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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Georg Elser

Am 8. Novem­ber eines jeden Jah­res gibt es nichts zu fei­ern. Auf den 9. Novem­ber, einen Tag spä­ter, da wer­den wir Jahr für Jahr meist wochen­lang vor­be­rei­tet, da ist deut­scher Jubel­tag: Eine Mau­er ging kaputt, die noch heu­te durch deut­sche Schä­del gei­stert, und das Nicht-unser-Deutsch­land bekommt aus Bun­des­prä­si­den­ten-Mund das gesagt, was sich das Kapi­tal ver­dien­te und ver­dient. Dabei haben die Jubel-Deut­schen einen Mann ver­ges­sen, ver­drängt und unter jene ein­ge­ord­net, die in der Geschich­te ent­we­der gar kein Geden­ken abbe­kom­men oder am Ran­de erwähnt wer­den, weil man einen ein­fa­chen Arbei­ter nicht gern in einen Topf mit jenen wirft, derer man am 20. Juli gedenkt.

Ein Bei­spiel beson­de­rer Wür­di­gung jenes Wider­stan­des gegen Hit­ler, der am 20. Juli gefei­ert wird – natür­lich mit einer Bun­des­heer-Ver­ei­di­gungs-Ver­an­stal­tung –, ist die Fest­stel­lung der Autorin Bar­ba­ra Koehn (»Der deut­sche Wider­stand gegen Hit­ler. Eine Wür­di­gung«): »Der Wider­stand in Euro­pa wur­de mei­stens von Kom­mu­ni­sten oder Sozia­li­sten orga­ni­siert und gelei­tet. Der deut­sche Wider­stand dage­gen wur­de haupt­säch­lich von Bür­gern und Ade­li­gen ange­führt.« Ergeb­nis nach erfolg­rei­chem 20. Juli-Atten­tat wäre ein Stän­de­staat gewe­sen, der kaum demo­kra­ti­sche Grund­sät­ze fest­ge­schrie­ben hät­te – nach Kom­men­tar von Arno Klön­ne: »Die deut­sche Mili­tär­ka­ste als Hort des Wider­stands gegen das Hit­ler-System? Rigo­ro­ser lässt sich Geschich­te kaum fälschen. «

Anfang Sep­tem­ber 1939 wur­de vom Akti­ons­aus­schuss deut­scher Sozi­al­de­mo­kra­ten und Kom­mu­ni­sten ein aus zwei Blät­tern im Umdruck-Ver­fah­ren her­ge­stell­tes Flug­blatt ver­brei­tet; hier der erste Absatz:

»Deut­sches Volk

Der Krieg ist da – von Hit­ler herbeigeführt!

In der Absicht, der gan­zen Welt das nazi­sti­sche Joch auf­zu­zwin­gen und im Inter­es­se des Mono­pol­ka­pi­tals, der Krupp, Thys­sen, Blohm, Hapag – Hel­fe­rich und Kon­sor­ten hat die Hit­ler­re­gie­rung von 1933 bis heu­te durch ihre wahn­sin­ni­gen, die gan­ze deut­sche Volks­wirt­schaft zer­rüt­ten­den Rüstun­gen, durch ihr Bünd­nis mit Mus­so­li­ni und dem Mika­do und durch ihre, bis zuletzt mit Pro­vo­ka­tio­nen gegen die Nach­bar­völ­ker gespick­te Außen­po­li­tik plan­mä­ßig auf die­sen Krieg hin­ge­ar­bei­tet! Die Hit­ler­re­gie­rung allein fällt die­ser neue Welt­krieg (denn ein sol­cher wird es wer­den) zur Last!«

Am 8. Novem­ber 1939 – das war dem Schrei­ner Georg Elser bekannt – wür­de Adolf Hit­ler, wie jedes Jahr seit 1933, im Mün­che­ner Bür­ger­bräu­kel­ler spre­chen, weil an die­sem Tag im Jah­re 1923 der NS-Füh­rer Adolf Hit­ler im Mün­che­ner Bür­ger­bräu­kel­ler die »natio­na­le Revo­lu­ti­on« ver­kün­det hat­te. Adolf Hit­ler erklär­te die baye­ri­sche und die Reichs­re­gie­rung für abge­setzt und pro­kla­mier­te den Marsch auf Ber­lin. Am fol­gen­den Tag wird der soge­nann­te Hit­ler-Putsch von Poli­zei und Reichs­wehr an der Feld­herrn­hal­le gewalt­sam nie­der­ge­schla­gen. Hit­ler wird am 11. Novem­ber verhaftet.

