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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Geschichtslose Völker

Kolo­nia­lis­mus zur Spiel­zeit­er­öff­nung von Kamp­na­gel in Ham­burg, das kolo­nia­le Erbe Deutsch­lands. Die Kunst­hi­sto­ri­ke­rin Béné­dic­te Savoy begann mit einem Vor­trag zur Resti­tu­ti­on afri­ka­ni­scher Kunst­wer­ke. Alles ande­re als trocken ihre Schil­de­rung, mit Video-Unter­stüt­zung, wie sie in Archi­ven forsch­te und Bele­ge ent­deck­te, die ein­deu­tig auf Raub hin­wei­sen. Selbst dort, wo es angeb­lich kei­ne Unter­la­gen gab. Auch in Ber­lin – dort unter­rich­tet sie an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät – fand sie Hin­wei­se auf gestoh­le­ne Kunst. Viel­leicht hat­te man nicht so genau nach­prü­fen wol­len. Kul­tur­gü­ter, die oft auch eine reli­giö­se Bedeu­tung haben. Das als Hum­boldt-Forum getarn­te Hohen­zol­lern­schloss braucht sie, um sich damit zu schmücken: ein Berlin-Event.

Der enga­gier­te Vor­trag war eine gute Ein­füh­rung zum Stück des Schau­spiels Köln: »Here­ro – Nama, a histo­ry of vio­lence«. Regie und Kon­zep­ti­on: Nuran David Calis. Er hat­te schon das Nagel­bom­ben­at­ten­tat in der Köl­ner Keup­stra­ße auf die Büh­ne gebracht, zusam­men mit Betrof­fe­nen. Nun geht er wei­ter zurück nach Nami­bia, dem dama­li­gen Deutsch-Süd­west­afri­ka – von 1884 bis 1915 Kolo­nie des deut­schen Kai­ser­reichs. Wil­helm II. bewacht, ordens­ge­schmückt, als Rie­sen­bild von der Rück­wand aus die Vor­stel­lung. Nach Auf­stän­den der Here­ro und Nama gegen die Unter­drückung durch die Kolo­ni­al­her­ren 1904 bis 1908 begann das, was heu­te als der erste Völ­ker­mord des neu­en Jahr­hun­derts bezeich­net wird. Doch die Aner­ken­nung als Geno­zid braucht offen­bar Zeit. Bun­des­ent­wick­lungs­mi­ni­ster Gerd Mül­ler gestand im August 2019 bei einem Nami­bia-Besuch immer­hin: Deutsch­land habe schreck­li­che Ver­bre­chen ins­be­son­de­re an den Here­ro und Nama ver­übt und »dafür tra­gen wir natür­lich die Ver­ant­wor­tung – auch heu­te«. Eine ent­schä­di­gungs­re­le­van­te Ent­schul­di­gung will Deutsch­land nicht abge­ben. Ent­schä­di­gungs­re­le­vant, das hie­ße ja Repa­ra­ti­ons­zah­lun­gen. Um all das geht es den Nach­kom­men, von denen zwei als Betrof­fe­ne hier im Stück auf­tra­ten, Isra­el Kau­n­at­ji­ke und Chri­stel Ihmann.

Zurück zur deut­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te. Zur Nie­der­schla­gung des Auf­stands wur­den 15.000 Sol­da­ten unter dem Befehl von Lothar von Tro­tha zusätz­lich dort­hin befoh­len. Die Here­ro flo­hen in die Wüste, ver­dur­ste­ten, eben­so ihre Tie­re. Von Tro­tha erließ einen Ver­nich­tungs­be­fehl, der das Erschie­ßen erlaub­te, auch von Frau­en und Kin­dern. Wer trotz­dem leb­te, wur­de in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern inter­niert. Etwa jeder Zwei­te starb – 40.000 bis 60.000 Here­ro und 10.000 Nama.

