Die Lebenserinnerungen von Wolfgang Popp (1935-2017) sind im Juni 2023 erschienen. Herausgeber ist sein langjähriger Lebenspartner Bernhard Nolz. Der bekundet im Vorwort die Verzögerung der Herausgabe mit der erforderlichen Trauerarbeit und der vorübergehenden Lähmung durch die Corona-Maßnahmen.
Wolfgang Popp hat von Kindheit an eine Frage beschäftigt, die ihn bis zum Lebensende nicht mehr loslassen sollte: Wie war es möglich, dass Millionen Menschen – auch seine Eltern – der Barbarei des Nationalsozialismus gefolgt sind? Und daran anschließend: Wie ist nach 1945 den Menschen die Integration in die demokratische Gesellschaft geglückt und wie demokratisch war eigentlich die Bundesrepublik Deutschland in ihren ersten 50 Jahren? Mit seinen Antworten begründet er zugleich seine Friedensarbeit, seine Toleranz und seine Menschenliebe.
Die Leserinnen und Leser des Buches haben Gelegenheit sich mit Popps zeitkritischen Bewertungen zu sozialen und Bildungsfragen auseinander zu setzen und sie mit den heutigen Ereignissen zu vergleichen. Was z. B. hat Popp zur basisdemokratischen Gestaltung des Gemeinwesens beizutragen? Beispiele: Gründung des Siegener Zentrums für Friedenskultur (ZFK) im Jahr 2000, dem internationalen Jahr für eine Kultur des Friedens, oder PANORAMA, eine interkulturelle Zeitschrift für das Siegerland in vier Sprachen.
Wolfgang Popp war von 1972 bis 2000 Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik an der Gesamthochschule Siegen, die später zur Universität Siegen umgewidmet wurde. Das heißt seine hochschulpolitischen und wissenschaftlichen Anfänge waren von einer politischen und pädagogischen Aufbruchsstimmung geprägt (»Demokratie wagen!«). Wolfgang Popp lässt die konfliktreichen beruflichen Zeiten von viereinhalb Jahrzehnten noch einmal aufleben und beschreibt und kommentiert die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Projekte, die er angestoßen oder an denen er mitgewirkt hat.
Popps Reflexionen aus der Rückschau sind in einem brillanten Schreibstil verfasst, der seine didaktische Handschrift trägt. Er legt dar, was geschehen ist und wie er die damaligen Ereignisse beurteilt. Und dann kommt in vielen Kapiteln eine Verfahrensweise hinzu, die zurzeit im öffentlichen Raum wenig Beachtung findet: Der Autor präsentiert Dokumente, z. B. Ausschnitte aus den Originaltexten, so dass sich die Leser ein eigenes Bild machen können.
Wolfgang Popp war in der Friedensbewegung, in der Schwulenbewegung, in der Gewerkschaftsbewegung aktiv, und er war einer der Wegbereiter der Genderforschung, mit dem von ihm gegründeten Forschungsschwerpunkt »Homosexualität und Literatur« und der Zeitschrift »Forum Homosexualität und Literatur«. Mit Bezug darauf vergibt die Universität Siegen seit 2018 jährlich den Wolfgang-Popp-Preis für Abschlussarbeiten, die sich mit Themen der Genderforschung beschäftigen.
Die Leser erfahren, wie Popp Wissenschafts- und Bewegungsaktivitäten, persönliche Interessen und gesellschaftliche Erfordernisse in Einklang zu bringen versucht hat und welche Menschen ihn dabei begleitet haben. Zweiundzwanzig von ihnen dankt er in einer besonderen Textform, die er »Medaillon« nennt.
Eingeleitet wird der Band von Gerhard Härle mit »Ästhetik und Emanzipation. Zur wissenschaftlichen Bedeutung von Wolfgang Popps Lebenswerk«. Und Bernhard Nolz schreibt über »Eine starke Gruppe und wortgewaltige Menschen. Zur friedenspädagogischen Arbeit von Wolfgang Popp».
Im Anhang: 20 Fotos, ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Wolfgang Popps sowie die Ausschreibung zum Wolfgang-Popp-Preis.
Wolfgang Popp: GERMANIST – PAZIFIST – SCHWUL. Mein Leben. Hrsg. von Bernhard Nolz, Siegen 2023, universi - Universitätsverlag Siegen, ISBN 978-3-96182-139-6, 350 S. 23,50 €