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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gorleben-Treck: Spurensuche

Die Nut­zung der Atom­kraft in Deutsch­land bleibt ein Aus­lauf­mo­dell, auch wenn es gegen­wär­tig zuneh­mend Stim­men gibt, die mit Blick auf die Kli­ma­kri­se Atom­kraft­wer­ke als angeb­lich CO2-freie Ener­gie­trä­ger prei­sen. Doch selbst die Betrei­ber der Atom­kraft­wer­ke – Eon, RWE und EnBW – wol­len das Fass nicht noch ein­mal auf­ma­chen, sie haben sich stra­te­gisch neu aus­ge­rich­tet und set­zen auf die rege­ne­ra­ti­ven Ener­gien. Das Stan­dard­werk von Joa­chim Rad­kau (»Auf­stieg und Kri­se der deut­schen Atom­wirt­schaft«, Rowohlt, 1983) muss also nicht um ein wei­te­res Kapi­tel fort­ge­schrie­ben werden.

Der Histo­ri­ker beschrieb einst die Geschich­te der deut­schen Atom­wirt­schaft unter wech­seln­den Aspek­ten. Rad­kau ver­wies auf die poli­ti­schen Ursprün­ge, die mit der nuklea­ren Teil­ha­be und einem mili­tä­ri­schen Nut­zen eng ver­wo­ben waren (Stich­wort: Atom­mi­ni­ster Franz Josef Strauß). Er setz­te sich zudem mit den tech­no­lo­gi­schen und öko­no­mi­schen Fra­gen detail­liert aus­ein­an­der und konn­te so unter­mau­ern, dass die Strom­wirt­schaft nahe­zu gedrängt wor­den war, statt auf die Koh­le­ver­stro­mung auf die Atom­kraft zu set­zen – flan­kiert und gelockt von För­der­mil­li­ar­den. Die Sum­me der­ar­ti­ger direkt bere­chen­ba­rer Begün­sti­gun­gen für den Zeit­raum 1956 bis 2006 betrug nach Anga­ben des Deut­schen Insti­tuts für Wirt­schafts­for­schung (DIW) 45,2 Mil­li­ar­den Euro. Über­schlägt man die For­schungs­aus­ga­ben der Bun­des­län­der und der EU, so lagen die öffent­li­chen Aus­ga­ben für die deut­sche Atom­ener­gie in die­sem Zeit­raum bei etwa 50 Mil­li­ar­den Euro.

Indu­strie­po­li­tisch ist die­ses Kapi­tel der Ener­gie­ver­sor­gung mit sei­nen zivil-mili­tä­ri­schen Facet­ten recht gut erforscht, ein ärger­li­ches Relikt ist die Uran­an­rei­che­rungs­an­la­ge in Gro­nau, die vom Atom­aus­stieg aus­ge­klam­mert wurde.

Weni­ger gut erforscht ist die Bewe­gungs­ge­schich­te selbst. Rad­kaus Blick auf die Bewe­gung war nicht von son­der­li­cher Sym­pa­thie geprägt. Er schrieb in sei­nem Fol­ge­band, den er gemein­sam mit Lothar Hahn ver­fass­te: »Anti-Atom-Pam­phle­te, die zur Selbst­be­stä­ti­gung der Pro­test­be­we­gung die­nen, gibt es seit vier­zig Jah­ren in Hül­le und Fül­le. Aber eine nur mora­li­sie­ren­de Sicht, die in der Atom­kraft die Macht des Bösen erblickt – ob des Groß­ka­pi­tals, des wis­sen­schaft­li­chen Grö­ßen­wahns oder der mit der Bom­be lieb­äu­geln­den Macht­po­li­tik – ver­sperrt das Ver­ständ­nis der bun­des­deut­schen Kern­ener­gie-Geschich­te. Auf die­se Wei­se lernt man nicht aus ihr.« (»Auf­stieg und Fall der deut­schen Atom­wirt­schaft«, oekom, 2013, S. 11/​12)

