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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gedenken an Gerhard Wolf

Die Ver­bin­dung mit Ger­hard Wolf, die sich für mich über Jahr­zehn­te hin­weg zu einer Freund­schaft ver­fe­stig­te, reicht bis 1965 zurück.

Der Schrift­stel­ler­ver­band der DDR lud jun­ge Lyri­ker ein, um sich mit Gedich­ten vor­zu­stel­len. Auch mich, der ich noch fest in mein Inge­nieurs­da­sein ein­ge­bun­den war. Zu den Gut­ach­tern gehör­te Ger­hard Wolf, der als Lyrik­lek­tor bereits als Instanz galt. Nach­dem ich gele­sen hat­te, sprach er mich an und lud mich zu sich nach Klein­mach­now ein. Ich erin­ne­re mich an einen son­ni­gen Tag in sei­nem Arbeits­zim­mer, an ein locke­res Gespräch über mei­ne mit­ge­brach­ten Gedich­te (aha, inter­es­sant, nicht schlecht). Die­ses Gespräch soll­te sich als Auf­takt für mein erstes Buch, den Gedicht-Band »Eine Stra­ßen­bahn für Nofre­te­te«, und damit über­haupt als Ein­stieg in die lite­ra­ri­sche Pha­lanx für mich erweisen.

In dem von ihm ver­fass­ten Ver­lags­gut­ach­ten, das ich erst nach Jah­ren sah, heißt es: Die Sprech­wei­se gewin­ne ihren Ton aus Zurück­hal­tung und behut­sa­mer Poin­tie­rung, die dem schein­bar Unschein­ba­ren Sinn ver­leiht, er poe­ti­sie­re nicht. Es war wohl die­se Hal­tung, die eine Grund­sym­pa­thie bei ihm aus­lö­ste. Gedich­te blie­ben eine der tra­gen­den Säu­len unse­rer Verbundenheit.

Auch jetzt, nach­dem Jahr­zehn­te als Fil­ter vor der Exi­stenz der DDR lie­gen, erweist sich nach wie vor, was offen­sicht­lich war – die Lyrik der DDR von Wert ist ohne ihn nicht denk­bar. Von Anfang an. Huchel, Are­ndt, Herm­lin, die eine hal­be bis gan­ze Gene­ra­ti­on Älte­ren waren die ersten, für die er sich, damals sel­ber gera­de drei­ßig, ein­setz­te. »Lyrik heu­te – Dich­ter lesen« hieß die pro­gram­ma­ti­sche Ver­an­stal­tung 1957, Kun­ert, Wal­ter Wer­ner, Cibul­ka, Kun­ze. Es waren nicht nur die Gleich­alt­ri­gen, denen er auf ihren lite­ra­ri­schen Weg ver­half, son­dern die non­kon­for­mi­sti­schen, die sich her­um­schlu­gen mit dem Wider­spruch zwi­schen sozia­li­sti­schem Ide­al und der viel­fäl­ti­gen Lebens­ver­en­gung im Alltag.

Er war nicht nur Men­tor, son­dern gei­stig-ästhe­ti­scher Hel­fer und Rat­ge­ber und als Lek­tor gleich­zei­tig prak­ti­scher Ver­wirk­li­cher. Er ver­half Gedich­ten zu ihrem Dasein in Büchern, zu öffent­li­chem Leben, zur stän­di­gen Ver­füg­bar­keit, bis heu­te. Bekannt­schaft mit uns selbst und Son­nen­pfer­de und Astro­nau­ten hie­ßen von ihm her­aus­ge­ge­be­ne maß­stab­set­zen­de Antho­lo­gien der näch­sten, zehn Jah­re jün­ge­ren Alters­grup­pe, die das Trai­ning des auf­rech­ten Gangs for­dernd pro­kla­mier­te: Vol­ker Braun, Sarah und Rai­ner Kirsch, Karl Mickel, Kurt Bartsch, Adolf End­ler, Elke Erb … Wer Ger­hard Wolfs Zuwen­dung erfuhr, war dich­te­risch geadelt. Zwi­schen die­sen Autoren, die zum lyri­schen Mar­ken­zei­chen der DDR wur­den, die den Staat ver­un­si­cher­ten, wenn nicht gar erschüt­ter­ten, steht sein Name. Wie auch zwi­schen denen der letz­ten Gene­ra­ti­on, die die DDR noch her­vor­brach­te, die die­sen Staat jedoch abwies, soweit es sich machen ließ: Bert Papen­fuß, Ste­fan Döring, Jan Fak­tor, Sascha Ander­son. Selbst für sie, die sich vor­sätz­lich ver­wei­ger­ten, oder so taten, fand er den Weg zu Büchern. Indem er benann­te, wie es war: Außer der Rei­he.

