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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gläubigkeit als Geschäftsmodel

Wie ist es mög­lich, dass die mei­sten Men­schen dazu nei­gen, den Ver­hei­ßun­gen einer Reli­gi­on, des Natio­na­lis­mus, einer Par­tei, oder als »Fans« ihren Ido­len und deren Anprei­sun­gen emo­tio­nal zu fol­gen? Der kri­ti­sche, der selbst­kri­ti­sche Ver­stand scheint dabei über­wie­gend aus­ge­schal­tet.  Wir Men­schen sind also oft außen­ge­lei­tet und blei­ben es über­wie­gend. Auch ich war und bin davon kei­nes­falls frei. Auch ich ver­su­che, wäh­rend ich etwa die­sen Text schrei­be, dar­an zu glau­ben, dass er nütz­lich sein könn­te, oder dass wenig­stens mein Selbst­wert­ge­fühl bestärkt wird, wenn ich ihn schrei­be, er ver­öf­fent­licht und, ja, auch gele­sen und viel­leicht ver­stan­den wird.

Die bit­te­re Wahr­heit, die hin­ter aller Gläu­big­keit steckt, ist wohl rela­tiv ein­fach: Es wird von den Geist­li­chen, den poli­tisch Herr­schen­den, den popu­lä­ren Musi­kern, Fuß­bal­lern, Pro­mi­nen­ten, den Medi­en und Wer­be­fach­leu­ten aller Art, viel Auf­wand betrie­ben, um genau den jewei­li­gen Glau­ben in die Her­zen und Köp­fe den »Fol­lower« ein­zu­trich­tern. Und das wird dann von allen Sei­ten in der Regel nicht als Mani­pu­la­ti­on ange­se­hen oder erkannt, es gilt viel­mehr als Heil, ja, sogar als Glück und Trost­brin­gen­de Welt- und Lebensauffassung.

Bevor wir uns die­sen Ver­füh­rungs­kün­sten im Ein­zel­nen zuwen­den, soll­te zuerst klar­ge­stellt wer­den, war­um die­ses »Hand­werk« der Glau­bens­ver­mitt­lung, über­haupt mit sol­chem Auf­wand seit jeher erfolg­reich betrie­ben wird. Es gilt, die jewei­li­gen »Ziel­grup­pen« so zu beein­flus­sen, dass ein bestimm­tes Geschäfts­mo­del auf­geht. Nur so las­sen sich die »Fol­lower« mel­ken, bzw. für die Zwecke der Geschäfts­füh­rer, Gewinn brin­gend, einspannen.

Die Geist­li­chen leben von Kir­chen­steu­ern, die Natio­na­li­sten von Steu­ern und Men­schen, die not­falls für sie und die »gute Sache« »kriegs­tüch­tig« in den Krieg zie­hen, die Par­tei­funk­tio­nä­re und Abge­ord­ne­ten von den Mit­glieds­bei­trä­gen und Diä­ten, die Musik­pro­du­zen­ten von den ver­kauf­ten Ton­trä­gern, die Fuß­bal­ler von den Ein­tritts­kar­ten, von Fan­ar­ti­keln und Über­tra­gungs­rech­ten, die Güter­pro­du­zen­ten von den ver­kauf­ten Waren, die Kapi­ta­li­sten, die angeb­li­chen »Arbeit­ge­ber«, von den Lohn- und Gehalts-Emp­fän­gern, den angeb­li­chen »Arbeit­neh­mern«.

Natür­lich wer­den durch die erziel­ten Ein­nah­men nicht nur die Geschäfts­in­ha­ber und Anteils­eig­ner hono­riert, son­dern, abge­stuft, auch deren Hel­fer und Hel­fers­hel­fer, die sich des­halb in den Dienst ihrer jewei­li­gen Vor­ge­setz­ten stel­len. Des­halb sind die jewei­li­gen »Geschäfts­mo­del­le« oft auch so nach­hal­tig und teils über vie­le Jahr­zehn­te, ja, auch Jahr­hun­der­te rela­tiv stabil.