Der Par­force­ritt durch Frei­heits­be­we­gun­gen von Hell­mut G. Haa­sis hin­ge­gen (»Spu­ren der Besieg­ten. Frei­heits­be­we­gun­gen vom demo­kra­ti­schen Unter­grund nach 1848 bis zu den Atom­kraft­geg­nern«, Rowohlt, 1984) endet im drit­ten Band mit der Räu­mung der Frei­en Repu­blik Wend­land 1981. Erfri­schend, dass die­se Geschich­te von unten vie­le Text­do­ku­men­te ein­streut und sie dadurch leben­dig wer­den lässt. Der Ver­such, die Geschich­te – nicht immer der Besieg­ten (!) – von unten zu schrei­ben, gleicht einem Wirr­warr mit vie­len Fäden, die ver­kno­tet wer­den müss­ten, einem Puz­zle mit vie­len Unbe­kann­ten. Und so ist es längst die »Bewe­gung« selbst, die sich selbst zum For­schungs­ge­gen­stand erklärt – sekun­diert von For­schungs­ein­rich­tun­gen. Ein Bei­spiel von vie­len ist der legen­dä­re Gor­le­ben-Treck nach Han­no­ver. Vor gut 40 Jah­ren – am 25. März 1979 – mach­te sich im Wend­land ein Kon­voi von rund 350 Treckern unter dem Mot­to »Albrecht, wir kom­men!« auf den Weg in die nie­der­säch­si­sche Landeshauptstadt.

Der Gor­le­ben-Treck gilt man­chen als Initi­al­zün­dung einer der wich­tig­sten sozia­len Bewe­gun­gen der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te. Die Anti-Atom-Bewe­gung war zuvor lokal begrenzt: 1973 wur­de Wyhl als Stand­ort für ein Atom­kraft­werk am Kai­ser­stuhl genannt. Nach­dem ein sol­ches Pro­jekt am Wider­stand der »Bevöl­ke­rung« geschei­tert war, flamm­te der Kon­flikt in Nord­deutsch­land mit dem Bau­be­ginn des AKW Brok­dorf (1976) und dem Gor­le­ben-Pro­jekt (1977) auf.

Zwei Jah­re zuvor hat­te der dama­li­ge Mini­ster­prä­si­dent Ernst Albrecht (CDU) das Elb­dorf Gor­le­ben zum Stand­ort für ein Nuklea­res Ent­sor­gungs­zen­trum (NEZ) erklärt. Das Herz­stück neben einer Brenn­ele­men­te­fa­brik, ober­ir­di­schen Puf­fer­la­gern für den Atom­müll und einer unter­ir­di­schen End­la­ge­rung im Salz­stock Gor­le­ben-Ram­bow soll­te eine Wie­der­auf­ar­bei­tungs­an­la­ge (WAA) sein, in der abge­brann­te Brenn­ele­men­te recy­celt wür­den. Im Klar­text: Plu­to­ni­um soll­te abge­schie­den wer­den, und Plu­to­ni­um – hier schim­mert der Ursprung des deut­schen Atom­pro­gramms hin­durch – wäre mili­tä­risch für den Bom­ben­bau nutz­bar oder wür­de, wie es teil­wei­se auch geschah, bei der Fer­ti­gung von Brenn­ele­men­ten bei­gemischt, um einen höhe­ren Abbrand zu errei­chen und damit mehr Ener­gie freizusetzen.