Er hat viel gelei­stet und erstaun­lich viel erreicht. Ohne sich zu ver­ra­ten, so groß die Anfech­tun­gen auch waren. Er erkauf­te nichts mit fau­len Kom­pro­mis­sen. Diplo­ma­tie, Höf­lich­keit waren für ihn Fremd­wör­ter – so cha­rak­te­ri­sier­te ihn Chri­sta Wolf.

Sein Cre­do war kein ideo­lo­gi­sches, es war ein ethi­sches: Wahr­haf­tig­keit, die sich durch Sprach- und Denk­ver­mö­gen zu Dich­tung sub­li­miert. Und das war auch sei­ne Lebens­ma­xi­me. Er gehör­te zu den zwölf Initia­to­ren des Pro­tests gegen die Aus­bür­ge­rung Bier­manns aus der DDR-Staats­bür­ger­schaft. Er war dage­gen und blieb es. Er war ver­läss­lich. Gro­ße Reden waren sei­ne Sache nicht. Von sich sprach er nie. Über sei­ne eige­nen Bücher schon gar nicht. Denn er war selbst ein vor­züg­li­cher Autor. Den Anspruch, den er an ande­re stell­te, erhob er auch für sich. Er war von anspruchs­vol­ler Beschei­den­heit. Natür­lich ging es in sei­nen Büchern nicht um ihn: Es geht um den Armen Höl­der­lin, um die schein­ba­ren Nar­re­tei­en Till Eulen­spie­gels, um das Schick­sal Johan­nes Bobrow­skis (Beschrei­bung eines Zim­mers).

Sei­ne lite­ra­ri­schen Bezie­hun­gen und Kennt­nis­se wur­zeln tief. Essays und die von ihm gemein­sam mit Gün­ter der Bruyn her­aus­ge­ge­be­ne Rei­he »Mär­ki­scher Dich­ter­gar­ten« bezeu­gen es. Er war von uni­ver­sel­lem Kunst­ver­stand. Sein siche­res Urteils­ver­mö­gen blieb nicht auf Lite­ra­tur beschränkt, es betraf Male­rei und Gra­phik nicht weni­ger. So wur­den Maler und Gra­phi­ker und ihre Arbeit immer wie­der sei­ne The­men: Albert Ebert, Wie­land För­ster, Ele­na Liess­ner-Blom­berg, Hart­wig Hamer … Er publi­ziert ihre Arbei­ten in erle­se­nen Büchern.

Ger­hard Wolf nutz­te die Wen­de. Er mach­te sich frei von der Abhän­gig­keit von Ver­le­gern, von Bevor­mun­dung. Er grün­de­te sei­nen eige­nen Ver­lag. Janus­press nennt er ihn listig. Er erfüll­te sich einen mehr­schich­ti­gen Traum. Selbst Ver­le­ger zu sein und sein eige­ner Herr. Zu ver­le­ge­ri­scher Höchst­form kata­pul­tier­te er, wenn es auf text-bild­li­che Gesamt­kunst­wer­ke hin­aus­lau­fen konn­te, auf Sprach­blät­ter (Carl­fried­rich Claus), auf Refle­xe aus Papier und Schat­ten (Mar­tin Hoff­mann), auf Sonet­te mit Zeich­nun­gen des Künst­lers (a.r.penk). Er war nicht nur eine Instanz für Lyrik, er lieb­te Bücher.

