Een jrosset Dorf bekieken wolln´se? Jut, da sint´se anne Spree richtich. Dit in Neuseeland is nach´m ollen Schweden benamst. Und bannich kleen. Bei uns jilt nur jroß, jrößer, Jrößenwahn … BERlin.
Beispiele? Dauerbau Flughafen BER. Ein Bundeskanzleramt, größer als das Weiße Haus. Der Plazzo Prozzo, der sich als Potsdamer Platz ausgibt. Der Alex(anderplatz) x-mal umgebaut – Hochhauspläne ohne Ende. Passend eben zu den Berlinern mit der großen Klappe.
Covid-19 diktiert den aktuellen Berlinrhythmus, und vorerst bleibt ein Jubiläum in Spree-Athen rede-, sang- und klanglos. Am 27. April jährte sich zum 100. Male jener Tag, an dem das »Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin« beschlossen wurde. Das Pro der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung fiel knapp aus. Nächtens zum 1. Oktober trat das Gesetz in Kraft. »Groß-Berlin« rühmte sich gleich, nach London und New York drittgrößte Stadt der Welt zu sein.
Als Initiator und Vater gilt der lange vergessene Oberbürgermeister Adolf Wermuth. Hätte er den Stadtstaat in seiner heutigen Verfassung so gewollt – alles in einem: Großstadt, Bundesland, Landeshauptstadt und Bundeshauptstadt, arm, aber sexy? Jetzt gar zur Agglomeration Berlin sowie Metropolregion mit Brandenburg gestylt. Wortgewaltige Erfindungen an Ministertischen und als Motor für das ganze Land (welches bitte?) geträumt.
1906 stand »Groß-Berlin« nur als verbaler Vorgriff in der Monatsschrift Berliner Leben, um die vielfältigen Verflechtungen zu verdeutlichen. Im Amt als Persönlichkeiten gewürdigt und im Bild vorgestellt wurden die Oberbürgermeister und Bürgermeister von Groß-Berlin: von Berlin, Charlottenburg, Rixdorf, Schöneberg, Weißensee, Rummelsburg und weiterer Vororte. Von Fusion war keine Rede.
Erst 1911 wurde als Vorläufer ein Zweckverband gebildet. Die widerstreiten- den Interessen aller Art blieben erhalten. Die kleine Preußenresidenz Berlin hatte sich lange vorher auf Kosten brandenburgischen Umlandes bereichert. Regiert wurden die Städte und Landkreise von Potsdam aus! Es war der Amtssitz des Regierungsbezirks bis 1945.
Um ihrer Eigenständigkeit nachhaltige Würde zu verleihen, entstanden bis 1916 neue prächtige Rathäuser, unter anderem in Schöneberg und Charlottenburg. Einem Spandauer Stadtverordneten wird das Stoßgebet zugeschrieben: »Mög´ schützen uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband.« Geholfen hat es nicht. Mit dem oben genannten Gesetz wuchs Berlin um sieben Städte wie Lichtenberg, Köpenick und Spandau, Wilmersdorf, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke. Angesichts der mehrheitlich ländlichen Verhältnisse und manchmal heutiger Zustände ist festzuhalten: Berlin darf und kann als großes Dorf bezeichnet werden. Was seiner jetzigen Würde partout keinen Zacken aus der Wappen-Corona bricht.
Für die Groß-Berliner brachen 1920 mit Inflation, Arbeitslosigkeit, dem aufkommenden Faschismus keine goldenen Zeiten an. Trotzdem steht auf der Habenseite der ersten zehn Jahre das Positivste, was Berlin bis heute mit Stolz vorzeigen kann: die acht städtischen Wohnungsbauunternehmen. Selbst in den Notjahren bis 1923 entstanden 500.000 Neubauwohnungen, 1924 bis 1932 weitere zwei Millionen, überwiegend mit öffentlicher Förderung. Zugleich boomten Genossenschaftssiedlungen, darunter die berühmten des Architekten Bruno Taut in Britz, Prenzlauer Berg und Weißensee.
Statt dieses Erbe wenigstens zu bewahren, machte ausgerechnet ein Senat von SPD und Die Linke den Ausverkauf von mehr als 310.000 Wohnungen bei den Wohnungsbaugesellschaften möglich. Über die Hälfte von ehemals 585.000 kommunalen Wohnungen wechselte die Besitzer. Der jetzige Senat kauft einige der seinerzeit verschleuderten Immobilien wie in der Frankfurter Allee überteuert zurück. Hätte es nicht die DDR mit ihrem Wohnungsbauprogramm gegeben, wäre die Lage noch katastrophaler.
Groß-Berlin endete quasi am 8. Mai 1945 im 25. Jahr seiner Existenz. Der Begriff verschwand. Stattdessen: Kalter Krieg und Mauerbau prägten Stadt und Umland, optisch weithin sichtbar als weiße Tarnkuppeln der weitreichenden US-Abhöranlagen auf dem Teufelsberg. Nomen est omen.
Die Westalliierten unterliefen die Vereinbarungen von Teheran, Jalta und Potsdam. Winston Churchill kann seit dem 5. März 1946 als eigentlicher Urheber der Teilung, Spaltung und des schließlich tatsächlich vorhandenen Mauer-Konstrukts betrachtet werden. Seine Brandrede an jenem Tag in Fulton (USA) gilt »als Fanfarenstoß für den Kalten Krieg«.
