Auch wenn Gedichte keinen Krieg verhindern oder beenden und keinen Frieden schaffen können, aber mit ihnen können wir unsere Sprachlosigkeit über das Schreckliche und Unfassbare überwinden. Gedichte zu diesen Themen hat es schon immer gegeben. In früheren Jahrhunderten wurde der Krieg in ihnen häufig verherrlicht, erst mit den Gräueln des Ersten Weltkrieges wurde die Kriegs-Lyrik zunehmend zur Antikriegs-Lyrik. Dennoch erhoben Dichter und Dichterinnen schon immer ihre mahnende Stimme, wie diese kleine Auswahl zeigt. So thematisierte der Barockdichter Andreas Gryphius (1616-1664) in seinem berühmten Sonett »Tränen des Vaterlandes« aus dem Jahr 1636 die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges in einer bildhaften Sprache – von der zerstörten Stadt bis zur Hungersnot und der wütenden Pest.
Tränen des Vaterlandes (1637)
Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.
Die Türme stehn in Glut, die Kirch› ist umgekehret.
Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.
Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen.
Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.
Anna Louisa Karsch (1772-1791), die volkstümliche Dichterin aus dem vierten Stand, die dennoch mit Lyrik ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte, schilderte in ihrer Ode »Ein Gebet an den Mars« (1761) den Sieg der Liebe über den Siebenjährigen Krieg, der seit sechs Jahren wütete.
Ein Gebet an den Mars (1761)
Du Gott des Krieges, laß die Erde!
Dein Schritt, mit Blut bemerkt, ist fürchterlich, ist schwer,
Verändre doch die schreckliche Gebärde, Und schüttle länger nicht den Speer.
Dein wartet der Olymp, und Amor mit dem Bogen
Lauscht an der Mutter Fuß. Steig von des Mordens Bahn
Zur Göttin; dann betrüg› den schlafenden Vulkan,
Wie er vor Zeiten ward betrogen.
Von Waffenschmieden ist er matt,
Wie Venus, die nach dir sechs Jahr geschmachtet hat.
Wie reizend liegt sie da im Elisäer Lenze!
Die Nymphe windet dir und Venus Mirtenkränze,
Mit Blumen untermengt. Schon gießt sie Nektartrank
In goldne Schaalen ein; und wenn auch Götter krank
Für heißer Sehnsucht sind, so ist›s gewiß Cythere
Horch im Getümmel auf, sie seufzer göttlich, höre!
Begieb vom Kampfplatz dich zurück,
Geharnischt wie du bist, an Haupt, an Arm und Fuße.
Cupido zieht dich aus, und deinem ersten Kusse
Dankt unsre ganze Welt ihr Glück.
Der Zorn in einer Frau rief, Mavors, dich hernieder,
Die Sehnsucht einer Frau hol› dich den Göttern wieder,
Und ewig komm› uns nicht zurück.
Durch persönliche Erfahrungen und Erlebnisse gehörte der Krieg zu den wichtigsten Themen der jungen deutschen Expressionisten. Viele von ihnen verloren ihr Leben auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges. Das Gedicht »Grodek« des Dichters Georg Trakl (1887-1914) entstand unter dem Eindruck der Schlacht von Grodek in Galizien, an der Trakl als Sanitäter teilnahm. In dramatischer Weise brachte er sein persönliches Entsetzen über die Realität des Krieges zum Ausdruck. Wenige Tage später verübte er Selbstmord in einem Feldlazarett in Krakau mit einer Überdosis Kokain.
Grodek
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Der Schriftsteller und Kriegsgegner Kurt Tucholsky (1890-1935) hat sich ebenfalls unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges in zahlreichen Artikeln, Zeitkommentaren und scharfzüngigen Glossen gegen Militär, Militarismus, Krieg und Gewaltherrschaft ausgesprochen. Maßgeblich war er an der »Nie-wieder-Krieg«-Bewegung in der Weimarer Republik beteiligt. Auch in zahlreichen Gedichten setzte er sich dafür ein, dem Irrsinn ein Ende zu setzen, und machte sich für eine friedliche Zukunft stark – wie in seinen bekannten Gedichten »Krieg dem Krieg« und »Der Graben«, von denen hier an die Anfangs- bzw. Schlusszeilen erinnert werden soll:
Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
weit, weit -!
Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
Und keiner, der aufzubegehren wagt.
Monat um Monat, Jahr um Jahr…
(…)
Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen spielen auf zu euerm Todestanz.
Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen –
das ist dann der Dank des Vaterlands.
Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben.
Wollt ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
übern Graben, Leute, übern Graben -!
Zum Schluss der exemplarischen Auswahl soll der politische Schriftsteller Erich Fried (1921-1988) zu Wort kommen. Als kritischer Beobachter der Geschichte und Gegenwart hat er u. a. mit seinen Gedichten den öffentlichen und literarischen Protest gegen den Vietnamkrieg unterstützt. In seinem kurzen, aufklärerischen Gedicht »17.-22. Mai 1966« geißelte er die Desinformation der Kriegsberichterstattung.
- – 22. Mai 1966
Aus Da Nang
wurde fünf Tage hindurch
täglich berichtet:
Gelegentlich einzelne Schüsse
Am sechsten Tag wurde berichtet:
In den Kämpfen der letzten fünf Tage
in Da Nang
bisher etwa tausend Opfer
Text und Auswahl: Manfred Orlick