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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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… groß, größer – BERlin

Een jros­set Dorf bekie­ken wolln´se? Jut, da sint´se anne Spree rich­tich. Dit in Neu­see­land is nach´m ollen Schwe­den benamst. Und ban­nich kleen. Bei uns jilt nur jroß, jrö­ßer, Jrö­ßen­wahn … BERlin.

Bei­spie­le? Dau­er­bau Flug­ha­fen BER. Ein Bun­des­kanz­ler­amt, grö­ßer als das Wei­ße Haus. Der Plaz­zo Proz­zo, der sich als Pots­da­mer Platz aus­gibt. Der Alex(anderplatz) x-mal umge­baut – Hoch­haus­plä­ne ohne Ende. Pas­send eben zu den Ber­li­nern mit der gro­ßen Klappe.

Covid-19 dik­tiert den aktu­el­len Ber­lin­rhyth­mus, und vor­erst bleibt ein Jubi­lä­um in Spree-Athen rede-, sang- und klang­los. Am 27. April jähr­te sich zum 100. Male jener Tag, an dem das »Gesetz über die Bil­dung einer neu­en Stadt­ge­mein­de Ber­lin« beschlos­sen wur­de. Das Pro der Ver­fas­sung­ge­ben­den Preu­ßi­schen Lan­des­ver­samm­lung fiel knapp aus. Näch­tens zum 1. Okto­ber trat das Gesetz in Kraft. »Groß-Ber­lin« rühm­te sich gleich, nach Lon­don und New York dritt­größ­te Stadt der Welt zu sein.

Als Initia­tor und Vater gilt der lan­ge ver­ges­se­ne Ober­bür­ger­mei­ster Adolf Wer­muth. Hät­te er den Stadt­staat in sei­ner heu­ti­gen Ver­fas­sung so gewollt – alles in einem: Groß­stadt, Bun­des­land, Lan­des­haupt­stadt und Bun­des­haupt­stadt, arm, aber sexy? Jetzt gar zur Agglo­me­ra­ti­on Ber­lin sowie Metro­pol­re­gi­on mit Bran­den­burg gestylt. Wort­ge­wal­ti­ge Erfin­dun­gen an Mini­ster­ti­schen und als Motor für das gan­ze Land (wel­ches bit­te?) geträumt.

1906 stand »Groß-Ber­lin« nur als ver­ba­ler Vor­griff in der Monats­schrift Ber­li­ner Leben, um die viel­fäl­ti­gen Ver­flech­tun­gen zu ver­deut­li­chen. Im Amt als Per­sön­lich­kei­ten gewür­digt und im Bild vor­ge­stellt wur­den die Ober­bür­ger­mei­ster und Bür­ger­mei­ster von Groß-Ber­lin: von Ber­lin, Char­lot­ten­burg, Rix­dorf, Schö­ne­berg, Wei­ßen­see, Rum­mels­burg und wei­te­rer Vor­or­te. Von Fusi­on war kei­ne Rede.

Erst 1911 wur­de als Vor­läu­fer ein Zweck­ver­band gebil­det. Die wider­strei­ten- den Inter­es­sen aller Art blie­ben erhal­ten. Die klei­ne Preu­ßen­re­si­denz Ber­lin hat­te sich lan­ge vor­her auf Kosten bran­den­bur­gi­schen Umlan­des berei­chert. Regiert wur­den die Städ­te und Land­krei­se von Pots­dam aus! Es war der Amts­sitz des Regie­rungs­be­zirks bis 1945.

Um ihrer Eigen­stän­dig­keit nach­hal­ti­ge Wür­de zu ver­lei­hen, ent­stan­den bis 1916 neue präch­ti­ge Rat­häu­ser, unter ande­rem in Schö­ne­berg und Char­lot­ten­burg. Einem Span­dau­er Stadt­ver­ord­ne­ten wird das Stoß­ge­bet zuge­schrie­ben: »Mög´ schüt­zen uns des Kai­sers Hand vor Groß-Ber­lin und Zweck­ver­band.« Gehol­fen hat es nicht. Mit dem oben genann­ten Gesetz wuchs Ber­lin um sie­ben Städ­te wie Lich­ten­berg, Köpe­nick und Span­dau, Wil­mers­dorf, 59 Land­ge­mein­den und 27 Guts­be­zir­ke. Ange­sichts der mehr­heit­lich länd­li­chen Ver­hält­nis­se und manch­mal heu­ti­ger Zustän­de ist fest­zu­hal­ten: Ber­lin darf und kann als gro­ßes Dorf bezeich­net wer­den. Was sei­ner jet­zi­gen Wür­de par­tout kei­nen Zacken aus der Wap­pen-Coro­na bricht.

