Am 8. November eines jeden Jahres gibt es nichts zu feiern. Auf den 9. November, einen Tag später, da werden wir Jahr für Jahr meist wochenlang vorbereitet, da ist deutscher Jubeltag: Eine Mauer ging kaputt, die noch heute durch deutsche Schädel geistert, und das Nicht-unser-Deutschland bekommt aus Bundespräsidenten-Mund das gesagt, was sich das Kapital verdiente und verdient. Dabei haben die Jubel-Deutschen einen Mann vergessen, verdrängt und unter jene eingeordnet, die in der Geschichte entweder gar kein Gedenken abbekommen oder am Rande erwähnt werden, weil man einen einfachen Arbeiter nicht gern in einen Topf mit jenen wirft, derer man am 20. Juli gedenkt.
Ein Beispiel besonderer Würdigung jenes Widerstandes gegen Hitler, der am 20. Juli gefeiert wird – natürlich mit einer Bundesheer-Vereidigungs-Veranstaltung –, ist die Feststellung der Autorin Barbara Koehn (»Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Eine Würdigung«): »Der Widerstand in Europa wurde meistens von Kommunisten oder Sozialisten organisiert und geleitet. Der deutsche Widerstand dagegen wurde hauptsächlich von Bürgern und Adeligen angeführt.« Ergebnis nach erfolgreichem 20. Juli-Attentat wäre ein Ständestaat gewesen, der kaum demokratische Grundsätze festgeschrieben hätte – nach Kommentar von Arno Klönne: »Die deutsche Militärkaste als Hort des Widerstands gegen das Hitler-System? Rigoroser lässt sich Geschichte kaum fälschen. «
Anfang September 1939 wurde vom Aktionsausschuss deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten ein aus zwei Blättern im Umdruck-Verfahren hergestelltes Flugblatt verbreitet; hier der erste Absatz:
»Deutsches Volk
Der Krieg ist da – von Hitler herbeigeführt!
In der Absicht, der ganzen Welt das nazistische Joch aufzuzwingen und im Interesse des Monopolkapitals, der Krupp, Thyssen, Blohm, Hapag – Helferich und Konsorten hat die Hitlerregierung von 1933 bis heute durch ihre wahnsinnigen, die ganze deutsche Volkswirtschaft zerrüttenden Rüstungen, durch ihr Bündnis mit Mussolini und dem Mikado und durch ihre, bis zuletzt mit Provokationen gegen die Nachbarvölker gespickte Außenpolitik planmäßig auf diesen Krieg hingearbeitet! Die Hitlerregierung allein fällt dieser neue Weltkrieg (denn ein solcher wird es werden) zur Last!«
Am 8. November 1939 – das war dem Schreiner Georg Elser bekannt – würde Adolf Hitler, wie jedes Jahr seit 1933, im Münchener Bürgerbräukeller sprechen, weil an diesem Tag im Jahre 1923 der NS-Führer Adolf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller die »nationale Revolution« verkündet hatte. Adolf Hitler erklärte die bayerische und die Reichsregierung für abgesetzt und proklamierte den Marsch auf Berlin. Am folgenden Tag wird der sogenannte Hitler-Putsch von Polizei und Reichswehr an der Feldherrnhalle gewaltsam niedergeschlagen. Hitler wird am 11. November verhaftet.
Georg Elser, geboren am 4. Januar 1903 in Hermaringen/Württemberg, lehnte den Nationalsozialismus seit Bestehen radikal und konsequent ab. Ein »Heil Hitler« war von ihm als Gruß nie zu hören; auch an »Gemeinschaftsveranstaltungen« nahm Elser nie teil. Die Verschlechterung der Lebensbedingungen in den ersten Jahren der Naziherrschaft nach 1933, samt der Einschränkung der Freiheitsrechte, war Anlass seiner Gegnerschaft. Elser, der seit Herbst 1938 sehr zielstrebig seine Tat vorbereitete, war klar, dass die Hitlerdiktatur in einem Krieg enden würde. Im Verhörprotokoll der Gestapo-Vernehmung am 21.11.1938 in Berlin ist nachzulesen:
»Soeben fällt mir noch ein, dass ich nach der Besichtigung des Saales des Bürgerbräukellers noch feststellen konnte, dass der Saal in keiner Weise bewacht war, dass keine Kontrolle vorhanden war und dass jedermann ohne weiteres zu diesem Saal Zutritt erlangen konnte. Nach 2 oder 3 Tagen habe ich mir während der Freizeit überlegt, an welcher Stelle des Saales etwas zu machen ist. Auf Grund der Saalbesichtigung hielt ich diesen für einen Anschlag auf die Führung als geeignet. (…) In den folgenden Wochen hatte ich mir dann langsam im Kopf zurechtgelegt, dass es am besten sei, Sprengstoff in jene bestimmte Säule hinter dem Rednerpodium zu packen und diesen Sprengstoff durch irgendeine Vorrichtung zur richtigen Zeit zur Entzündung zu bringen. (…) Die Säule habe ich mir deshalb gewählt, weil die bei einer Explosion umherfliegenden Stücke die Leute am und um das Rednerpult treffen mussten. (…) Welche Personen allerdings um das Rednerpult bei der Veranstaltung sitzen, wusste ich nicht. Ich wusste aber, dass Hitler spricht, und nahm an, dass in seiner nächsten Nähe die Führung sitzt.«
Georg Elser beginnt im Herbst 1938 mit seinen Vorbereitungen in der Heidenheimer Armaturenfabrik. Wo er arbeitet, kann er sich 250 Presspulverstücke beschaffen, die er zunächst in seiner Wohnung versteckt. Er beginnt Pläne für den Sprengkörper zu zeichnen und konstruiert einen Zündmechanismus, einen Zeitzünder mit zwei Uhrwerken. Auch über Möglichkeiten einer Flucht in die Schweiz macht er sich Gedanken.