Georg Elser, gebo­ren am 4. Janu­ar 1903 in Hermaringen/​Württemberg, lehn­te den Natio­nal­so­zia­lis­mus seit Bestehen radi­kal und kon­se­quent ab. Ein »Heil Hit­ler« war von ihm als Gruß nie zu hören; auch an »Gemein­schafts­ver­an­stal­tun­gen« nahm Elser nie teil. Die Ver­schlech­te­rung der Lebens­be­din­gun­gen in den ersten Jah­ren der Nazi­herr­schaft nach 1933, samt der Ein­schrän­kung der Frei­heits­rech­te, war Anlass sei­ner Geg­ner­schaft. Elser, der seit Herbst 1938 sehr ziel­stre­big sei­ne Tat vor­be­rei­te­te, war klar, dass die Hit­ler­dik­ta­tur in einem Krieg enden wür­de. Im Ver­hör­pro­to­koll der Gesta­po-Ver­neh­mung am 21.11.1938 in Ber­lin ist nachzulesen:

»Soeben fällt mir noch ein, dass ich nach der Besich­ti­gung des Saa­les des Bür­ger­bräu­kel­lers noch fest­stel­len konn­te, dass der Saal in kei­ner Wei­se bewacht war, dass kei­ne Kon­trol­le vor­han­den war und dass jeder­mann ohne wei­te­res zu die­sem Saal Zutritt erlan­gen konn­te. Nach 2 oder 3 Tagen habe ich mir wäh­rend der Frei­zeit über­legt, an wel­cher Stel­le des Saa­les etwas zu machen ist. Auf Grund der Saal­be­sich­ti­gung hielt ich die­sen für einen Anschlag auf die Füh­rung als geeig­net. (…) In den fol­gen­den Wochen hat­te ich mir dann lang­sam im Kopf zurecht­ge­legt, dass es am besten sei, Spreng­stoff in jene bestimm­te Säu­le hin­ter dem Red­ner­po­di­um zu packen und die­sen Spreng­stoff durch irgend­ei­ne Vor­rich­tung zur rich­ti­gen Zeit zur Ent­zün­dung zu brin­gen. (…) Die Säu­le habe ich mir des­halb gewählt, weil die bei einer Explo­si­on umher­flie­gen­den Stücke die Leu­te am und um das Red­ner­pult tref­fen muss­ten. (…) Wel­che Per­so­nen aller­dings um das Red­ner­pult bei der Ver­an­stal­tung sit­zen, wuss­te ich nicht. Ich wuss­te aber, dass Hit­ler spricht, und nahm an, dass in sei­ner näch­sten Nähe die Füh­rung sitzt.«

Georg Elser beginnt im Herbst 1938 mit sei­nen Vor­be­rei­tun­gen in der Hei­den­hei­mer Arma­tu­ren­fa­brik. Wo er arbei­tet, kann er sich 250 Press­pul­ver­stücke beschaf­fen, die er zunächst in sei­ner Woh­nung ver­steckt. Er beginnt Plä­ne für den Spreng­kör­per zu zeich­nen und kon­stru­iert einen Zünd­me­cha­nis­mus, einen Zeit­zün­der mit zwei Uhr­wer­ken. Auch über Mög­lich­kei­ten einer Flucht in die Schweiz macht er sich Gedanken.

An sei­nem Arbeits­platz im Königs­bron­ner Stein­bruch »orga­ni­siert« Elser 100 Spreng­pa­tro­nen und 125 Spreng­kap­seln. Nach einem Arbeits­un­fall lebt er ab August 1939 in Mün­chen. Unbe­merkt berei­tet er in 30 Näch­ten (wäh­rend der Schließ­zeit des Bür­ger­bräu­kel­lers) die Säu­le über Hit­lers Red­ner­pult für den Anschlag vor.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Novem­ber 1939 wird der Spreng­kör­per in der aus­ge­höhl­ten Säu­le plat­ziert. Den rest­li­chen Hohl­raum ver­füllt er mit wei­te­rem Spreng­stoff und Pul­ver. Den Zünd­me­cha­nis­mus stellt Elser am Mor­gen des 6. Novem­ber ein. Zünd­zeit­punkt: 21.20 Uhr! In der Nacht vom 7. auf den 8. Novem­ber über­prüft Georg Elser noch ein­mal den Zeit­zün­der und ver­lässt München.

