Kolonialismus zur Spielzeiteröffnung von Kampnagel in Hamburg, das koloniale Erbe Deutschlands. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy begann mit einem Vortrag zur Restitution afrikanischer Kunstwerke. Alles andere als trocken ihre Schilderung, mit Video-Unterstützung, wie sie in Archiven forschte und Belege entdeckte, die eindeutig auf Raub hinweisen. Selbst dort, wo es angeblich keine Unterlagen gab. Auch in Berlin – dort unterrichtet sie an der Technischen Universität – fand sie Hinweise auf gestohlene Kunst. Vielleicht hatte man nicht so genau nachprüfen wollen. Kulturgüter, die oft auch eine religiöse Bedeutung haben. Das als Humboldt-Forum getarnte Hohenzollernschloss braucht sie, um sich damit zu schmücken: ein Berlin-Event.
Der engagierte Vortrag war eine gute Einführung zum Stück des Schauspiels Köln: »Herero – Nama, a history of violence«. Regie und Konzeption: Nuran David Calis. Er hatte schon das Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße auf die Bühne gebracht, zusammen mit Betroffenen. Nun geht er weiter zurück nach Namibia, dem damaligen Deutsch-Südwestafrika – von 1884 bis 1915 Kolonie des deutschen Kaiserreichs. Wilhelm II. bewacht, ordensgeschmückt, als Riesenbild von der Rückwand aus die Vorstellung. Nach Aufständen der Herero und Nama gegen die Unterdrückung durch die Kolonialherren 1904 bis 1908 begann das, was heute als der erste Völkermord des neuen Jahrhunderts bezeichnet wird. Doch die Anerkennung als Genozid braucht offenbar Zeit. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller gestand im August 2019 bei einem Namibia-Besuch immerhin: Deutschland habe schreckliche Verbrechen insbesondere an den Herero und Nama verübt und »dafür tragen wir natürlich die Verantwortung – auch heute«. Eine entschädigungsrelevante Entschuldigung will Deutschland nicht abgeben. Entschädigungsrelevant, das hieße ja Reparationszahlungen. Um all das geht es den Nachkommen, von denen zwei als Betroffene hier im Stück auftraten, Israel Kaunatjike und Christel Ihmann.
Zurück zur deutschen Kolonialgeschichte. Zur Niederschlagung des Aufstands wurden 15.000 Soldaten unter dem Befehl von Lothar von Trotha zusätzlich dorthin befohlen. Die Herero flohen in die Wüste, verdursteten, ebenso ihre Tiere. Von Trotha erließ einen Vernichtungsbefehl, der das Erschießen erlaubte, auch von Frauen und Kindern. Wer trotzdem lebte, wurde in Konzentrationslagern interniert. Etwa jeder Zweite starb – 40.000 bis 60.000 Herero und 10.000 Nama.
Wie bringt man das komplexe Thema auf die Bühne? Sollen Grausamkeiten nachgespielt oder ganz nüchtern in Form von Briefen, Verordnungen, also historischen Quellen zu Gehör gebracht werden? Auf der Bühne zwei Tische, einer, der einem Büromöbel ähnelt, auf der anderen Seite ein kleiner runder Tisch mit Kerzen und Kaffeegeschirr, um Erinnerungen, persönliche Gefühle auszutauschen. Vom Arbeitstisch aus werden Dokumente verlesen, so bürokratisch wie schrecklich. Die Schauspieler tragen manchmal stilisierte weiße Masken und Handschuhe – um sich die Hände an dem Gewaltschmutz nicht zu infizieren? Sie sind in Uniform gekleidet oder in weiße Mönchskutten, die den Einfluss der Missionsgesellschaften signalisieren. Ein Klavier mit europäischer Musik. Die Lieder der Missionsschulen sind nicht afrikanisch. Eine große Video-Leinwand links, eine schwarze Tafel rechts ergänzen die Dokumente oder Erinnerungen. Sie zeigen in Großaufnahmen, was halb verborgen im Hintergrund stattfand: Züchtigungen mit einer Peitsche, pantomimisch. Die Dokumente drastisch. Genaue Anweisungen, wo oder wo nicht hinzuschlagen war, was weniger sichtbare Verletzungen, aber viele Schmerzen bereitete. Die Nilpferdpeitsche reiße tiefe Löcher ins Fleisch, besser sei ein Seilende. Schließlich sollten die Sklaven noch arbeiten können. Wir hören Sätze über die Bestellung von Halsketten aus Berlin. Ach, Schmuck? Nein, sie waren zum Fesseln vorgesehen. Groß im Schwarz-Weiß-Foto auf der Leinwand: Schädel von Herero, die verpackt wurden in einer Kiste für Berlin und die Rasseforscher. Die Nachfahren wollen die Schädel wieder nach Hause bringen.
Zum Schluss diskutieren die Akteure oben an einem langen Tisch, streiten sich über die richtige Vorgehensweise. Auch darüber, ob dunkelhäutige Schauspieler, auch weibliche, hier und heute, anders behandelt werden als weiße. Manches sei immer noch in den Köpfen verankert – oder schon wieder. Oben werden Kreuze aufgestellt für die Toten, die mitspielen, aber nicht anwesend sind. Der Kulturanthropologe in der Runde hat oft eine andere Auffassung als die Betroffenen, will nicht so viel Gefühl, mehr Dokumente. Christel Ihmann findet, das Zurückgeben der Kunstschätze könne die Anerkennung von Schuld sein. Sie möchte ihren Kindern »diese Sachen« zeigen, einen Teil von ihr. Ich erinnere mich, hierzulande wurde von »diesen geschichtslosen Völkern« gesprochen. Warum wohl?
Wichtig zum Thema: die Beilage zum Parlament: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 40-42, 2019, vom 30. September: »Deutsche Kolonialgeschichte«.
Nächste Vorstellung: 16. November, 20 Uhr, Depot 2, Carlswerk, Schanzenstraße 6-20, 51063 Köln, https://www.schauspiel.koeln/