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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Goldman Sachs und mein Krebs

Das ist per­vers. Am 12. Sep­tem­ber berich­te­te das ARD-Polit­ma­ga­zin Pan­ora­ma: Fast alle gro­ßen Phar­ma­un­ter­neh­men welt­weit, dar­un­ter auch Bay­er, sind aus der For­schung an Anti­bio­ti­ka, ins­be­son­de­re zur Bekämp­fung der immer gefähr­li­cher wer­den­den resi­sten­ten Kei­me, aus­ge­stie­gen. Die Begrün­dung: Die »Pro­fit­aus­sich­ten« sei­en zu gering!

Dabei ster­ben jedes Jahr zehn­tau­sen­de Men­schen in der EU an den Fol­gen einer Infek­ti­on mit resi­sten­ten Kei­men, davon bis zu 3000 in Deutsch­land. Die OECD warn­te schon 2018: Rund 2,4 Mil­lio­nen Men­schen könn­ten bis zum Jahr 2050 in Euro­pa, Nord­ame­ri­ka und Austra­li­en an mul­ti­re­si­sten­ten Kei­men ster­ben, wenn der gegen­wär­ti­ge Trend bei der Ver­brei­tung der Erre­ger anhält und die Poli­tik nicht gegen­steu­ert. Aber, so Pan­ora­ma: »Mit­tel gegen Krebs sind für die Kon­zer­ne lukrativer.«

Dann infor­mier­te 3sat am 19. Sep­tem­ber in der Sen­dung Sco­bel über die Ein­stel­lung einer ande­ren Stu­die: Ein Pro­gramm zur Hei­lung von Alz­hei­mer mit 3200 Teil­neh­mern welt­weit wur­de 2019, knapp ein Jahr vor dem Ende, über Nacht abge­bro­chen – was die Betrof­fe­nen aus den Medi­en erfuhren.

»Für die Alz­hei­mer-For­schung ist das ein her­ber Rück­schlag, da es sich um ein bis dato viel­ver­spre­chen­des Medi­ka­ment han­delt, das bei posi­ti­vem Ver­lauf bereits 2023 auf dem Markt ver­füg­bar gewe­sen wäre«, kom­men­tier­te Richard Dodel, Neu­ro­lo­ge an der Uni­ver­si­tät Duis­burg-Essen, den Stu­di­en­ab­bruch. Jetzt sei es wich­tig, die Alz­hei­mer-For­schung for­ciert zu fördern.

An die­ser För­de­rung durch die öffent­li­che Hand scheint es zu feh­len, obwohl es allein in Deutsch­land mehr als 1,7 Mil­lio­nen Alz­hei­mer-Kran­ke gibt. Auch die abge­bro­che­ne Alz­hei­mer-For­schung war von pri­va­ten Geld­ge­bern des US-ame­ri­ka­ni­schen Phar­ma­kon­zerns Bio­gen abhän­gig, die wie üblich dar­auf hoff­ten, durch stei­gen­de Akti­en­kur­se schnel­len Pro­fit zu machen. Als sich die Aus­sich­ten min­der­ten, mit dem Medi­ka­ment bald auf den Markt zu kom­men, stieg Bio­gen aus. Wie das Han­dels­blatt berich­te­te, min­der­te das inner­halb weni­ger Stun­den den Bör­sen­wert der Fir­ma um 17 Mil­li­ar­den Dollar.

Bereits 2018 sind unter ande­rem die Phar­ma­rie­sen John­son & John­son, Lil­ly sowie Merck & Co. und Nov­ar­tis wegen man­geln­der Erfolgs­aus­sich­ten aus Alz­hei­mer-Pro­jek­ten aus­ge­stie­gen; Markt­füh­rer Pfi­zer sogar kom­plett aus der gesam­ten Alz­hei­mer-For­schung, denn die For­schung sei nicht lukra­tiv genug. Ber­nie San­ders sag­te kürz­lich in der von ABC über­tra­ge­nen Debat­te der demo­kra­ti­schen US-Prä­si­dent­schafts­be­wer­ber: »Die Phar­ma­in­du­strie, deren Kor­rup­ti­on und Gier, töten heu­te Menschen.«

Gold­man Sachs hat­te für die­se Ent­wick­lung der Phar­ma­in­du­strie schon im vori­gen Jahr die »wis­sen­schaft­li­che« Begleit­mu­sik gelie­fert. Gold­man Sachs? Das ist doch die Groß­bank, die Finanz­kra­ke, die der Kaba­ret­tist Frank-Mar­kus Bar­was­ser ali­as Erwin Pel­zig in der ZDF-Anstalt schon am 13. Novem­ber 2012 in einem unver­gess­li­chen (und bei You­tube noch immer zu genie­ßen­den) Schau­bild als Strip­pen­zie­her in Poli­tik und Wirt­schaft vor­ge­stellt hat­te. Finanz­mi­ni­ster Scholz hol­te sich im März 2018 deren Co-Chef für Deutsch­land, Jörg Kukies, sogar als beam­te­ten Staats­se­kre­tär in sein Mini­ste­ri­um. Das mana­ger maga­zin (19. März 2018) reagier­te mit der Schlag­zei­le: »Scholz macht die Brand­stif­ter zur Feuerwehr.«