Das NEZ stieß auf uner­war­te­ten Wider­stand. Mobi­li­siert durch die teil­wei­se Kern­schmel­ze im Atom­kraft­werk Three Mile Island bei Har­ris­burg (USA) am 28. März 1979 schlos­sen sich zahl­rei­che Men­schen dem Treck nach Han­no­ver an. Als der Pro­test­zug am 31. März in Han­no­ver ankam, war er auf über 500 Trak­to­ren ange­wach­sen und wur­de von rund 100.000 Men­schen emp­fan­gen – bis dahin die größ­te Anti-Atom-Demon­stra­ti­on in Deutsch­land. Auf ihrer Kund­ge­bung for­der­ten die Lüchow-Dan­nen­ber­ger Land­wir­te den Mini­ster­prä­si­den­ten auf, die Plä­ne für das NEZ im Wend­land auf­zu­ge­ben. Der öffent­li­che Druck zeig­te Wir­kung, eine Woche spä­ter erklär­te Albrecht die WAA im Wend­land für »poli­tisch nicht durch­setz­bar«. Im Bun­des­tag schob er noch eine Erklä­rung nach: Die Lan­des­re­gie­rung sei nicht bereit, »auf ver­äng­stig­te Men­schen zu schie­ßen«, damit die Anla­ge gebaut wer­den kön­ne, die zwar wün­schens­wert, aber im Augen­blick nicht not­wen­dig sei (Elbe-Jeet­zel-Zei­tung 5.7.1979, zitiert nach Wolf­gang Ehm­ke: »Zwi­schen­schrit­te«, Köl­ner Volks­blatt-Ver­lag 1987).

Den Treck haben aktu­ell zwei Aus­stel­lun­gen zum The­ma. Die Son­der­schau »Trecker in Han­no­ver« über den Treck und die Bewe­gung zum Atom­aus­stieg ist noch bis zum 28. Juli im Histo­ri­schen Muse­um Han­no­ver zu sehen. Im Kreis­haus Lüchow wird bis 30. Juni die Aus­stel­lung »Der Gor­le­ben-Treck – 40 Jah­re danach« gezeigt, im Anschluss soll die Aus­stel­lung auf Wan­der­schaft gehen. Das Pro­jekt ent­stand in Koope­ra­ti­on mit dem Insti­tut für Didak­tik der Demo­kra­tie an der Leib­niz Uni­ver­si­tät Han­no­ver und dem Histo­ri­schen Muse­um Han­no­ver. Mit Doku­men­ten, Erin­ne­rungs­stücken und illu­stra­ti­ven Insze­nie­run­gen wird die poli­ti­sche Bedeu­tung des Trecks gewür­digt. Bei­de Aus­stel­lun­gen – die in Lüchow und die in Han­no­ver – befas­sen sich zwar mit dem glei­chen The­ma, unter­schei­den sich aber vom Gestal­tungs­kon­zept wie auch vom inhalt­li­chen Schwer­punkt her deut­lich von­ein­an­der, offen­ba­ren dadurch For­schungs­lücken und laden zu wei­te­ren Nach­for­schun­gen ein.

Die Aus­stel­lung im Wend­land lenkt den Blick auf die gesell­schaft­li­che Bedeu­tung des Trecks, der nicht nur die Atom­po­li­tik beein­flusst, son­dern auch das Leben vie­ler Men­schen geprägt und ver­än­dert hat. Sie zeigt die Ent­wick­lung der Regi­on aus der Per­spek­ti­ve von Men­schen, die ent­we­der schon damals dabei waren oder heu­te das fort­set­zen, was die Alten begon­nen haben. Im Mit­tel­punkt ste­hen – neben histo­ri­schen Fotos und Film­do­ku­men­ten – mehr als zwan­zig aus­ge­wähl­te Zeit­zeu­gen-Inter­views, die das Spek­trum der wend­län­di­schen Pro­test­be­we­gung widerspiegeln.

Wer aber was und mit wem »ange­sto­ßen« hat, ist damit auch noch nicht erzählt. Es sind jene »Zufäl­le«, Begeg­nun­gen und Erleb­nis­se, die aus dem Zusam­men­wir­ken von Men­schen her­vor­ge­hen. Die­se Din­ge sind noch weit­ge­hend uner­forscht, obwohl sie sich als Initi­al­kraft für gro­ße poli­ti­sche Ver­än­de­run­gen ent­pupp­ten. Damit eine Idee vie­le Bei­ne bekommt, und eine poli­ti­sche Kraft ent­wickelt, um Erfol­ge zu erzie­len, reicht die Idee allein nicht aus. Erst recht nicht eine Kopie des­sen, was ande­re Men­schen an ande­rer Stel­le gemacht haben. Im Zwei­fel blei­ben Resi­gna­ti­on, Fru­stra­ti­on, Niederlage.

