Die Website von Fridays for Future Deutschland öffnet mit dieser Aussage: »Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung für die menschliche Zivilisation – die Bewältigung der Klimakrise ist die Hauptaufgabe des 21. Jahrhunderts.« Das Klima auf der Erde hängt auch damit zusammen, wie wir Menschen miteinander umgehen. Mangelnde Rücksicht aufeinander korrespondiert mit mangelnder Achtsamkeit im Umgang mit der Umwelt. Allein dieser Zusammenhang macht schon klar, dass sich die Bedrohung nicht isoliert mit Einzelmaßnahmen für Energieeffizienz, erneuerbare Energie und Sparsamkeit im Konsum lösen lässt.
In der Ökologiebewegung debattieren Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und Partei-Präferenzen über die Frage, wie fundamental gesellschaftliche Veränderungen ausfallen müssen, um nachhaltigen Klima- und Umweltschutz zu gewährleisten.
Das erste Grundsatzprogramm der Grünen von 1980 besagte noch: »Wir wenden uns gegen eine Wirtschaftsordnung, in der die wirtschaftlich Mächtigen über den Arbeitsprozess, das Arbeitsergebnis und die Existenzbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung bestimmen.«
Das aktuelle Grundsatzprogramm hat sich von dieser fundamentalen Kritik am Wirtschaftssystem verabschiedet. Im Kapitel »Sozial-ökologische Marktwirtschaft« lesen wir: »Den Weg zur sozialökologischen Marktwirtschaft bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires, ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften, indem er auf ein Bündnis aus Arbeit und Umwelt baut. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich und fördert eine geschlechtergerechte Gesellschaft.«
Der Begriff einer sozialökologischen Marktwirtschaft eröffnet den Bündnisgrünen Machtperspektiven für Koalitionen, die in ihrer Gründerzeit undenkbar schienen. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien greift auf, was die Bündnisgrünen erklären: »Wir stellen die Weichen auf eine sozial-ökologische Marktwirtschaft und leiten ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen ein. Damit legen wir die Grundlagen, um nachhaltigen Wohlstand zu sichern, und schaffen Raum für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und mehr Effizienz, für gute Arbeit, sozialen Aufstieg und neue Stärke.«
Das würde auch die CSU unterschreiben; ihr Parteivorstand erklärte 2019 in seinem Papier »Die Klimastrategie der CSU – Klima schützen, Konjunktur stützen«: »Unsere Soziale Marktwirtschaft müssen wir um die ökologische Dimension und damit um ein nachhaltiges Wirtschaften erweitern. Die Ökosoziale Marktwirtschaft vereint soziale, ökonomische und ökologische Ziele gleichermaßen.«
Der Begriff der »sozialen Marktwirtschaft«, angereichert mit Umweltschutz findet sich auch im AfD-Programm: »Soziale Marktwirtschaft statt Planwirtschaft«. Der Punkt des Umweltschutzes entlarvt sich als Lippenbekenntnis, folgt doch auf die Aussage »Eine gesunde Umwelt ist die Lebensgrundlage für alle Menschen und zukünftige Generationen« deren Relativierung mit diesen Worten: »Naturschutz darf nicht zu Lasten der Menschen gehen.« Dass eine zerstörte Natur erst recht zu Lasten der Menschen geht, fällt den Partei-Ideologen offensichtlich nicht auf.
Auch die Schwesterpartei der AfD in Österreich, die FPÖ, propagiert eine sogenannte soziale Marktwirtschaft und Umweltschutz: »Wir bekennen uns zu einer Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung (…) und den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen in einer wertvollen Natur- und Kulturlandschaft.«
Diese programmatische Übereinstimmung wischt die Unterschiede zwischen den Parteien in anderen Punkten nicht weg, sie drückt aber aus, dass sich hier aufgrund der Gemeinsamkeiten in der ökonomischen Grundausrichtung Fragen an die Ernsthaftigkeit der ökologischen Programmatik stellen.
