»America first« – dieser von US-Präsident Donald Trump auf jeder Silbe betonte und mehrfach wiederholte Schlachtruf ist ein Markenzeichen aktueller US-Politik. Interessanterweise war der Slogan von Trump nicht wie gewohnt militärisch gemeint, sondern ökonomisch – wenn auch gerade in den USA beides enger miteinander verknüpft ist als in anderen westlichen Staaten. Das ökonomische Mantra eines neuen Protektionismus verschafft Trump Popularität und Wählerstimmen.
Der bundesdeutschen Politik-Prominenz dient Trumps Slogan dagegen als Projektionsfläche für das, was man angeblich auf gar keinen Fall will. Er dient ihr als hilfreiches Beispiel, um sich von einer Politik abzugrenzen, für die man hierzulande wahrlich nicht stehen will, nämlich den nationalen Vorteil über alles zu stellen.
Tatsächlich steht die deutsche Politik der US-Politik in nichts nach, wenn es um die Durchsetzung unserer Weltmarktstellung auf den Exportmärkten geht. Da kennen deutsche Politikerinnen und Politiker keine Hemmungen, weder innenpolitisch noch außenpolitisch. Aber in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung bemühen sie sich sorgfältig, die nachteiligen Folgen für Demokratie, Rechtsstaat und die Betroffenen im In- und Ausland zu kaschieren. So erschien in den Auseinandersetzungen um TTIP und CETA tatsächlich selbst bis in linke Kreise hinein nicht Deutschland als wesentlicher Antreiber und Motor der Freihandels-abkommen, sondern die USA mit ihrem berüchtigten »Chlorhühnchen«.
Nur vornehmlich dann, wenn Ansprüche an den Sozialstaat, eine vernünftige Infrastruktur, eine alternative Steuerpolitik oder an ökologische Standards laut werden, wird von den Regierungen das Argument der unerlässlichen Konkurrenzfähigkeit ausgepackt. Nur diese sichere all unsere Annehmlichkeiten und gewährleiste unseren Sozialstaat. Und da diese Konkurrenzfähigkeit ständig bedroht ist und täglich neu gefestigt werden muss, bedarf es starker Ellbogen und eines entsprechenden Denkens und Verhaltens.
Kooperationsfähigkeit, Integration, gar Inklusion müssen im Zweifel dahinter zurückstehen, ebenso wie Gemeingüter oder Solidarität. Man kann nicht alles haben!
Wenn allerdings die ökonomisch-politische Maxime »Germany first« zur Überlebensfrage des deutschen Wirtschaftssystems erklärt wird, und wenn Alternativen gleichzeitig tabuisiert oder mit gesetzgeberischen Tricks verhindert werden, dann ist es um Demokratie und sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft schlecht bestellt. Selbst der Rechtsstaat wird dann in den zweiten Rang verwiesen. Allein Letzteres ist beängstigend genug, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Ein unter Top-Konzernen allem Anschein nach abgestimmtes rechtswidriges Verhalten in Bezug auf die Deklaration von Abgaswerten wurde zum Skandal heruntergespielt. Und es waren ausgerechnet die verteufelten USA, die zivil- und strafrechtlich dagegen vorgingen.
Steuerhinterziehung gilt hierzulande nicht als asozial, die ganz vorherrschenden Wortprägungen für den Sachverhalt heißen nicht zufällig »Steuerparadies« und »Steuer-Oase«. Wer wollte Menschen aus einem Paradies vertreiben oder eine Oase trockenlegen?!
Und bei den Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäften (die übrigens immer noch laufen, wie das Recherchezentrum Correctiv nachgewiesen hat) wurden die Brandstifter sogar zur Feuerwehr gemacht.
Dass ein hessischer Kultusminister, der im Hauptberuf internationaler Rechtsexperte und Hochschullehrer ist, die öffentliche Gerichtsbarkeit zugunsten privater internationaler Schiedsgerichte zurückdrängen will, zeigt, für wie bedeutsam die Rolle Deutschlands als Exportnation Nummer eins eingeschätzt wird.
Von daher stoßen UmweltaktivistInnen, WohnungskampagnerInnen, Friedensbewegte oder diejenigen, die sich gegen die immer weitere Privatisierung öffentlicher Güter einsetzen, relativ schnell auf Granit. Nicht deshalb, weil die von ihnen vorgeschlagenen Wege nicht gangbar wären, sondern weil von der veröffentlichten Meinung diese Wege entweder ignoriert oder so kommuniziert werden, dass sich schnell die Angst davor breitmacht, Deutschland könne »weg vom Fenster sein«. Denn wer seine Rolle als Weltmarktnummer eins verspielt, findet sich vielleicht bald als Schlusslicht wieder. Die »heimliche Agenda« führt zu latenter Angst. Und Angst ist kein guter Ratgeber.
Sie kann am besten durch eine breite gesellschaftliche Debatte über Alternativen bezwungen werden.
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, auch Memorandum-Gruppe genannt, versucht dies seit bereits 44 Jahren. Sie bohrt mit wissenschaftlichem Sachverstand dicke Bretter und bietet für die zahlreichen Kampagnen jede Menge Andockmöglichkeiten. Ihre Vorschläge könnten jederzeit umgesetzt werden, wenn sich eine entsprechende gesetzgeberische Mehrheit in der Bevölkerung finden würde. Noch, denn die national und international ausgeworfenen Netze nehmen zu, wie die »Rutschbahnen in die Privatisierung« über staatliche Kreditaufnahmeverbote (vulgo »Schuldenbremse« oder »Maastricht-Kriterien«) zeigen.
Die Alternativen würden das soziale Gefälle, das krasse Einkommens- und Vermögensgefälle angehen und die vernachlässigten Bedürfnisse der Bevölkerung in Deutschland in den Mittelpunkt stellen.
Wenn die deutsche Infrastruktur in den Bereichen Bildung, Verkehr und preiswerter Wohnraum schon so gefährdet ist, dass der Bundesverband der deutschen Industrie und der Deutsche Gewerkschaftsbund zusammen eine Pressekonferenz abhalten, dann muss ja wohl einiges schieflaufen in dieser Republik.
»Binnenorientierung« ist keine Absage an den internationalen Austausch und kein Bekenntnis zur nationalen Abschottung, sondern eine Besinnung auf die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Bevölkerung hier.
Sie würde gleichzeitig auch unsere Nachbarn entlasten, denen mit der deutschen Beggar-my-neighbour-Politik (meinen Nachbarn ausplündern) und der Austeritätspolitik großer Schaden zugefügt wird.
Vor wenigen Wochen ist Herbert Storns neues Buch erschienen: »Germany first! Die heimliche deutsche Agenda. Wie eine Doktrin Demokratie, Rechtsstaat und sozialen Zusammenhalt bedroht«, Büchner-Verlag, 252 Seiten, 18 €.