren haben eine ausgesprochene Begabung für Hungersnöte.«
Für das Desaster mit ihrem Erzeuger fand die Verfasserin einen patenten Ausweg: Wie sich manche Eltern Kinder adoptieren, adoptiert sie sich Väter – allen voran Fritz Bauer, den unvergesslichen hessischen Generalstaatsanwalt.
»Ich bin der Mann mit dem Auschwitzprozess«, sagte er mal zu mir, es war ein von Horst Bingel veranstalteter Frankfurter Abend und sehr voll. Bauer und ich saßen ein wenig beiseite auf einem schmalen Sofa. Das Gespräch vergesse ich lebenslang nicht, überdies hab ich’s gleich am nächsten Morgen in die Maschine getippt.
Es gab noch andere Herren mit Vaterqualitäten. Über die berichte ich vielleicht demnächst, denn ganz gewiss hat Birgit Vanderbeke weiter wichtigen Stoff für die eine oder andere Edition. Viel Erfolg!
Birgit Vanderbeke: »Alle, die vor uns da waren«, autobiografischer Roman, Piper Verlag, 176 Seiten, 20 €