Aber auch die gläu­bi­gen »Fol­lower« haben etwas von ihren Verführern:

  • Von den Kir­chen­leu­ten wer­den Zuver­sicht und Trost ver­mit­telt, dass die Men­schen nach ihrem müh­se­li­gen All­tag im Dies­seits im Jen­seits dann end­lich para­die­si­sche Zustän­de »erle­ben« werden.
  • Die Natio­na­li­sten sug­ge­rie­ren, dass alle Men­schen, ob »Oben« oder »Unten«, Herr­schen­de oder Beherrsch­te, Kapi­ta­li­sten oder Arbei­ter, alle in einem gemein­sa­men Boot sit­zen, zu einem ein­zi­gen Volk gehö­ren und, wenn sie dafür ein­ste­hen, sich aus­beu­ten las­sen und für alle kämp­fen und sich nicht gegen die Obrig­keit, son­dern nur gegen die äuße­ren Fein­de, die Frem­den wen­den, not­falls auch dafür ihr Leben opfern, um dann als Hel­den der Nati­on bedankt und ver­ehrt zu werden.
  • Par­tei­mit­glie­dern und Par­tei­en­wäh­lern wird das Gefühl ver­mit­telt, dass die Pro­gram­me ihrer Par­tei­füh­rer ihnen am mei­sten (öko­no­mi­sche) Vor­tei­le brin­gen, dass man sich für ihre Belan­ge ein­setzt, dass man dann Teil einer gemein­sa­men »Wer­te­ge­mein­schaft« ist.
  • Ver­gleich­ba­res gilt für Fans aller Art: Sie füh­len sich ihren Ido­len zuge­hö­rig und kön­nen dadurch gleich­sam ein kol­lek­ti­ves »Über­ich« in einer gemein­sa­men Com­mu­ni­ty ent­wickeln, dass ihnen auch Selbst­wert­ge­füh­le vermittelt.
  • Auch der Glau­be an Weih­nach­ten und den Weih­nachts­mann gehört alle Jah­re wie­der dazu, damit sich das Weih­nachts­ge­schäft auch lohnt. Auch wenn wir uns dabei stets stres­sen, in den Fami­li­en strei­ten, uns über­fres­sen und oft mit unsin­ni­gem Zeug beschenken.

Die Tricks aller Ver­füh­run­gen glei­chen sich viel­fach: über­wäl­ti­gen­de Kir­chen, Palä­ste und Sta­di­en, beein­drucken­de Gesän­ge, Auf­zü­ge und Wer­be- und Wahl­klips für Ohren und Augen und auch die bun­ten Weih­nachts­märk­te, Lei­den­schaft­li­che Rhe­to­rik und cha­ris­ma­ti­sche Aus­strah­lung der Wer­be­trä­ger, sug­ge­sti­ve Heils­ver­spre­chun­gen für Gegen­wart und Zukunft.

Was kön­nen wir dage­gen tun? Zwei geflü­gel­te Sät­ze von Marx lau­te­ten: sinn­ge­mäß: »An allem ist zu zwei­feln!« Und: »Es gilt den Ver­hält­nis­sen ihre eige­ne Melo­die vor­zu­sin­gen, um sie zum Tan­zen zu brin­gen!« Also blei­ben wir am Ball, wenn wir uns auch oft ohn­mäch­tig und wie betäubt füh­len! Alles braucht sei­ne Zeit! Aber auch das könn­te ein Irr­glau­be sein. Doch die Hoff­nung stirbt bekannt­lich zuletzt. Den­noch ein zwei­fel­haf­tes, gutes Jahr, nicht nur allen Ossietzky-Lesern. Las­sen wir uns nicht von den Wer­be­fach­leu­ten einwickeln!