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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gewalt im Ostkongo

Der Osten des rie­si­gen Lan­des namens Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kon­go (künf­tig: DR Kon­go) grenzt an vier Staa­ten: Ugan­da, Ruan­da, Burun­di und Tan­sa­nia. Der klein­ste der Nach­bar­staa­ten, Ruan­da, ist zugleich der Staat, mit dem die DR Kon­go die größ­ten Pro­ble­me hat. In der Form, in der sie heu­te exi­stie­ren und sich wei­ter zuspit­zen, began­nen sie 1996, zwei Jah­re nach dem Völ­ker­mord in Ruan­da. Etwa 500.000 Tut­si waren 1994 in nur drei Mona­ten umge­bracht wor­den. Die Täter gehör­ten zur Bevöl­ke­rungs­grup­pe der Hutu, der fast 85 Pro­zent aller Ruan­de­rin­nen und Ruan­der ange­hör­ten. Been­det wur­de der Völ­ker­mord durch den mili­tä­ri­schen Arm der Ruan­di­schen Patrio­ti­schen Front (RPF) unter Füh­rung von Paul Kaga­me. Aus einer Rebel­len­ar­mee, die am 1. Okto­ber 1990 von Ugan­da aus Ruan­da ange­grif­fen hat­te, um eine Rück­kehr der seit Jahr­zehn­ten im Exil leben­den Tut­si zu erzwin­gen, war eine Befrei­ungs­ar­mee gewor­den, eine Armee, die nicht nur das zuletzt völ­ker­mör­de­ri­sche Regime in Ruan­da von der Macht ver­trie­ben hat­te, son­dern auch ver­sprach, ein neu­es Ruan­da auf­zu­bau­en, in dem kein Platz mehr für eth­ni­sche Kon­flik­te sein würde.

Das klang gut und über­zeu­gend für den men­schen­rechts­be­weg­ten Westen, der den Völ­ker­mord hat­te gesche­hen las­sen und nun, das eige­ne poli­ti­sche und mora­li­sche Ver­sa­gen vor Augen, nach einer Lösung such­te. Aller­dings ver­schloss er die Augen, als sich das neue Ruan­da dar­an mach­te, die Pazi­fi­zie­rungs­po­li­tik im Land in einer Wei­se fort­zu­set­zen, die bereits wäh­rend des Bür­ger­kriegs und des Völ­ker­mords prak­ti­ziert wor­den war. Auf etwa 100.000 wird die Zahl der Opfer geschätzt, die mit ihrem Leben für die so ver­stan­de­ne Pazi­fi­zie­rung bezah­len muss­ten. Das waren vor allem jene Hutu, die im Land geblie­ben waren, die sich, im Ver­trau­en auf ihre Unschuld, nicht am Völ­ker­mord betei­ligt oder sogar Tut­si zur Flucht ver­hol­fen hat­ten. Sie gerie­ten ins Visier der neu­en Macht­ha­ber und bezahl­ten den lei­se­sten Ver­dacht oder auch schlicht ihre blo­ße Exi­stenz mit dem Leben.

Eine tat­säch­li­che Bedro­hung aller­dings gab es im Osten der DR Kon­go, in den Pro­vin­zen Nord- und Südki­vu, wohin sich fast zwei Mil­lio­nen Ruan­der geflüch­tet hat­ten. Unter ihnen waren vie­le Sol­da­ten der geschla­ge­nen ruan­di­schen Armee, Ange­hö­ri­ge der Prä­si­den­ten­gar­de des frü­he­ren Staats­chefs Juvé­nal Haby­ari­ma­na sowie der berüch­tig­ten Inter­aham­we-Miliz, die wäh­rend des Völ­ker­mords mit beson­de­rem Fana­tis­mus agiert hat­te. Längst nicht alle woll­ten sich mit der Nie­der­la­ge abfin­den, son­dern such­ten nach Mit­teln und Wegen, vom Ost­kon­go aus die Macht­ver­hält­nis­se in ihrem Land zu ändern. Sie grif­fen Dör­fer an, töte­ten Tut­si und der Kol­la­bo­ra­ti­on ver­däch­ti­ge Hutu und hin­ter­lie­ßen eine Spur der Ver­wü­stung. Kein Wun­der also, dass die Armee des neu­en Ruan­da die Gren­ze zur DR Kon­go über­schritt und ver­such­te, die feind­li­chen, völ­ker­mör­de­ri­schen Kräf­te aus ihren Rück­zugs­ge­bie­ten zu ver­trei­ben. Wie sie dabei aber vor­ging, führ­te wie­der­um zu einer Blut­spur, die sich vom Ost­kon­go bis in die Haupt­stadt Kin­sha­sa im Westen zie­hen soll­te. Im Mai 1997 wur­de die Haupt­stadt schließ­lich erobert, Mobu­tu floh ins Exil, neu­er Staats­prä­si­dent wur­de Lau­rent Dési­ré Kabi­la, Gene­ral­stabs­chef der kon­go­le­si­schen Armee wur­de der Ruan­der James Kabare­be, ein Weg­ge­fähr­te des ruan­di­schen Prä­si­den­ten Paul Kagame.

