Potsdam wird zur Stadt des Umweltfilms. Die Ökofilmtour war 2024 bereits zum 19. Mal im Land unterwegs (»Holy Shit«, Ossietzky 11, 2024). Premiere feierte das neue Festival Green Visions, das sich ebenfalls ökologischen Themen widmet. Vom 30. Mai bis 2. Juni waren im Filmmuseum und an weiteren Standorten Filme zu sehen, die sich der größten Herausforderung widmen, vor die sich die Menschheit durch ihre eigene Entwicklung gestellt sieht: der globalen Verantwortung für unseren Planeten gerecht zu werden.
Der Mensch kann nur überleben, wenn es ihm gelingt, eine neue Harmonie zu finden mit der Natur. Aber nicht das Lähmende, Erdrückende, Beängstigende, die Bedrohung unserer Existenz durch die Klimakatastrophe standen im Mittelpunkt des neuen Festivals, sondern die Ermutigung, die Impulse, die von einer Graswurzelbewegung ausgehen, von internationalen Verträgen zum Naturschutz, von Projekten, Initiativen, AktivistInnen, Ideen, von Einzelnen, die es schon anders machen. Festival-Direktor Dieter Kosslik warb mit Humor und Optimismus für ein breites Umwelt-Engagement. ProtagonistInnen wie Antje Boetius (»Das dunkle Paradies«), Maja Göpel (»Wir können auch anders«) und Frank Schätzing (»Der Schwarm«) gingen in Filmgesprächen auf die Fragen der Zuschauer ein. Simon Scholl, Mitbegründer des Kartoffelkombinats, erklärte die Idee, durch gemeinschaftsgetragene Wirtschaft die kapitalistischen Marktgesetze auszuhebeln. Das Modell funktioniert nicht nur in der Landwirtschaft, in der sich bereits ein Netzwerk von solidarisch wirtschaftenden Landwirtschaftsbetrieben (SoLaWis) gebildet hat. Frank Schätzing rief dazu auf, die größte Ressource zu nutzen, über die wir verfügen: die Kreativität. Auf dem Platz vor dem Filmmuseum stellten während des Festivals Betriebe und Initiativen aus dem Umland ihre Projekte für ein nachhaltiges Leben vor, darunter die KräuterZiegelei Treuenbrietzen und die Bauerei in Grube.
Eröffnet wurde das Festival mit dem Film »Les gardiennes de la planète« (engl. »Whale Nation«). Die Welt besteht aus Meeren, und die Meere gehören den Walen. Regisseur Jean-Albert Lièvre, der zum Gespräch angereist war, verriet, wie es gelingen konnte, diese faszinierenden Lebewesen zu filmen. Heathcote Williams Poem »Whale Nation« bildet die Textebene des Films.
Die Domäne des Umweltfilms ist die Dokumentation. Einfühlsam bis unter die Haut wird die Situation von UmweltaktivistInnen in dem Film »Bis hierhin und wie weiter?« von Felix Maria Blüher (D 2023) dargestellt. Der Film kommt demnächst in die Kinos. Um das optimistische Startup einer Seetangfarm geht es in »Send Kelp« von Blake McWilliam (Kanada 2023). Das erste Produkt »Canadian Kelpflakes Roasted« ist schon auf dem Markt. »Fashion reimagined« (Becky Hunter, GB 2022) ist inspiriert durch eine persönliche Revolte in der Konfektionsbranche, die zum Muster für den gesellschaftlichen Wandel wird. Amy Powney, erfolgreiche Designerin des Labels »Mother of Pearl«, erkennt den verschwenderischen Nonsens und die verheerenden Auswirkungen der Kleidungsindustrie auf die Umwelt und steckt das Preisgeld des Vogue-Awards, den sie gewann, in die Entwicklung einer nachhaltigen Kollektion. »Food, Inc. 2« (USA 2023), eine Fortsetzung der schockierenden Dokumentation »Food Inc.« (USA 2008) über die Lebensmittelindustrie, war während des Festivals erstmals in Deutschland zu sehen. Besonders berührt zeigte sich das Publikum von der norwegischen Dokumentation »Ukjent Landskap« (»A new kind of wilderness« 2024) über das Scheitern der Familie von Maria, Nik und ihren vier Kindern mit dem Versuch, als Selbstversorger auf einer Farm zu leben. »Delikado« (Philippinen, 2022) beleuchtet den verzweifelten Kampf einer Gruppe von Umweltschützern auf der Insel Palawan gegen eine verfehlte Politik. Um den illegalen Holzeinschlag im Regenwald zu stoppen, beschlagnahmen die Aktivisten Hunderte von illegalen Kettensägen. 13 von ihnen wurden ermordet. Trotzdem geben sie nicht auf: »Wir müssen das machen, weil sich sonst niemand findet.«
In »Deep Rising« (USA 2023) geht es um den faszinierenden Lebensraum der Tiefsee und des Meeresbodens, der von der extraktiven Industrie bedroht ist, und um das Ringen der Weltgemeinschaft, dieses Biotop vor unternehmerischem Gewinnstreben zu schützen, das auf der Suche nach Rohstoffen für Batterien die Manganknollen auf dem Meeresboden entdeckt hat und die Lagerstätten auszubeuten versucht. »Das Kombinat« (D 2023) ist eine Langzeitdoku über den Aufbau des Kartoffelkombinats in der Nähe von München, das heute die größte SoLaWi in Deutschland ist und ein Leuchtturmprojekt dieser Bewegung. Die Ideen und Hoffnungen, aber auch die Probleme solcher Projekte werden sichtbar. Mitbegründer Simon Scholl und Regisseur Moritz Springer kamen zum Filmgespräch. Aus der sechseiligen Serie »Wir können auch anders« (D 2023) wurden zwei Episoden gezeigt. Maja Göpel, Regisseur Lars Jessen und Schauspielerin Pheline Roggan diskutierten mit dem Publikum über diesen neuen Ansatz.