Durch mei­nen Wech­sel von Dres­den nach Ber­lin, wo inzwi­schen auch Wolfs wohn­ten, und durch mei­ne Frau, Danie­la Dahn, die vor­her eben­falls in Klein­mach­now gelebt und Umgang mit Chri­sta Wolf und zur Fami­lie gehabt hat­te, ent­stand eine Fami­li­en­freund­schaft. Die sich inten­si­vier­te, als wir mit unse­ren Som­mer­grund­stücken in Meck­len­burg benach­bart waren. Ohne Ger­hard Wolfs Rat­schlä­ge und prak­ti­sche Hil­fe ist mir die Nutz­bar­keit unse­res alten Bau­ern­ho­fes kaum vor­stell­bar. Wir erleb­ten Ger­hard Wolf in sei­nem ganz prak­ti­schen Ver­mö­gen und Wert. Den Men­schen im Gan­zen. Er ver­mit­tel­te Hand­wer­ker, gab Tipps wo und wie Bau­ma­te­ri­al und ande­re hun­dert Sachen zu bekom­men sind. Wir erleb­ten, mit wel­cher Ken­ner­schaft, Pro­fes­sio­na­li­tät und Hur­tig­keit er köst­li­che Essen, ja, Menüs ver­fer­tig­te. Und er war ein her­vor­ra­gen­der Wein­ken­ner. Unver­meid­lich ging es in Gesprä­chen um Bücher, ihre und unse­re und um die aktu­el­len Zumu­tun­gen, die die gesell­schaft­li­chen Zustän­de her­vor­rie­fen. Das hat sich erle­digt. Unser Grund­stück jedoch pro­fi­tiert immer noch von sei­ner Zuwen­dung. Für sei­ne Mal­ven fühl­te er sich ver­ant­wort­lich, die idea­len Stel­len an unse­ren Zie­gel­mau­ern aus­zu­su­chen. Sie schmücken, nach­dem der Brand ihres Hau­ses sie zum Orts­wech­sel zwang, immer noch unser Grund­stück, mitt­ler­wei­le nach Jahrzehnten.

Der Brand setz­te zwar ein bit­te­res Ende der direk­ten Nach­bar­schaft. Jedoch nicht unse­rer Ver­bun­den­heit. Wäh­rend Ger­hard Wolf die Wen­de sinn­voll nutz­te, wird Chri­sta Wolf einer scham- und skru­pel­lo­sen Kam­pa­gne der Abur­tei­lung und Denun­zia­ti­on aus­ge­setzt, stell­ver­tre­tend für Lei­stun­gen der DDR über­haupt. Auch in mei­ner Rol­le im PEN erle­be ich es, und wehr­te mich, auch für sie.

Lite­ra­risch beding­te Begeg­nun­gen ris­sen frei­lich nicht ab, mit neu­en Betei­lig­ten und neu­en Her­aus­for­de­run­gen. Auch Geburts­tags- und Sil­ve­ster­run­den setz­ten sich fort. Zu sei­nem 85. Geburts­tag wid­me­te ich ihm das Gedicht »Ein Men­schen im Gan­zen«. Nach Chri­stas Tod woll­te er sich nicht anmer­ken las­sen, was ihm ver­lo­ren gegan­gen ist. Selbst mit der ste­tig stei­gen­den Zahl der Lebens­jah­re behielt er sei­ne gei­sti­ge Fri­sche. Er steckt die Jah­re weg, dach­te ich. So war es nicht. Ganz zuletzt doch Hospiz.

Für den 7. Febru­ar hat­ten wir dort einen Besuch ver­ab­re­det. Um Stun­den zu spät. Nun gilt es, sich an sei­ne Bücher zu hal­ten, zumal ans letz­te, »Her­zens­sa­che«, das er unbe­dingt noch fer­tig­brin­gen wollte.