Für die Groß-Ber­li­ner bra­chen 1920 mit Infla­ti­on, Arbeits­lo­sig­keit, dem auf­kom­men­den Faschis­mus kei­ne gol­de­nen Zei­ten an. Trotz­dem steht auf der Haben­sei­te der ersten zehn Jah­re das Posi­tiv­ste, was Ber­lin bis heu­te mit Stolz vor­zei­gen kann: die acht städ­ti­schen Woh­nungs­bau­un­ter­neh­men. Selbst in den Not­jah­ren bis 1923 ent­stan­den 500.000 Neu­bau­woh­nun­gen, 1924 bis 1932 wei­te­re zwei Mil­lio­nen, über­wie­gend mit öffent­li­cher För­de­rung. Zugleich boom­ten Genos­sen­schafts­sied­lun­gen, dar­un­ter die berühm­ten des Archi­tek­ten Bru­no Taut in Britz, Prenz­lau­er Berg und Weißensee.

Statt die­ses Erbe wenig­stens zu bewah­ren, mach­te aus­ge­rech­net ein Senat von SPD und Die Lin­ke den Aus­ver­kauf von mehr als 310.000 Woh­nun­gen bei den Woh­nungs­bau­ge­sell­schaf­ten mög­lich. Über die Hälf­te von ehe­mals 585.000 kom­mu­na­len Woh­nun­gen wech­sel­te die Besit­zer. Der jet­zi­ge Senat kauft eini­ge der sei­ner­zeit ver­schleu­der­ten Immo­bi­li­en wie in der Frank­fur­ter Allee über­teu­ert zurück. Hät­te es nicht die DDR mit ihrem Woh­nungs­bau­pro­gramm gege­ben, wäre die Lage noch katastrophaler.

Groß-Ber­lin ende­te qua­si am 8. Mai 1945 im 25. Jahr sei­ner Exi­stenz. Der Begriff ver­schwand. Statt­des­sen: Kal­ter Krieg und Mau­er­bau präg­ten Stadt und Umland, optisch weit­hin sicht­bar als wei­ße Tarn­kup­peln der weit­rei­chen­den US-Abhör­an­la­gen auf dem Teu­fels­berg. Nomen est omen.

Die West­al­li­ier­ten unter­lie­fen die Ver­ein­ba­run­gen von Tehe­ran, Jal­ta und Pots­dam. Win­s­ton Chur­chill kann seit dem 5. März 1946 als eigent­li­cher Urhe­ber der Tei­lung, Spal­tung und des schließ­lich tat­säch­lich vor­han­de­nen Mau­er-Kon­strukts betrach­tet wer­den. Sei­ne Brand­re­de an jenem Tag in Ful­ton (USA) gilt »als Fan­fa­ren­stoß für den Kal­ten Krieg«.

Die Idee wie­der­um, schließ­lich 1961 am 13. August Ber­lin-West »als Pfahl im Fleisch« von der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik abzu­rie­geln, wird dem demo­kra­ti­schen Sena­tor James Wil­liam Ful­bright für Juli zuge­ord­net. Er war Bera­ter Ken­ne­dys. Wal­ter Ulb­richt soll Niki­ta Chruscht­schow dar­über infor­miert haben. Danach sei mit des­sen Zustim­mung »the wall« gebaut wor­den. Eine ech­te Legen­de der Welt­ge­schich­te. Chruscht­schow und Ken­ne­dy hat­ten beim Wie­ner Tref­fen ihre Posi­tio­nen und Absich­ten längst geklärt. Ulb­richt muss seit­her als der Böse­wicht schlecht­hin herhalten.

Bis 1990 hat­ten die Vier Mäch­te – was immer aus­ge­blen­det wird – die Ober­ho­heit. BRD und DDR, Ber­lin-W und Ber­lin-O als Haupt­stadt der DDR waren begrenzt sou­ve­rän – im Rah­men ihrer Bünd­nis­se. Nur sag­te das nie­mand laut und öffentlich.

In den letz­ten 30 Jah­ren ein Roll­back ohne­glei­chen. Preu­ßens Glanz und Glo­ria vom Bun­des­tag abge­seg­net, in Beton gegos­sen, gol­den gekrönt und auf gehei­lig­tem Grund des ein­sti­gen Hohen­zol­lern-Eta­blis­se­ments. Das Schloss! Ein Tal­mi-Bau als Hum­boldt-Forum verbrämt.