An seinem Arbeitsplatz im Königsbronner Steinbruch »organisiert« Elser 100 Sprengpatronen und 125 Sprengkapseln. Nach einem Arbeitsunfall lebt er ab August 1939 in München. Unbemerkt bereitet er in 30 Nächten (während der Schließzeit des Bürgerbräukellers) die Säule über Hitlers Rednerpult für den Anschlag vor.
In der Nacht vom 2. auf den 3. November 1939 wird der Sprengkörper in der ausgehöhlten Säule platziert. Den restlichen Hohlraum verfüllt er mit weiterem Sprengstoff und Pulver. Den Zündmechanismus stellt Elser am Morgen des 6. November ein. Zündzeitpunkt: 21.20 Uhr! In der Nacht vom 7. auf den 8. November überprüft Georg Elser noch einmal den Zeitzünder und verlässt München.
Hitler wollte ursprünglich wegen des bevorstehenden Angriffs deutscher Truppen im Westen auf seine übliche Festrede zum Putschjahrestag verzichten. Sein Stellvertreter Rudolf Hess war vorgesehen. Kurzfristig änderte er seine Meinung. Die Rede ist nur kurz, was völlig unüblich war, und um 21.07 Uhr verlässt Adolf Hitler die Veranstaltung, weil er rasch zurück nach Berlin will. Die Bombe explodiert gegen 21.20 Uhr. Die Säule wird zerstört, die Saaldecke stürzt herab, und hätte Hitler am Rednerpult gestanden, wäre er getötet worden. So gibt es acht Tote (alte Kämpfer) und über 60 Verletzte.
»Angesichts der mageren Untersuchungsergebnisse und des Mangels an Beweisen für die voreilige Behauptung, ausländische Geheimdienste steckten hinter dem Attentat, verzichtete man während des Krieges auf einen großen Prozess gegen Elser. Als im Frühjahr 1945 das Ende des Reiches nahe war, holte Gestapo-Chef Heinrich Müller – über Himmler – Hitlers Entscheidung »wegen unseres besonderen Schutzhäftlings ›Eller‹« ein, unter welchem Decknamen Elser festgehalten wurde.
Am 5. April 1945 schrieb er an den Lagerkommandanten von Dachau, SS-Obersturmbannführer Weiter: »Bei einem der nächsten Terrorangriffe auf München bzw. auf die Umgebung von Dachau ist angeblich ›Eller‹ tödlich (sic) verunglückt. Ich bitte, zu diesem Zweck Eller in absolut unauffälliger Weise nach Eintritt einer solchen Situation zu liquidieren. Die Vollzugsanzeige hierüber würde dann etwa an mich lauten: Am (…), anlässlich des Terrorangriffs auf (…), wurde u. a. der Schutzhäftling ›Eller‹ tödlich verletzt.«
Am 9.4.1945 wurde Elser im KZ Dachau von SS-Oberscharführer Theodor Bongartz ermordet. Der Elser-Mörder starb am 15. Mai 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Sein Grab (Soldatengrab) wurde Ende des letzten Jahrhunderts auf einem Friedhof in Heilbronn entdeckt, und im Jahre 2001 wurde der Grabstein entfernt.
Erst im Jahre 1989, am 9. November, wird im neuen Kulturzentrum Gasteig an jener Stelle, an der sich die Säule mit dem Sprengkörper befunden hatte, eine Gedenktafel eingeweiht: »An dieser Stelle im ehemaligen Bürgerbräukeller versuchte der Schreiner Johann Georg Elser am 8. November 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler. Er wollte damit dem Terror-Regime der Nationalsozialisten ein Ende setzen. Das Vorhaben scheiterte. Johann Georg Elser wurde nach 5 1/2 Jahren Haft am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau ermordet.«