»Tatsächlich sprechen Meteorologen im amerikanischen Westen jetzt von ›Feuer-Jahreszeiten‹, als sei das so normal wie der Frühling, aber das ist es nicht. Das alles geschieht aufgrund menschlicher Eingriffe in die Natur von Seiten der Großkonzerne, die die ganze Welt zerstören. Wenn Politiker Umweltschützer angreifen und den Klimawandel als Schwindel bezeichnen, tun sie das nur, um dem Interesse der Konzernkapitalisten zu dienen statt der Umwelt.« – So Mumia Abu-Jamal am 8. Januar in seiner – immer noch aus der Haft gesendeten – diesjährigen Grußbotschaft an die XXVII. Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt. Er zitierte Herbert Marcuse, der schrieb, dass die »kommerzialisierte, verschmutzte und militarisierte Natur die Lebenswelt des Menschen nicht nur im ökologischen, sondern auch in einem sehr existentiellen Sinn beschnitten« habe. »Sie verhindert die erotische Besetzung (und Transformation) seiner Umwelt; sie nimmt dem Menschen die Möglichkeit, sich in der Natur wiederzufinden, jenseits und diesseits der Entfremdung; sie hält den Menschen auch davon ab, die Natur als Subjekt eigenen Rechts anzuerkennen.«
Es verblüfft, dass ein Mensch, dessen Naturkontakt besonders brutal unterbunden ist, weil er im Dezember 2021 sein vierzigstes Jahr hinter Gefängnisgittern zählen musste, sich so präzise für die Aufhebung des politisch verschuldeten Grundwiderspruchs einsetzt, in dem sich die Menschheit mittlerweile befindet. Abu-Jamal weist allerdings darauf hin, dass es sich nur um einen Teil der Menschheit handelt, der dafür verantwortlich zu machen ist: Die indigenen Völker haben »in Einklang mit der Natur und ihrem ökologischen Erbe« gelebt. »Das waren Menschen, die die Europäer ›Wilde‹ nannten, aber nach mehreren Jahrhunderten der Eroberung und Dezimierung der Natur« und der »industrielle[n] Revolution befindet sich das Klima der Erde in einer Krise. Man fragt sich, wer hier wirklich ›die Wilden‹ sind.«
Ungebrochen ist Mumia Abu-Jamals Wille, immer wieder Beiträge zum politischen Kampf für die Emanzipationsbewegungen weltweit zu leisten. Und das, obwohl er persönlich von weiterer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes betroffen ist und obwohl er einen Rückschlag seiner Bemühungen um die Wiederaufnahme seines juristischen Verfahrens von 1982 hinnehmen musste.
Während seiner verspätet behandelten Corona-Erkrankung im vergangenen Frühjahr wurde eine Herzinsuffizienz festgestellt, die im April eine doppelte Bypass-Operation nötig machte. Trotz Protesten der Unterstützerbewegung wurde Abu-Jamal vor und nach dem Eingriff an Händen und Füßen ans Bett gefesselt – eine offenbar gängige Praxis im Strafvollzug, die auch dann beibehalten wird, wenn der Gefangene allein schon wegen seines Alters und diverser Vorerkrankungen nicht mehr fluchtverdächtig sein dürfte.
Außerdem hat Abu-Jamal immer wieder bekräftigt, dass er auf ein neues Gerichtsverfahren besteht, um seine Unschuld im Falle des ihm vorgeworfenen Polizistenmords von 1981 zu beweisen. Das zwanzig Jahre gegen ihn bestehende Todesurteil wurde 2011 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt, weil die Justiz selbst erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Prozesses eingestehen musste. Das hat jedoch bis heute nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens geführt. Die Art und Weise, wie das immer wieder verhindert wurde, offenbart, wie stark der angebliche Rechtsstaat USA in Wirklichkeit von politischen Eingriffen geprägt ist. So hat der zuständige, einem neuen Verfahren anfangs aufgeschlossene Staatsanwalt Larry Krasner plötzlich eine Kehrtwendung vollzogen und gegen ein neues Verfahren entschieden, wodurch eine 2018 getroffene Gerichtsentscheidung hinfällig wurde. Erklärbar ist das nur, wenn man annimmt, dass die übermächtige, den Fall von Anfang an hochgradig manipulierende Polizeigewerkschaft Krasner unter Druck gesetzt hat. Dass das gelang, ist umso erstaunlicher, weil seit 2018 ein wahrer Tresor an Beweismitteln zur Verfügung steht, die die Wiederaufnahme des Verfahrens geradezu erzwingen: Wie an dieser Stelle schon berichtet, wurden in Abstellräumen der Staatsanwaltschaft sechs »vergessene« Archivkartons mit Materialien des ersten Prozesses gefunden, die dessen Rechtsverletzungen mehrfach belegen. Das betrifft insbesondere den »Kauf« von angeblichen Zeugen. So lagerte in den Kisten ein Brief eines als Hauptzeuge fungierenden Taxifahrers an den damaligen Staatsanwalt, in dem versprochenes »Geld« eingefordert wird. Mindestens ebenso gravierend ist die Manipulation der Mitgliederliste der Jury. Hinter die Namen wurden Kürzel eingefügt: »b« für black und »w« für white, worauf der systematische Ausschluss von Afroamerikanern folgte.
Mit diesen und anderen Manipulationsnachweisen hat die Verteidigung Mumia Abu-Jamals im November 2021 erneut den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Dass sie sich entschloss, zumindest einen Teil der in den Kisten befindlichen Beweismittel in die Öffentlichkeit zu bringen – womit diese ihre Gerichtswirksamkeit verlieren –, lässt die Vermutung zu, dass noch erheblich mehr Beweismittel vorhanden sind. Laut Johanna Fernandez von der »Campaign to Bring Mumia Home«, werfe das in den Kisten befindliche Material »ein grelles Licht auf Jahrzehnte weißer Vorherrschaft und grassierender Gesetzlosigkeit in den Gerichten und Gefängnissen der USA. Es enthält aber auch riesige Möglichkeiten für die Freiheit Mumia Abu-Jamals.«
Allerdings lehrt die Erfahrung, dass gerichtliche Entscheidungen in diesem Fall oft sehr langwierig sind. Wie politisch relevant er nach wie vor ist, zeigt sich aktuell in der Wahlkampagne eines rechts-außen angesiedelten Anwalts namens George Bochetto, der Senator in Pennsylvania werden möchte. Mit Unterstützung der Polizeigewerkschaft wirbt er für die Aufrechterhaltung der lebenslangen Haftstrafe Abu-Jamals.
Diese politische Relevanz ist es wohl, die verhindert, dass Mumia Abu-Jamal auf dem Gnadenwege entlassen wird, wie es hin und wieder bei starker Erkrankung von Häftlingen praktiziert wird. Im vergangenen Jahr kamen David Gilbert, ein Mitglied der Black Liberation Army und Russell Shoatz, ein ehemaliger Black Panther, mit dieser Begründung frei.