Das Schö­ne an der Sto­ry? Das Fal­si­fi­kat auf der Spree-Insel steht nicht auf Ber­li­ner Grund und Boden, zumin­dest histo­risch gese­hen. Die erste deut­sche Samt­ge­mein­de bestand aus zwei Ört­lich­kei­ten. Der civi­tas colo­nen­sis oder colo­nia, links der Spree und 1237 zuerst urkund­lich aus­ge­wie­sen, und Ber­lin rechts­sei­tig gegen­über, sie­ben Jah­re spä­ter akten­kun­dig. Nur weil es dort eini­ge Stra­ßen mehr gege­ben haben soll, domi­niert seit­her die­ser Name.

Erst 1920 ver­lor das Schloss sei­nen Sta­tus als Guts­be­zirk im Land­kreis Nie­der­bar­nim. Wäre bloß alles 1904 unter land­rät­li­cher Obrig­keit mit Alt- und Neu-Wei­ßen­see fusio­niert und zu der ange­streb­ten Stadt Wei­ßen­see erho­ben wor­den. Die Geschich­te wäre anders ver­lau­fen. Preu­ßen-Ber­lin war allen Nach­barn suspekt. Die stil­le Preis­ga­be war wohl als Revan­che für die Ber­li­ner Land­räu­be­rei im Bran­den­bur­gi­schen gedacht.

Da seit alters her die ursprüng­li­che Zwing­burg auf Cöll­ni­schem Are­al ange­sie­delt war, soll­te end­lich mit Brief und Sie­gel akten­kun­dig gemacht wer­den: Der Klün­gel von civi­tas colo­nen­sis ali­as Ber­lin und colo­nia agrip­pi­na ali­as Köln küm­mert sich ab sofort um alles und beson­ders um das lie­be Geld. Als der erste Preu­ßen­kö­nig bei sei­nem Tode außer dem präch­ti­gen Schloss Char­lot­ten­burg, dem Zeug­haus und ande­ren Prunk­bau­ten 20 Mil­lio­nen Taler Schul­den hin­ter­ließ, kleb­te ein anony­mes Pla­kat am schlü­ter­schen Bau­werk: »Die­ses Schloss ist zu ver­mie­ten, und die Resi­denz Ber­lin ist zu verkaufen.«

Im Grun­de genom­men haben die rich­ti­gen Ber­li­ner am Ost­ufer der kor­set­tier­ten Spree weder mit dem Ur-Schloss noch mit dem beschö­nig­ten Uni­kum etwas am Hut. Mit der Coro­na und Inschrift ganz oben gleich gar nicht. Der Histo­ri­ker Jür­gen Zim­mer von der Ham­bur­ger Uni­ver­si­tät emp­fahl, das Bau­werk als Mahn­mal mit Sta­chel­draht aus allen Nazi-Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern zu umwinden!

Als Geor­ge-Floyd-Forum am Adolf-Wer­muth-Platz wür­de es Ber­lin Ehre machen. Die Neu­bau­sün­de aber bleibt verzeihlich.

Und sonst? Wir Ber­li­ner, hier gebo­ren oder zuge­reist, füh­len uns zwar als Groß­städ­ter, lie­ben beson­ders unse­ren Kiez, wo wir im wah­ren Leben zu Hau­se sind: in Wil­mers­dorf oder Hel­lers­dorf, in Schmar­gen­dorf, Bies­dorf, Kauls­dorf und Mahls­dorf, in Mari­en­dorf, Rei­nicken­dorf oder Zehlen­dorf. Das gilt für Tegel wie für den Wed­ding, Fried­richs­hain und Kreuz­berg. Bezeich­nen Sie bit­te nie einen Span­dau­er als Ber­li­ner! Alle, die nicht unmit­tel­bar im Zen­trum woh­nen, fah­ren »inne Stadt«, womit ihre Zuge­hö­rig­keit wohl ein­deu­tig erwie­sen ist.

Zu loben wäre ein groß­zü­gi­ges Ber­lin mit leben­di­ger Archi­tek­tur, einem Mit­ein­an­der von Alt und Neu. Niko­lai­vier­tel, Fern­seh­turm und Hen­sel­manns Frank­fur­ter Allee sind hier glei­cher­ma­ßen zu nen­nen wie das Han­sa­vier­tel und die Gro­pi­us­stadt im Süden, das Mär­ki­sche Vier­tel im Nor­den und Mar­zahn im Osten. Der abge­ris­se­ne Palast der Repu­blik geht auf das Kon­to einer Bun­des­tags­mehr­heit, wäh­rend das Gigan­to­ma­nia-ICC (Inter­na­tio­na­les Con­gress Cen­trum) denk­mal­ge­schützt seit Jah­ren kosten­in­ten­siv und unge­nutzt im Leer­stand dahin­däm­mert. Ein Schelm, der Schlech­tes und nur an Asbest denkt. Ber­lin eben.

 

Lese­emp­feh­lung: »Ein Schloss – wozu?« Ein Bei­trag von Eck­art Spoo, Ossietzky 15/​2015