Es folg­ten Jah­re der poli­tisch-mili­tä­ri­schen Ein­fluss­nah­me, die vor­der­hand einer gewis­sen Logik nicht ent­behr­ten. Noch immer waren in den Kivu­pro­vin­zen Mili­zen aktiv, die dar­auf brann­ten, das Kaga­me-Regime in Ruan­da zu besei­ti­gen. Die bekann­te­ste unter ihnen waren die Forces Démo­cra­ti­ques de Libé­ra­ti­on du Rwan­da/​FDLR, die Demo­kra­ti­schen Kräf­te zur Befrei­ung Ruan­das, die sich größ­ten­teils aus Betei­lig­ten am Völ­ker­mord zusam­men­setz­ten. Sie zu bekämp­fen, lag also im Inter­es­se Ruan­das. Es offen zu tun, mit eige­nen Trup­pen im Ost­kon­go, hät­te jedoch den Unwil­len Groß­bri­tan­ni­ens und der USA her­auf­be­schwo­ren, der bei­den wich­tig­sten Schutz­mäch­te des neu­en Ruan­da. Folg­lich agier­te Ruan­da ver­deckt mit eige­nen Sol­da­ten oder unter­stütz­te loka­le Mili­zen, die den­sel­ben Geg­ner hat­ten. Frie­den brach­te die­ses Vor­ge­hen dem Ost­kon­go nicht. Ganz im Gegen­teil, der Kreis­lauf von Gewalt und Gegen­ge­walt inten­si­vier­te sich. Hun­dert­tau­sen­de Men­schen waren immer wie­der auf der Flucht, Aber­tau­sen­de wur­den getö­tet, Frau­en und Mäd­chen ver­ge­wal­tigt oder als Sex­skla­vin­nen entführt.

So ging es Jahr um Jahr, nahe­zu unter Aus­schluss der inter­na­tio­na­len Öffent­lich­keit. Zu ver­wor­ren war die Lage, zu undurch­sich­tig die Inter­es­sen der Kriegs­par­tei­en. Denn bei allem poli­ti­schen Pathos, in dem Begrif­fe wie »Demo­kra­tie«, »Frei­heit« oder »Sicher­heit« nie feh­len durf­ten, war doch offen­sicht­lich, wor­um es allen Betei­lig­ten eigent­lich ging: um die Boden­schät­ze des Ost­kon­go. Dia­man­ten, Gold, sel­te­ne Erden, ins­be­son­de­re Col­tan weck­ten Begehr­lich­kei­ten, für die man buch­stäb­lich über Lei­chen ging. Der Krieg ernähr­te nicht nur den Krieg, son­dern mach­te sei­ne Draht­zie­her auch noch reich. Nicht nur im Kon­go, auch in Ruan­da. »Col­tano­po­lis« oder »Mer­ci Con­go« tauf­te der Volks­mund Vil­len­vier­tel in der ruan­di­schen Haupt­stadt Kigali.

Der ein­zi­ge ernst­haf­te, auf Druck der Schutz­mäch­te Groß­bri­tan­ni­en und USA unter­nom­me­ne Ver­such, Frie­den zu schaf­fen, schei­ter­te. Aber die Geschäf­te mit den Boden­schät­zen gin­gen wei­ter wie bis­her. Wo Macht­ver­hält­nis­se unsi­cher sind, lässt sich die Staats­ge­walt bekannt­lich leicht usur­pie­ren. Mili­zen beset­zen die Frei­räu­me im Ost­kon­go, eta­blie­ren eine eige­ne Herr­schaft, ver­pflich­ten die Bevöl­ke­rung zur Skla­ven­ar­beit in den Minen und berei­chern sich immens an den Boden­schät­zen, die ille­gal ins Aus­land, vor allem nach Ruan­da, ver­bracht wer­den, um sie von dort auf dem Welt­markt zu verkaufen.

Die Situa­ti­on ist bis heu­te prak­tisch unver­än­dert. Obschon es einen Wech­sel in der poli­ti­schen Füh­rung des Kon­go gege­ben hat (im Janu­ar 2019 war Félix Tshise­ke­di auf Joseph Kabi­la gefolgt, der 18 Jah­re Staats­prä­si­dent gewe­sen war), bleibt die Lage deso­lat, vor allem im Ost­kon­go. Über ein­hun­dert Mili­zen gibt es dort mitt­ler­wei­le, die alle behaup­ten, nur für den Schutz von Dör­fern oder Regio­nen aktiv zu sein, sich in Wirk­lich­keit aber wie schon zuvor schnell an die Macht ihrer Waf­fen gewöhn­ten und mor­de­ten, ver­ge­wal­tig­ten und plünderten.

