Haben wir es mit im Erwachsenenalter Getauften zu tun? Oder – mit des Wortes häufigerer Verwendung – den früher im Lande nicht heimischen Pflanzen? Da man beim Lesen auf Bekanntes stößt, sich öfter an des Verfassers hoch zu lobenden Band »An der Schwelle des Harzes« erinnert fühlt, können die Adventivpflanzen wohl nicht gemeint sein.
In zwei Sonettenkränzen, »Neophyten« und »Requiem«, erlebt man einen form- und sprachbewussten Dichter, der es schafft, seine Weltsicht als gültig zu präsentieren. Im ersten wirkt manches fast schon zu glatt gehobelt, wenn etwa »der regen verzählt«, damit es lauten kann: »wir haben zu viele worte geschält«. Das »Requiem« geht tiefer, Verse bleiben haften und klingen nach, weil sie meisterlich geformt sind. Etwa die Terzinen des Sonetts XV: »da, wo der dreizack jedes netz zerriss, / setzt sich der styxschlamm in den fugen fest, / kein regen gibt zurück, was je verschwand. hast du das meer gesehn, kennst du die finsternis, / im traum, der dich nicht schlafen lässt. / das meer, es liest den toten aus der hand.«
Sympathisch ist, dass der hohe Ton, die oft benutzten Bezüge auf antike Mythologie nebst Verhandlung »letzter Dinge«, mehrfach auf Konterminen stößt, wie etwa in »Old School«, wo »die erste fluppe« mit zwölf geraucht wird, wo magenschonenden Kaffee trinkende Lehrer »mit fragenden gesichtern« stehen, gesteigert noch in »Klassen, Treffen«. Hier wird das allbekannte Gequatsche solcher Veranstaltungen in ein flott gereimtes Gedicht gegossen, verdutzt hält man inne, wie trefflich sich »schlappgelacht« auf »umgebracht« reimt.
Neophyten lenken den Blick auf sich, seien es Pflanzen oder Erwachsene, die sich der Taufe unterziehen. Ein Gedichteschreiber als Botaniker oder als Täufer? Auf jeden Fall sollte in Gedichten etwas Neues auftauchen in der gewohnten Welt und im Alltag des Lesers. Das gelingt vielen, nicht allen Gedichten des Bandes. Doch vermögen sie uns sämtlich daran zu erinnern, wie widersprüchlich-herrlich unser Leben ist und dass es gut ist, es zu haben.
Der letzte Text des Buches spricht davon, dass die letzten Seiten noch immer leer seien. Mit dem Lesen oder Sprechen der davor stehenden Gedichte kann man sie füllen …
Thomas Rackwitz: »neophyten«, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, 84 Seiten, 12 €