Die Idee wiederum, schließlich 1961 am 13. August Berlin-West »als Pfahl im Fleisch« von der Deutschen Demokratischen Republik abzuriegeln, wird dem demokratischen Senator James William Fulbright für Juli zugeordnet. Er war Berater Kennedys. Walter Ulbricht soll Nikita Chruschtschow darüber informiert haben. Danach sei mit dessen Zustimmung »the wall« gebaut worden. Eine echte Legende der Weltgeschichte. Chruschtschow und Kennedy hatten beim Wiener Treffen ihre Positionen und Absichten längst geklärt. Ulbricht muss seither als der Bösewicht schlechthin herhalten.
Bis 1990 hatten die Vier Mächte – was immer ausgeblendet wird – die Oberhoheit. BRD und DDR, Berlin-W und Berlin-O als Hauptstadt der DDR waren begrenzt souverän – im Rahmen ihrer Bündnisse. Nur sagte das niemand laut und öffentlich.
In den letzten 30 Jahren ein Rollback ohnegleichen. Preußens Glanz und Gloria vom Bundestag abgesegnet, in Beton gegossen, golden gekrönt und auf geheiligtem Grund des einstigen Hohenzollern-Etablissements. Das Schloss! Ein Talmi-Bau als Humboldt-Forum verbrämt.
Das Schöne an der Story? Das Falsifikat auf der Spree-Insel steht nicht auf Berliner Grund und Boden, zumindest historisch gesehen. Die erste deutsche Samtgemeinde bestand aus zwei Örtlichkeiten. Der civitas colonensis oder colonia, links der Spree und 1237 zuerst urkundlich ausgewiesen, und Berlin rechtsseitig gegenüber, sieben Jahre später aktenkundig. Nur weil es dort einige Straßen mehr gegeben haben soll, dominiert seither dieser Name.
Erst 1920 verlor das Schloss seinen Status als Gutsbezirk im Landkreis Niederbarnim. Wäre bloß alles 1904 unter landrätlicher Obrigkeit mit Alt- und Neu-Weißensee fusioniert und zu der angestrebten Stadt Weißensee erhoben worden. Die Geschichte wäre anders verlaufen. Preußen-Berlin war allen Nachbarn suspekt. Die stille Preisgabe war wohl als Revanche für die Berliner Landräuberei im Brandenburgischen gedacht.
Da seit alters her die ursprüngliche Zwingburg auf Cöllnischem Areal angesiedelt war, sollte endlich mit Brief und Siegel aktenkundig gemacht werden: Der Klüngel von civitas colonensis alias Berlin und colonia agrippina alias Köln kümmert sich ab sofort um alles und besonders um das liebe Geld. Als der erste Preußenkönig bei seinem Tode außer dem prächtigen Schloss Charlottenburg, dem Zeughaus und anderen Prunkbauten 20 Millionen Taler Schulden hinterließ, klebte ein anonymes Plakat am schlüterschen Bauwerk: »Dieses Schloss ist zu vermieten, und die Residenz Berlin ist zu verkaufen.«
Im Grunde genommen haben die richtigen Berliner am Ostufer der korsettierten Spree weder mit dem Ur-Schloss noch mit dem beschönigten Unikum etwas am Hut. Mit der Corona und Inschrift ganz oben gleich gar nicht. Der Historiker Jürgen Zimmer von der Hamburger Universität empfahl, das Bauwerk als Mahnmal mit Stacheldraht aus allen Nazi-Konzentrationslagern zu umwinden!
Als George-Floyd-Forum am Adolf-Wermuth-Platz würde es Berlin Ehre machen. Die Neubausünde aber bleibt verzeihlich.
Und sonst? Wir Berliner, hier geboren oder zugereist, fühlen uns zwar als Großstädter, lieben besonders unseren Kiez, wo wir im wahren Leben zu Hause sind: in Wilmersdorf oder Hellersdorf, in Schmargendorf, Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf, in Mariendorf, Reinickendorf oder Zehlendorf. Das gilt für Tegel wie für den Wedding, Friedrichshain und Kreuzberg. Bezeichnen Sie bitte nie einen Spandauer als Berliner! Alle, die nicht unmittelbar im Zentrum wohnen, fahren »inne Stadt«, womit ihre Zugehörigkeit wohl eindeutig erwiesen ist.
Zu loben wäre ein großzügiges Berlin mit lebendiger Architektur, einem Miteinander von Alt und Neu. Nikolaiviertel, Fernsehturm und Henselmanns Frankfurter Allee sind hier gleichermaßen zu nennen wie das Hansaviertel und die Gropiusstadt im Süden, das Märkische Viertel im Norden und Marzahn im Osten. Der abgerissene Palast der Republik geht auf das Konto einer Bundestagsmehrheit, während das Gigantomania-ICC (Internationales Congress Centrum) denkmalgeschützt seit Jahren kostenintensiv und ungenutzt im Leerstand dahindämmert. Ein Schelm, der Schlechtes und nur an Asbest denkt. Berlin eben.
Leseempfehlung: »Ein Schloss – wozu?« Ein Beitrag von Eckart Spoo, Ossietzky 15/2015