Die Klimakatastrophe ist nicht die einzige Zukunftsgefährdung. Sie überstrahlt allerdings alle anderen globalen Katastrophen. Ein Grund für die Gefahr liegt darin, dass einflussreiche Kreise so tun, als läge der Weg zum rettenden Ufer allein in der Ingenieurskunst und in der ungestörten Wirksamkeit des von ihnen »Markt« genannten Kapitalismus. Die Propagierung einer ökosozialen Marktwirtschaft kommt in der Programmatik der SPD, der Bündnisgrünen, der CSU, der rechten FPÖ vor, und selbst AfD-Führungskräften stimmen da mit ein. Der Begriff »Markt« schränkt den Blick in die Welt der Ökonomie auf die Prozesse des Verkaufs nach Fertigstellung der Waren ein, er lenkt also von einer genauen Analyse ab. Ein wichtiger Schritt zur nachhaltigen Rettung, und darum geht es, ist die Abkehr vom Dogma, unserer Gesellschaftsordnung sei, wie es die Propagandisten des Marktes behaupten, die bestmögliche Organisationsform für das Zusammenleben der Menschen. Gegenaufklärung muss alles radikal auf den Prüfstand stellen: Belebt Konkurrenz das Geschäft? Ist Sicherheitspolitik militärisch durchzuführen? Hilft Wachstum aus Krisen? Folgt Wohlstand, wenn alle egoistisch handeln?
Solange offen ist, wohin die Reise geht, ist es das Gebot der Zeit, den Weg zum rettenden Ufer möglichst weit offen zu halten – mit Hilfe von kurzfristig durchzuführenden Einzelmaßnahmen wie dem Ausstieg aus Technologien wie jenen, die der Verbrennung fossiler Energien und der Atomkraft bedürfen. Diese Schritte müssen dann durch gesellschaftliche Umwälzungen nachhaltig werden.
Die Auslöschung einer nicht zählbaren Summe von Arten im Tierreich und in der Pflanzenwelt, der Verlust der eingespielten Balance in den Kreisläufen der Biosphäre, Fake News als alternative Fakten und die soziale Spaltung der Gesellschaft/en, die Gefahr des Atomkriegs – all das verlangt nach kurz- und langfristigen Antworten bestenfalls eines jeden Menschen.
Vielleicht ist die Gefahr einer globalen Existenzkrise für die Menschheit zugleich ihre große Chance, erwachsen zu werden, ihr Schicksal als Weltgemeinschaft in die eigene Hand zu nehmen, sich nichts mehr vorzumachen. Das ist die Hoffnung. Wenn keine Angst mehr vor der Verantwortung im Weg ist, als Menschheit erwachsen zu werden, wenn sich immer mehr Menschen den Aufgaben stellen, die sich aus dem Auftrag an die Lebenden ergeben, die Gesellschaft so zu gestalten, dass zukünftige Generationen weiter kreativ Zukunft gestalten können, dann gibt es vielleicht einen Weg zum rettenden Ufer. Dann sind keine äußeren Mächte mehr verantwortlich für das, was geschieht, kein Gott, keine Zauberer, keine feindliche Macht, sondern dann gestalten die Menschen das Leben kooperativ mittels einer bewussten Anpassung an die Umweltbedingungen entsprechend ihren gemeinsamen Bedürfnissen. Dann ist der Stoffwechsel zwischen den Menschen und der sie umgebenden Natur nicht mehr durch das Interesse von Konzernen, und hier vor allem der multinationalen, nach Verwertung von Ressourcen und Vermarktung von Produkten unterbrochen.
Dabei ist zu betonen, dass sich die Kritik nicht nur auf die Konzerne und deren Eigner und leitende Manager reduzieren darf, denn diese nehmen lediglich Positionen im System der Konkurrenz der Einzelkapitale ein. Bleibt die Kritik auf der oberflächlichen Ebene der Anklage von aktuell Mächtigen, dann übergeht sie die Tatsache, dass die Positionen in einer Architektur von ganz ganz oben über die Mittelschichten bis ganz ganz unten das Problem darstellen. Das »System« ist nicht nur ein äußerer, sondern auch ein innerer Feind. Wir sind Teil davon (siehe hierzu auch schon Teresa Sciacca »Protect me from what I want« in Ossietzky 3/2021). Eine reduzierte Kritik etwa an sogenannten Eliten oder Verschwörern lenkt vom System ab und wird scheitern, ins Leere laufen, und so einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Zukuftsgefährdungen leisten.