In die­sem Fall kam es bekannt­lich anders. Wie kam es zu der Treck­idee, die die Initi­al­kraft für spä­te­re Erfol­ge entfaltete?

Es steht außer Fra­ge, dass der Treck der Bäue­rin­nen und Bau­ern vom süd­fran­zö­si­schen Lar­zac nach Paris die Blau­pau­se für die Idee bil­de­te. Maß­geb­lich war zum einen der Kon­takt, den Mar­tin Mom­baur zu fran­zö­si­schen und deut­schen Aktivist*innen hat­te, die sich auf dem Pla­teau du Lar­zac enga­gier­ten. Mom­baur war 1975 Dozent am Bil­dungs­zen­trum Jagd­schloss Göhr­de, enga­gier­te sich nach der Stand­ort­be­nen­nung Gor­le­bens in der Bür­ger­initia­ti­ve Umwelt­schutz Lüchow-Dan­nen­berg e. V. als Pres­se­spre­cher und gehör­te spä­ter zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der Grü­nen. Der Jour­na­list Karl-Fried­rich Kas­sel erin­nert sich an die Gesprä­che mit ihm über die Fra­ge, ob man so etwas auch machen kön­ne. (Karl-Fried­rich Kas­sel: »Ein wei­ßer Fleck in der Genea­lo­gie der Namen des Gor­le­ben-Wider­stan­des: Mar­tin Mom­baur«, Blog-Bei­trag 2019, https://www.bi-luechow-dannenberg.de/2019/06/13/25515/)

Zu Mom­baurs Gesprächs­part­nern gehör­ten auch Hei­di Bur­me­ster und Vol­ker Ton­nätt. Bur­me­ster hat­te auf einer ihrer Süd­frank­reich­rei­sen Ende der 1970er Jah­re den Lar­zac-Kampf ken­nen­ge­lernt. Sie befreun­de­te sich mit einem dort ansäs­si­gen Bau­ern, orga­ni­sier­te Aus­tausch­be­su­che zwi­schen Aktivist*innen aus dem Wend­land und vom Lar­zac, gemein­sam mit Vol­ker Ton­nätt inter­view­te und foto­gra­fier­te sie die dort kämp­fen­den Bau­ern und Bäue­rin­nen. (Hei­di Burmester/​Volker Ton­nätt: »Zu kämp­fen allein schon ist rich­tig. Lar­zac«, Jugend und Poli­tik, 1981)

Lar­zac ist der Name einer Hoch­ebe­ne im süd­fran­zö­si­schen Depar­te­ment Avey­ron. Als 1970 durch­sicker­te, dass der dort bestehen­de Trup­pen­übungs­platz um 14.000 Hekt­ar erwei­tert wer­den soll­te, schlos­sen sich die betrof­fe­nen Bau­ern in einem Komi­tee zur Ret­tung des Lar­zac zusam­men. Es begann eine Mobi­li­sie­rungs­wel­le, deren Son­der­hei­ten zahl­rei­che Par­al­le­len zum Kampf gegen Gor­le­ben als Atom­müll­de­po­nie auf­wie­sen: Die zahl­lo­sen Lar­zac-Komi­tees in Frank­reich ähneln den spä­te­ren Gor­le­ben-Freund­schafts­krei­sen, Unterstützer*innen kamen auf dem Lar­zac zusam­men, um vom Mili­tär auf­ge­kauf­te und unter­des­sen ver­fal­len­de Hof­stel­len wie­der auf­zu­bau­en, die gekapp­te Was­ser- und Strom­ver­sor­gung zu erneu­ern – auch in Gor­le­ben gab es Som­mer­camps und Ern­te­ein­sät­ze, unter ande­rem um die Kluft zwi­schen der städ­ti­schen Lin­ken und der kon­ser­va­ti­ven Land­be­völ­ke­rung zu über­brücken, erklärt einer der dama­li­gen Initia­to­ren der Som­mer­camps, Wolf­gang Hät­scher-Rosen­bau­er, damals Refe­rent für poli­ti­sche Bil­dung beim Bund Deut­scher Pfad­fin­der (BDP) im Lan­des­ver­band Hes­sen und Mit­or­ga­ni­sa­tor des ersten Som­mer­camps in der Nach­bar­schaft zum NEZ Gor­le­ben. Er schreibt dazu:

»In der Tra­di­ti­on der Pfad­fin­der­be­we­gung gab es ›Kund­schaf­ten‹, und der links ori­en­tier­te BDP hat­te die Idee zu ›Poli­ti­schen Kund­schaf­ten‹. Im Rah­men des Bil­dungs­ur­lau­bes führ­ten wir also ›Poli­ti­sche Kund­schaf­ten‹ als Bil­dungs­ur­lau­be durch: Ich orga­ni­sier­te in Hes­sen im Rah­men mei­ner Tätig­keit als Bil­dungs­re­fe­rent poli­ti­sche Kund­schaf­ten als Besu­che in selbst­ver­wal­te­ten Jugend­zen­tren […] Auf Bun­des­ebe­ne ver­an­stal­te­ten wir poli­ti­sche Kund­schaf­ten zum Bei­spiel nach Irland mit Besu­chen basis­de­mo­kra­ti­scher Initia­ti­ven. Ein Bil­dungs­ur­laub auf dem Lar­zac war ein The­ma, und ich rei­ste mit Wolf­gang Hip­pe vom Lan­des­ver­band Rhein­land-Pfalz des BDP dort­hin zur Recher­che vor Ort, wir kamen in ein ver­las­se­nes Dorf, das zum Ver­kauf stand, und es ent­stand die Idee eines Semi­nar­zen­trums dort. Das schei­ter­te u. a. an den Finan­zen. Aber so lern­ten Wolf­gang Hip­pe und ich uns näher ken­nen, und es kam die Idee auf, die poli­ti­schen Kund­schaf­ten in Deutsch­land auf die ent­ste­hen­de Anti-AKW-Bewe­gung aus­zu­wei­ten. So ent­stand die Idee, nach eini­gen Besu­chen der Regi­on Gor­le­ben, die uns sehr gefiel (das Wend­land ist schon sehr beson­ders), ein Gor­le­ben-Camp als Bil­dungs­ur­laub und ›Poli­ti­sche Kund­schaft‹ im Rah­men des BDP bun­des­weit zu orga­ni­sie­ren.« (Per­sön­li­che Zuschrift)

Ins­ge­samt vier­mal zogen die Bäuer*innen vom Lar­zac nach Paris, einer der Höhe­punk­te war der Treck 1973. Die Bil­der von gra­sen­den Scha­fen unter dem Eifel­turm gin­gen um die Welt. Eine »Arche« mit Vieh­zeug wur­de schließ­lich auch vor dem Land­tag in Han­no­ver errich­tet, als die Lan­des­re­gie­rung in einem zwei­ten Anlauf die Wie­der­auf­ar­bei­tungs­an­la­ge in Dra­gahn, im West­kreis Lüchow-Dan­nen­bergs, errich­ten las­sen woll­te. Im Janu­ar 1983 wird nach einem Fuß­marsch nach Han­no­ver – erst 10, dann 100, dann 1000 Per­so­nen – mit Vieh­zeug und Trak­to­ren demonstriert.

Mari­an­ne Frit­zen als Grün­dungs­mit­glied der Bür­ger­initia­ti­ve kann­te den Lar­zac-Wider­stand eben­falls. Sie stand als gebo­re­ne Elsäs­se­rin in stän­di­gem Aus­tausch mit den Initia­ti­ven im Dreyecks­land, denn zeit­gleich, bis dahin aber ohne jene Mobi­li­sie­rungs­kraft wie in Wyhl, begann im Wend­land die Anti-Atom-Arbeit. Im Dezem­ber 1973 wur­den die Plä­ne bekannt, bei Lan­gen­dorf an der Elbe ein Atom­kraft­werk zu bau­en. Lan­gen­dorf liegt nur zehn Kilo­me­ter elb­ab­wärts von Gor­le­ben entfernt.

