Henry Leide hat ein Trauma: Die DDR hat nach seiner Meinung zu wenig zur Aufklärung von Naziverbrechen im Allgemeinen und in Bezug auf das KZ Auschwitz im Besonderen getan. Bereits vor mehr als zehn Jahren machte er mit einem Buch auf sich aufmerksam, welches gleichsam eine Abrechnung mit der Abteilung IX/11 des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sein sollte. Die Abteilung war mit der Ermittlung von Nazigewalttätern befasst. Leides Kritik war so heftig und leider auch oft unberechtigt, dass ehemalige Mitarbeiter der Abteilung sie nicht auf sich sitzen lassen konnten. So erschien zum Buch von Leide, der im Übrigen bei der Außenstelle Rostock des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des MfS beschäftigt ist, ein »Anti-Leide«, der auch so betitelt wurde. Jetzt hat der Autor »nachgelegt« und das Buch »Auschwitz und Staatssicherheit« herausgebracht. Es wurde kürzlich mit großem Getöse in Berlin vorgestellt. Die Welt titelte: »So schützte die Stasi Auschwitz-Mörder«, und der Rezensent versteigt sich gar zu der Behauptung, die Strafverfolgung solcher Taten wäre in der DDR »noch lascher« gewesen.
Gleichzeitig muss er aber einräumen, dass sich die BRD »bis weit in die 1960er Jahre hinein wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, was die juristische Sanktionierung des Holocaust betrifft«, um dann aber sofort hinzuzufügen: »Aber die DDR war in jeder Hinsicht noch viel schlimmer.« Der Buchautor und der Rezensent in der Welt sind sich offenbar einig, wenn es darum geht, den Antifaschismus der DDR weiterhin zur Zielscheibe zu erklären. Das ist nicht neu. Schon nach Erscheinen von Leides erstem Buch war in der Welt am Sonntag zu lesen, dass das Bild des konsequent antifaschistischen deutschen Staates, »zertrümmert« werde. Detlef Joseph, der einst an der Berliner Humboldt-Universität Staats- und Rechtstheorie lehrte, belegte bereits mit seinem vor Jahren erschienenen Buch mit dem etwas provokanten Titel »Nazis in der DDR«, warum das nicht stimmt. Er war es auch, der konstatierte: »Die Sympathie bürgerlicher Kreise für den Faschismus als Faktor der Machterhaltung des Kapitalismus bestimmt auch die Sympathie für jene Menschen, die für den Erhalt und die Stabilisierung des Nazifaschismus verantwortlich zeichneten und die von ihrer antikommunistischen Haltung nach der Zerschlagung des Faschismus nicht Abstand nahmen.« Man möchte meinen, dass nach der Enthüllung zahlreicher Personen des öffentlichen Lebens der Bundesrepublik im Mitte der 1960er Jahre bereits erschienenen »Braunbuch« deutlich wurde, wo die Masse der alten Nazis sitzt und wer sie integriert hat. Adenauer hat daraus nie einen Hehl gemacht. Er forderte, es müsse Schluss sein mit der »Naziriecherei«, und wollte kein »schmutziges Wasser wegschütten, bevor er nicht sauberes« habe. Dabei blieb es. Die alten Nazis konnten oft bis zum Erreichen des Pensionsalters bleiben und blieben unbehelligt. In den juristischen Fakultäten waren Namen wie Theodor Maunz oder Eduard Dreher noch lange auf den Buchdeckeln der verwendeten Standardwerke zu lesen, obgleich deren braune Vergangenheit bekannt war. Globke schaffte es bis zum Staatssekretär und zur »grauen Eminenz« Adenauers. Sein Bild hängt noch heute im Bundeskanzleramt. Welche Personen in der BRD für geheimdienstliche Zwecke angeworben wurden, obgleich sie eine »braune Weste« hatten, bleibt weiterhin unbekannt, da hierzu wohl weder Auskünfte noch Akten bereitgestellt werden. So bleibt denn nach Leide wieder alles an der DDR hängen, die sich nicht mehr wehren kann und mit der als Feindbild sich offenbar noch immer Aufmerksamkeit erzielen lässt. Aber vielleicht gibt es ja bald auch wieder einen neuen »Anti-Leide«.