In einer »Bio­tech-Markt­stu­die« erklär­te Gold­man Sachs, medi­zi­ni­sche Behand­lun­gen, die zu einer Hei­lung führ­ten, schmä­ler­ten den für das Unter­neh­men not­wen­di­gen »lang­fri­sti­gen Geld­fluss«. Das zitier­te die Online-Aus­ga­be der Deut­schen Apo­the­ker­zei­tung (DAZ) am 16. April 2018 unter der Über­schrift »Hei­lung ist schlecht fürs Geschäft« aus der Stu­die. Und wei­ter bei Gold­man Sachs: »Das Poten­ti­al, Behand­lun­gen zu ent­wickeln, die schon nach einer Anwen­dung die Hei­lung voll­brin­gen, ist der attrak­tiv­ste Aspekt der Gen­tech­nik. Aller­dings sind sol­che Behand­lun­gen ganz anders zu betrach­ten, wenn es dar­um geht, ein stän­di­ges Ein­kom­men zu erzielen.«

Gold­man Sachs macht das am Bei­spiel der Ent­wick­lung eines erfolg­rei­chen Medi­ka­ments gegen Hepa­ti­tis C deut­lich. Dazu schreibt die Frank­fur­ter Rund­schau am 5. Mai 2018: »Der inter­ne Bericht ›Die Genom-Revo­lu­ti­on‹ nimmt als Bei­spiel ein Medi­ka­ment gegen Hepa­ti­tis C, das mit Hil­fe der Gen­tech­nik ent­wickelt wor­den ist und das schon nach einer ein­zi­gen Anwen­dung Hei­lung brin­gen kann.« Mit den Hepa­ti­tis-C-Medi­ka­men­ten konn­te 2015 ein welt­wei­ter Umsatz von 12,5 Mil­li­ar­den Dol­lar erzielt wer­den, aber schon 2018 wer­den es nur noch weni­ger als vier Mil­li­ar­den sein. Denn das Medi­ka­ment gegen Hepa­ti­tis C hat Hei­lungs­ra­ten von etwa 90 Pro­zent, wodurch der Pool von zu behan­deln­den Pati­en­ten immer klei­ner wird, was wie­der­um die Neu­in­fek­tio­nen immer wei­ter redu­ziert, also sinkt der Umsatz und somit auch der Gewinn.« Obwohl in die­sem Fall die regu­lä­re 12-Wochen-Behand­lung laut AOK 60.000 Euro koste­te – bei Her­stel­lungs­ko­sten von 136 Dollar!

Da ist es ganz gut, dass ich Krebs habe und mein neu­es Medi­ka­ment die Kran­ken­kas­se »nur« knapp 4000 Euro im Monat kostet. Aller­dings bleibt genug Anlass für Skep­sis: Ent­wick­ler ist ein Unter­neh­men, das von John­son & John­son 2009 geschluckt wur­de. Das ist der Phar­ma­gi­gant, der 2018 aus For­schungs­pro­jek­ten zu Alz­hei­mer aus­ge­stie­gen war und erst im Sep­tem­ber 2019 vom Bezirks­ge­richt des US-Bun­des­staa­tes Okla­ho­ma zu mehr als einer hal­ben Mil­li­ar­de Dol­lar Stra­fe für Scha­den­er­satz­for­de­run­gen ver­ur­teilt wurde.

Der Vor­wurf: Der Kon­zern habe mas­sen­haft Opio­ide als Schmerz­mit­tel ver­kauft und die damit ver­bun­de­nen Sucht­ge­fah­ren bewusst her­un­ter­ge­spielt. Allein 2018 sei­en fast 70.000 US-Bür­ger an einer Über­do­sis des Schmerz­mit­tels gestor­ben. Die US-Gesund­heits­be­hör­de spricht von einer Epi­de­mie mit ins­ge­samt mehr als 400.000 Toten, die sogar zu einer Sen­kung der durch­schnitt­li­chen Lebens­er­war­tung in den USA geführt habe.

Dass die Phar­ma­in­du­strie als Teil des Systems Gold­man Sachs kei­ne Mit­tel zur Hei­lung von Krebs ent­wickeln wird, ist mir ja klar. Denn wer schnei­det sich schon selbst den »lang­fri­sti­gen Geld­fluss« ab, von dem er mil­li­ar­den­fach pro­fi­tiert. Da kann man nur hof­fen, wenig­stens als poten­ti­ell zu mel­ken­de Kuh noch län­ge­re Zeit am Leben erhal­ten zu werden.

Viel­leicht wird der Begriff per­vers dem geschil­der­ten Sach­ver­halt doch nicht ganz gerecht. Bes­ser wäre men­schen­ver­ach­tend. Oder noch genau­er: Kapitalismus.