Wolf­gang Hertle schreibt dazu: »So wie die Wend­land-Bau­ern die Trecker­de­mon­stra­ti­on (710 Kilo­me­ter von Lar­zac nach Paris 1973) zum Vor­bild für ihren Treck 1979 vom Wend­land nach Han­no­ver nah­men, gab die Arbeit des Zen­trums für Gewalt­frei­heit »Le Cun du Lar­zac« ent­schei­den­de Impul­se für den Auf­bau eines Tagungs­hau­ses für gewalt­freie Akti­on im Wend­land.« (Wolf­gang Hertle: »Adieu Mari­an­ne!« 2016, https://www.graswurzel.net/gwr/2016/05/adieu-marianne/

Wie­der ist es Wolf­gang Hertle, der auf eine wei­te­re zufäl­li­ge Ver­bin­dung ver­weist, die Mari­an­ne Frit­zen inspi­rier­te: Für die Gras­wur­zel­grup­pen war es ein glück­li­cher Umstand gewe­sen, dass eines ihrer ersten bun­des­wei­ten Tref­fen im Som­mer 1974 auf der Schel­in­ger Höhe im Kai­ser­stuhl statt­fand. Durch die Ver­mitt­lung der Gewalt­frei­en Akti­on Frei­burg kamen die Teil­neh­me­rin­nen über die Gesprä­che mit füh­ren­den Mit­glie­dern der dor­ti­gen Bür­ger­initia­ti­ve erst­mals in inten­si­ve­re Berüh­rung mit der Pro­ble­ma­tik der »zivi­len Atom­in­du­strie«. »Die­ser Zugang über per­sön­li­che Kon­tak­te vor Ort wirk­te sich weit nach­hal­ti­ger aus, als es eine nur über Lite­ra­tur erfolg­te Beschäf­ti­gung mit dem The­ma ver­mocht hät­te. Die Bau­platz­be­set­zung in Wyhl im Früh­jahr 1975 hat­te zwei­fel­los eine Schlüs­sel­funk­ti­on sowohl für die bun­des­wei­te Anti-AKW-Bewe­gung als auch für die Wahr­neh­mung der Gesamt­pro­ble­ma­tik in der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit.« (Wolf­gang Hertle: »Lar­zac, Wyhl, Brok­dorf, Seab­rook, Gor­le­ben«, 2015, https://castor.divergences.be/spip.php?article450)

All die­se Fäden lie­fen im März 1980 im Wend­land zusam­men: Bau­ern aus Badisch-Sibi­ri­en, also Box­berg und Schwab­hau­sen, die sich gegen eine Daim­ler-Benz-Test­strecke wehr­ten, Leu­te aus Plo­g­off in der Bre­ta­gne, wo ein AKW-Kom­plex errich­tet wer­den soll­te, und vom Lar­zac kamen in Tre­bel zusam­men, dort wur­de ein Zelt auf­ge­baut, vor dem die Bund­schuh­fah­ne weh­te, ein Sym­bol wider­stän­di­ger Bau­ern im Elsass und in Baden Anfang des 16. Jahrhunderts.

1981 annul­lier­te Fran­çois Mit­te­rand als neu­ge­wähl­ter Prä­si­dent das Vor­ha­ben, in Plo­g­off Atom­kraft­wer­ke zu errich­ten, und schließ­lich auch den Plan, den Trup­pen­übungs­platz auf dem süd­fran­zö­si­schen Lar­zac-Pla­teau zu erwei­tern. Bis heu­te wirkt das Bei­spiel des Lar­zac-Wider­stands inspi­rie­rend auf Basis­be­we­gun­gen in aller Welt. Der Salz­stock Gor­le­ben als mög­li­ches End­la­ger für hoch­ra­dio­ak­ti­ve Abfäl­le ist noch nicht annul­liert. Aber nah dran an der Blau­pau­se ist man im Wend­land schon.