Ruan­da strei­tet bis heu­te jede Betei­li­gung an den Vor­gän­gen ab, was in der DR Kon­go den anti­ru­an­di­schen Pro­test immer lau­ter und mili­tan­ter wer­den lässt. Mehr­mals kam es schon zu klei­ne­ren Grenz­zwi­schen­fäl­len mit Ver­letz­ten und Toten, auf Demon­stra­tio­nen wur­de zur Ver­trei­bung und Tötung eines jeden Ruan­ders auf­ge­ru­fen, des­sen man hab­haft wer­den könne.

Unüber­seh­bar hat die Gewalt­be­reit­schaft inzwi­schen einen bei­na­he geno­zi­da­len Ton ange­nom­men, wobei offi­zi­el­le Stel­len bis hin­auf zum Staats­prä­si­den­ten Félix Tshise­ke­di (er wur­de im Janu­ar 2024 nach einer Wahl, die nur als Far­ce bezeich­net wer­den kann, im Amt bestä­tigt) bei jeder sich bie­ten­der Gele­gen­heit Öl ins Feu­er gie­ßen. Das offi­zi­el­le Ruan­da hält sich betont zurück, äußert gebets­müh­len­ar­tig sei­nen Frie­dens­wil­len und ver­lässt sich im Übri­gen auf sei­ne als schlag­kräf­tig bekann­te Armee. Unter der Hand wird aller­dings gern dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die vor­ko­lo­nia­le Gren­ze zum Nordki­vu anders ver­lau­fen sei, der Schutz der ruan­di­schen Min­der­heit dort auch vor die­sem Hin­ter­grund drin­gend nach neu­en Lösun­gen verlange.

Für die Men­schen im Ost­kon­go ist es schlecht, dass sie dort woh­nen, wo sie woh­nen. Roh­stoff­reich­tum in einem Land, des­sen Staat­lich­keit für die aller­mei­sten sei­ner Bewoh­ner nur auf dem Papier steht, dazu die ent­fern­te geo­gra­phi­sche Lage, fern­ab der Macht­zen­tren der Welt, und schließ­lich die Krie­ge in der Ukrai­ne und im Nahen Osten, es bleibt an Auf­merk­sam­keit nichts übrig für die dort herr­schen­den bedrücken­den bis töd­li­chen Lebens­um­stän­de. Die Situa­ti­on erscheint ver­trackt, doch gibt es genau bese­hen nur zwei Akteu­re, die das üble Spiel bestim­men: die DR Kon­go und Ruan­da. Die DR Kon­go, weil sie offen­sicht­lich nicht wil­lens und in der Lage ist, der eige­nen Bevöl­ke­rung eine men­schen­wür­di­ge Per­spek­ti­ve zu bie­ten und mit gro­ßer Ener­gie einen Sün­den­bock für das eige­ne Ver­sa­gen sucht. Ruan­da, weil es ein Dop­pel­spiel betreibt, das zynisch ist. Seit 1996 bekämpft es, mal direkt mit eige­nen Sol­da­ten, mal indi­rekt durch Mili­zen, die ohne­hin fra­gi­le Ord­nung im Kon­go. Die anti­ru­an­di­sche Stim­mung dort, die sich in den letz­ten zwei Jah­ren zu einem regel­rech­ten Hass auf alles Ruan­di­sche gestei­gert hat, nimmt Ruan­da, so muss es schei­nen, in Kauf. Denn es locken Boden­schät­ze, die unge­hin­dert dem Kon­go gestoh­len und von Ruan­da aus wei­ter­ver­kauft wer­den kön­nen. Und der stei­gen­de Hass auf Ruan­da-feind­li­che Kon­go­le­sen dient zugleich unaus­ge­spro­chen als Legi­ti­ma­ti­on für die offe­ne oder ver­deck­te Prä­senz Ruan­das im Ost­kon­go, wo es sich als Schutz­macht geriert. Das wie­der­um ver­trägt sich bestens mit dem räu­be­ri­schen Trans­fer der Boden­schät­ze aus dem Ost­kon­go her­aus, was aber, da beglei­tet von ver­bre­che­ri­scher Kriegs­ge­walt, den anti­ru­an­di­schen Hass nährt. Die­ser wie­der­um dient erneut der Recht­fer­ti­gung ruan­di­scher Prä­senz usw. usf. Da ist schon bei­na­he eine Fuß­no­te, dass laut eines UN-Berichts von 2010 Ruan­da selbst der Bege­hung schwer­ster Ver­bre­chen, ein­schließ­lich Völ­ker­mord, ver­däch­tig ist, Ver­bre­chen, die es haupt­säch­lich ab 1996 in der DR Kon­go began­gen haben soll. Natür­lich blieb die­ser Bericht folgenlos.

Gerd Han­kel ist Völ­ker­recht­ler und war seit 2002 an den Unter­su­chun­gen des Völ­ker­mords in Ruan­da beteiligt.