Aber auch Beiträge anderer Sparten gehörten zum Festivalprogramm. Gleichzeitig mit dem Eröffnungsfilm lief im Thalia die Deutschlandpremiere von »The end we start from« (GB 2023), ein Action-Thriller, der den Überlebenskampf einer jungen Mutter in der Klimakatastrophe zeigt, den verzweifelten Versuch, trotzdem ein Leben zu führen, einen Ort zu finden, ein zu Hause. Literarische Vorlage ist der gleichnamige Roman von Megan Hunter (London 2017, dt. Übers. von Karen Nölle »Vom Ende an«, C.H. Beck 2017). Seinen Ausklang nahm das Festival mit »Raiz« (»Through rocks and Clouds«, Peru 2024), einem Film über den achtjährigen Feliciano, der mit seiner Familie, seinem Hütehund Rambo und seinem Alpaka Ronaldo als Hirte in den Anden aufwächst. Seine Welt ist vom Bergbau und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen bedroht. Die indigene Bevölkerung wehrt sich mit einer Straßen-Blockade. Für Raiz ist die Qualifikation der peruanischen Nationalmannschaft für die Fußball-WM das größte Ereignis. Geduldig erklärt er seinem Alpaka Ronaldo, den er wie Claudio Pizarro frisieren lässt, wo die WM stattfinden soll. Gemeinsam brechen sie sogar einmal in die Schule ein, damit Feliciano Ronaldo zeigen kann, wo das Land liegt, in dem die WM stattfinden soll. Wie wichtig ein Fußball-Tor sein kann und wie groß sein Widerhall manchmal ist, zeigt dieser Film mit berührenden Bildern.
Die Einreichungen für das Kurzfilmprogramm kamen aus den 21 UNESCO Cities of Film, ein Netzwerk, zu dem Potsdam seit 2019 gehört. Vier ausgewählte Beiträge wurden auf dem Festival gezeigt: »God is Born« (PL 2023), »Wild Reconnection« (Irland 2023), »El Tiempo de la Terra« (Argentinien 2024) und »Hot Stuff« (D 2023). In Kooperation mit dem VR-Business-Club und der Universität Potsdam wurde auch eine Auswahl von VR-Filmen gezeigt, darunter besonders beeindruckend »Water & Coltan« (D / Kongo 2021), in dem es um die Ausbeutung von Frauen im Bergbau geht, und »Genesis« (D 2021), eine meisterhafte Visualisierung der Erdgeschichte, die deutlich macht, welchen verschwindend kleinen Anteil die Blüte der menschlichen Kultur hat.
Die Premiere für das Film-Festival Green Visions war eingebettet in ein unruhiges Wochenende mit mächtigen Freitagsdemos und der traditionellen ADFC-Sternfahrt nach Berlin. Im Lustgarten, dem Filmmuseum gegenüber, lud The World of Motorshow zu einer ganz anderen Art von Performance ein, die ein anderes Publikum und andere Interessen ansprach. Von alledem unberührt dröhnte endlos die Blechlawine auf der Breiten Straße in beiden Richtungen vorbei und blies CO2 in die Atmosphäre. Und die Sonne brannte heiß vom Zenit. Wir können nicht nur anders, wir müssen anders. »Was auch immer wir tun können, das müssen wir tun« (Food Inc. 2).
Das Festival Green Visions wurde vom Publikum und von der Presse begeistert aufgenommen. Darüber, dass es fortgesetzt werden soll, waren sich alle einig. Hier hört und sieht man das Gras wachsen und das Plankton in den dunklen Tiefen des Meeres leuchten. Für die Zukunft.