Am letzten Tag werden nur noch die Reste verkauft oder verschenkt. Viele Umarmungen und gute Wünsche. Ein großer Abschied. Tränen fließen, von Erwachsenen und Kindern: Der kleine Obst- und Gemüseladen in meinem Viertel, der Laden von Shamsi Khelghati und ihrem Sohn Farshid, ist Geschichte.
Der Laden: 33,7 Quadratmeter groß, ohne Heizung, das Klo auf dem Hof. Vor genau zehn Jahren gemietet für zunächst 1515 Euro plus Nebenkosten, zuletzt sogar für 1800 Euro. Also für mehr als 50 Euro den Quadratmeter. Ende Juni ist der Zehnjahresvertrag ausgelaufen und allen Bitten um eine Verlängerung wurde von der Vermieterin nur eine kalte Abfuhr erteilt. Sie will mehr Miete, hat sie mitgeteilt, aber auch wenn Shamsi Khelghati und Farshid die gewünschte Mieterhöhung zahlen würden, seien sie nicht mehr erwünscht: Die Vermieterin möchte, so war der Tonlage ihres Ablehnungsschreibens zu entnehmen, nicht länger einen etwas schmuddeligen Gemüseladen in ihrer Immobilie. Sie will renovieren und dann sicher etwas Schickeres. Vielleicht eine Espresso-Latte-Macchiato-Bar? Oder einen Biowein-Laden für Besserverdienende? Oder eine Trattoria del Pesce mit Olivenöl und handgerührtem Pesto. Was mein gentrifiziertes Viertel mit seiner überwiegend grünen Wählerschaft eben so braucht …
Jetzt, wo die Regale in dem Obst- und Gemüseladen leer sind, sieht man ihre Schäbigkeit, ihr Alter. Schon der Vormieter, ebenfalls ein Obst- und Gemüsehändler, hatte sie genutzt und sich für diese Regale, für die abgenutzte Kühltheke und für einen längst defekten Gemüsekühlschrank eine fünfstellige Ablöse bezahlen lassen. Die nun auch verloren ist.
Der Alltag von Shamsi und Farshid Khelghati in den vergangenen zehn Jahren: 14, 15, 16 Stunden Arbeit am Tag. Großmarkt, Anlieferung, Verkauf, frische Säfte mixen, aufräumen … Viele Tage im Jahr wegen der fehlenden Heizung in eisiger Kälte hinter der Theke stehen. Und dabei immer freundlich sein.
Doch trotz aller Schufterei. Für eine neue Einrichtung des Ladens oder gar für Rücklagen hat es schon wegen der Miete nie gereicht. Nur für das tägliche Überleben.
Nun ist der Laden weg. Ein neues Ladenlokal in der Nähe haben Shamsi Khelghati und Farshid nicht gefunden. Und unser Viertel wird schon wieder ärmer: Ärmer an einem persönlich geführten Geschäft. Ärmer an Farbigkeit. Ärmer an einer kleinen chaotischen Insel inmitten der toten Öde der Perfektion. Ärmer an einer Alternative zu den Supermarktketten, die alles dominieren. Oder zu den Lifestyle-Bio-Manufakturen für das Lebensgefühl der grünen Mittelschicht.
Vermieterin des ehemaligen Ladenlokals von Shamsi Khelghati und Farshid ist übrigens Maria Janina Zingsheim, persönlich haftende Gesellschafterin der Zingsheim Asset Management KG in Hachenburg. Ich finde, man muss die Namen der Verantwortlichen nennen.