Wie bringt man das kom­ple­xe The­ma auf die Büh­ne? Sol­len Grau­sam­kei­ten nach­ge­spielt oder ganz nüch­tern in Form von Brie­fen, Ver­ord­nun­gen, also histo­ri­schen Quel­len zu Gehör gebracht wer­den? Auf der Büh­ne zwei Tische, einer, der einem Büro­mö­bel ähnelt, auf der ande­ren Sei­te ein klei­ner run­der Tisch mit Ker­zen und Kaf­fee­ge­schirr, um Erin­ne­run­gen, per­sön­li­che Gefüh­le aus­zu­tau­schen. Vom Arbeits­tisch aus wer­den Doku­men­te ver­le­sen, so büro­kra­tisch wie schreck­lich. Die Schau­spie­ler tra­gen manch­mal sti­li­sier­te wei­ße Mas­ken und Hand­schu­he – um sich die Hän­de an dem Gewalt­schmutz nicht zu infi­zie­ren? Sie sind in Uni­form geklei­det oder in wei­ße Mönchs­kut­ten, die den Ein­fluss der Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten signa­li­sie­ren. Ein Kla­vier mit euro­päi­scher Musik. Die Lie­der der Mis­si­ons­schu­len sind nicht afri­ka­nisch. Eine gro­ße Video-Lein­wand links, eine schwar­ze Tafel rechts ergän­zen die Doku­men­te oder Erin­ne­run­gen. Sie zei­gen in Groß­auf­nah­men, was halb ver­bor­gen im Hin­ter­grund statt­fand: Züch­ti­gun­gen mit einer Peit­sche, pan­to­mi­misch. Die Doku­men­te dra­stisch. Genaue Anwei­sun­gen, wo oder wo nicht hin­zu­schla­gen war, was weni­ger sicht­ba­re Ver­let­zun­gen, aber vie­le Schmer­zen berei­te­te. Die Nil­pferd­peit­sche rei­ße tie­fe Löcher ins Fleisch, bes­ser sei ein Sei­len­de. Schließ­lich soll­ten die Skla­ven noch arbei­ten kön­nen. Wir hören Sät­ze über die Bestel­lung von Hals­ket­ten aus Ber­lin. Ach, Schmuck? Nein, sie waren zum Fes­seln vor­ge­se­hen. Groß im Schwarz-Weiß-Foto auf der Lein­wand: Schä­del von Here­ro, die ver­packt wur­den in einer Kiste für Ber­lin und die Ras­se­for­scher. Die Nach­fah­ren wol­len die Schä­del wie­der nach Hau­se bringen.

Zum Schluss dis­ku­tie­ren die Akteu­re oben an einem lan­gen Tisch, strei­ten sich über die rich­ti­ge Vor­ge­hens­wei­se. Auch dar­über, ob dun­kel­häu­ti­ge Schau­spie­ler, auch weib­li­che, hier und heu­te, anders behan­delt wer­den als wei­ße. Man­ches sei immer noch in den Köp­fen ver­an­kert – oder schon wie­der. Oben wer­den Kreu­ze auf­ge­stellt für die Toten, die mit­spie­len, aber nicht anwe­send sind. Der Kul­tur­anthro­po­lo­ge in der Run­de hat oft eine ande­re Auf­fas­sung als die Betrof­fe­nen, will nicht so viel Gefühl, mehr Doku­men­te. Chri­stel Ihmann fin­det, das Zurück­ge­ben der Kunst­schät­ze kön­ne die Aner­ken­nung von Schuld sein. Sie möch­te ihren Kin­dern »die­se Sachen« zei­gen, einen Teil von ihr. Ich erin­ne­re mich, hier­zu­lan­de wur­de von »die­sen geschichts­lo­sen Völ­kern« gespro­chen. War­um wohl?

Wich­tig zum The­ma: die Bei­la­ge zum Par­la­ment: Aus Poli­tik und Zeit­ge­schich­te Nr. 40-42, 2019, vom 30. Sep­tem­ber: »Deut­sche Kolonialgeschichte«.

Näch­ste Vor­stel­lung: 16. Novem­ber, 20 Uhr, Depot 2, Carls­werk, Schan­zen­stra­ße 6-20, 51063 Köln, https://www.schauspiel.koeln/