Wie ist es möglich, dass die meisten Menschen dazu neigen, den Verheißungen einer Religion, des Nationalismus, einer Partei, oder als »Fans« ihren Idolen und deren Anpreisungen emotional zu folgen? Der kritische, der selbstkritische Verstand scheint dabei überwiegend ausgeschaltet. Wir Menschen sind also oft außengeleitet und bleiben es überwiegend. Auch ich war und bin davon keinesfalls frei. Auch ich versuche, während ich etwa diesen Text schreibe, daran zu glauben, dass er nützlich sein könnte, oder dass wenigstens mein Selbstwertgefühl bestärkt wird, wenn ich ihn schreibe, er veröffentlicht und, ja, auch gelesen und vielleicht verstanden wird.
Die bittere Wahrheit, die hinter aller Gläubigkeit steckt, ist wohl relativ einfach: Es wird von den Geistlichen, den politisch Herrschenden, den populären Musikern, Fußballern, Prominenten, den Medien und Werbefachleuten aller Art, viel Aufwand betrieben, um genau den jeweiligen Glauben in die Herzen und Köpfe den »Follower« einzutrichtern. Und das wird dann von allen Seiten in der Regel nicht als Manipulation angesehen oder erkannt, es gilt vielmehr als Heil, ja, sogar als Glück und Trostbringende Welt- und Lebensauffassung.
Bevor wir uns diesen Verführungskünsten im Einzelnen zuwenden, sollte zuerst klargestellt werden, warum dieses »Handwerk« der Glaubensvermittlung, überhaupt mit solchem Aufwand seit jeher erfolgreich betrieben wird. Es gilt, die jeweiligen »Zielgruppen« so zu beeinflussen, dass ein bestimmtes Geschäftsmodel aufgeht. Nur so lassen sich die »Follower« melken, bzw. für die Zwecke der Geschäftsführer, Gewinn bringend, einspannen.
Die Geistlichen leben von Kirchensteuern, die Nationalisten von Steuern und Menschen, die notfalls für sie und die »gute Sache« »kriegstüchtig« in den Krieg ziehen, die Parteifunktionäre und Abgeordneten von den Mitgliedsbeiträgen und Diäten, die Musikproduzenten von den verkauften Tonträgern, die Fußballer von den Eintrittskarten, von Fanartikeln und Übertragungsrechten, die Güterproduzenten von den verkauften Waren, die Kapitalisten, die angeblichen »Arbeitgeber«, von den Lohn- und Gehalts-Empfängern, den angeblichen »Arbeitnehmern«.
Natürlich werden durch die erzielten Einnahmen nicht nur die Geschäftsinhaber und Anteilseigner honoriert, sondern, abgestuft, auch deren Helfer und Helfershelfer, die sich deshalb in den Dienst ihrer jeweiligen Vorgesetzten stellen. Deshalb sind die jeweiligen »Geschäftsmodelle« oft auch so nachhaltig und teils über viele Jahrzehnte, ja, auch Jahrhunderte relativ stabil.
Aber auch die gläubigen »Follower« haben etwas von ihren Verführern:
- Von den Kirchenleuten werden Zuversicht und Trost vermittelt, dass die Menschen nach ihrem mühseligen Alltag im Diesseits im Jenseits dann endlich paradiesische Zustände »erleben« werden.
- Die Nationalisten suggerieren, dass alle Menschen, ob »Oben« oder »Unten«, Herrschende oder Beherrschte, Kapitalisten oder Arbeiter, alle in einem gemeinsamen Boot sitzen, zu einem einzigen Volk gehören und, wenn sie dafür einstehen, sich ausbeuten lassen und für alle kämpfen und sich nicht gegen die Obrigkeit, sondern nur gegen die äußeren Feinde, die Fremden wenden, notfalls auch dafür ihr Leben opfern, um dann als Helden der Nation bedankt und verehrt zu werden.
- Parteimitgliedern und Parteienwählern wird das Gefühl vermittelt, dass die Programme ihrer Parteiführer ihnen am meisten (ökonomische) Vorteile bringen, dass man sich für ihre Belange einsetzt, dass man dann Teil einer gemeinsamen »Wertegemeinschaft« ist.
- Vergleichbares gilt für Fans aller Art: Sie fühlen sich ihren Idolen zugehörig und können dadurch gleichsam ein kollektives »Überich« in einer gemeinsamen Community entwickeln, dass ihnen auch Selbstwertgefühle vermittelt.
- Auch der Glaube an Weihnachten und den Weihnachtsmann gehört alle Jahre wieder dazu, damit sich das Weihnachtsgeschäft auch lohnt. Auch wenn wir uns dabei stets stressen, in den Familien streiten, uns überfressen und oft mit unsinnigem Zeug beschenken.
Die Tricks aller Verführungen gleichen sich vielfach: überwältigende Kirchen, Paläste und Stadien, beeindruckende Gesänge, Aufzüge und Werbe- und Wahlklips für Ohren und Augen und auch die bunten Weihnachtsmärkte, Leidenschaftliche Rhetorik und charismatische Ausstrahlung der Werbeträger, suggestive Heilsversprechungen für Gegenwart und Zukunft.
Was können wir dagegen tun? Zwei geflügelte Sätze von Marx lauteten: sinngemäß: »An allem ist zu zweifeln!« Und: »Es gilt den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen, um sie zum Tanzen zu bringen!« Also bleiben wir am Ball, wenn wir uns auch oft ohnmächtig und wie betäubt fühlen! Alles braucht seine Zeit! Aber auch das könnte ein Irrglaube sein. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Dennoch ein zweifelhaftes, gutes Jahr, nicht nur allen Ossietzky-Lesern. Lassen wir uns nicht von den Werbefachleuten einwickeln!