Hit­ler woll­te ursprüng­lich wegen des bevor­ste­hen­den Angriffs deut­scher Trup­pen im Westen auf sei­ne übli­che Fest­re­de zum Putsch­jah­res­tag ver­zich­ten. Sein Stell­ver­tre­ter Rudolf Hess war vor­ge­se­hen. Kurz­fri­stig änder­te er sei­ne Mei­nung. Die Rede ist nur kurz, was völ­lig unüb­lich war, und um 21.07 Uhr ver­lässt Adolf Hit­ler die Ver­an­stal­tung, weil er rasch zurück nach Ber­lin will. Die Bom­be explo­diert gegen 21.20 Uhr. Die Säu­le wird zer­stört, die Saal­decke stürzt her­ab, und hät­te Hit­ler am Red­ner­pult gestan­den, wäre er getö­tet wor­den. So gibt es acht Tote (alte Kämp­fer) und über 60 Verletzte.

»Ange­sichts der mage­ren Unter­su­chungs­er­geb­nis­se und des Man­gels an Bewei­sen für die vor­ei­li­ge Behaup­tung, aus­län­di­sche Geheim­dien­ste steck­ten hin­ter dem Atten­tat, ver­zich­te­te man wäh­rend des Krie­ges auf einen gro­ßen Pro­zess gegen Elser. Als im Früh­jahr 1945 das Ende des Rei­ches nahe war, hol­te Gesta­po-Chef Hein­rich Mül­ler – über Himm­ler – Hit­lers Ent­schei­dung »wegen unse­res beson­de­ren Schutz­häft­lings ›Eller‹« ein, unter wel­chem Deck­na­men Elser fest­ge­hal­ten wurde.

Am 5. April 1945 schrieb er an den Lager­kom­man­dan­ten von Dach­au, SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Wei­ter: »Bei einem der näch­sten Ter­ror­an­grif­fe auf Mün­chen bzw. auf die Umge­bung von Dach­au ist angeb­lich ›Eller‹ töd­lich (sic) ver­un­glückt. Ich bit­te, zu die­sem Zweck Eller in abso­lut unauf­fäl­li­ger Wei­se nach Ein­tritt einer sol­chen Situa­ti­on zu liqui­die­ren. Die Voll­zugs­an­zei­ge hier­über wür­de dann etwa an mich lau­ten: Am (…), anläss­lich des Ter­ror­an­griffs auf (…), wur­de u. a. der Schutz­häft­ling ›Eller‹ töd­lich verletzt.«

Am 9.4.1945 wur­de Elser im KZ Dach­au von SS-Ober­schar­füh­rer Theo­dor Bon­gartz ermor­det. Der Elser-Mör­der starb am 15. Mai 1945 in ame­ri­ka­ni­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Sein Grab (Sol­da­ten­grab) wur­de Ende des letz­ten Jahr­hun­derts auf einem Fried­hof in Heil­bronn ent­deckt, und im Jah­re 2001 wur­de der Grab­stein entfernt.

Erst im Jah­re 1989, am 9. Novem­ber, wird im neu­en Kul­tur­zen­trum Gasteig an jener Stel­le, an der sich die Säu­le mit dem Spreng­kör­per befun­den hat­te, eine Gedenk­ta­fel ein­ge­weiht: »An die­ser Stel­le im ehe­ma­li­gen Bür­ger­bräu­kel­ler ver­such­te der Schrei­ner Johann Georg Elser am 8. Novem­ber 1939 ein Atten­tat auf Adolf Hit­ler. Er woll­te damit dem Ter­ror-Regime der Natio­nal­so­zia­li­sten ein Ende set­zen. Das Vor­ha­ben schei­ter­te. Johann Georg Elser wur­de nach 5 1/​2 Jah­ren Haft am 9. April 1945 im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au ermordet.«