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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gebetsteppiche Made in GDR

Dass Erdoğan sei­nen Gebets­tep­pich in der Hagia Sophia aus­roll­te, sorg­te mit Recht für Ent­rü­stung. Der kol­lek­ti­ven christ­lich-abend­län­di­schen Empö­rung will ich mich kei­nes­wegs ver­schlie­ßen. Aller­dings erin­ner­te mich das Nach­rich­ten­bild an den VEB Halb­mond in Oelsnitz, der mal der größ­te Tep­pich­pro­du­zent der DDR war. Ande­re Quel­len behaup­ten sogar: Euro­pas. Aber da wir mal die größ­te DDR der Welt waren, was wohl nicht ganz zutraf, soll­te ich bes­ser auf dem Tep­pich blei­ben und mich von Super­la­ti­ven fern­hal­ten. Obgleich es doch um den »Täbris Super« geht.

Das war ein in Oelsnitz pro­du­zier­ter Ori­ent­tep­pich, der seit den fünf­zi­ger Jah­ren in den Ori­ent gelie­fert wur­de. Die­se DDR-Per­ser­tep­pi­che waren von den ech­ten, den hand­ge­knüpf­ten, kaum zu unter­schei­den, wohl aber erheb­lich preis­wer­ter. Aller­dings ist das nicht zwin­gend für den Ver­kaufs­er­folg eines Pro­duk­tes. Man braucht eine Geschich­te. Und die beginnt mit einer Zehn­tau­send-Kilo­me­ter-Rei­se, bei der in weni­ger als einem Monat eine vom Werk­di­rek­tor geführ­te Abord­nung des volks­ei­ge­nen Betrie­bes von Bei­rut bis Bag­dad rei­ste. Am Wege lagen unter ande­rem Damas­kus, Amman, Kuweit und Bas­ra. Nicht zu ver­ges­sen: Jeru­sa­lem. Um ganz genau zu sein: des­sen ara­bi­scher Teil. Dort traf man in den sech­zi­ger Jah­ren einen Tep­pich­händ­ler, dem man für »Täbris Super« die Allein­ver­tre­tung in der Regi­on über­ließ. Und der setz­te dar­auf, dass Tou­ri­sten aus der ara­bi­schen Welt bei ihm kauf­ten, um anschlie­ßend daheim stolz zu erklä­ren, dass sie die Brücke in der Hei­li­gen Stadt erwor­ben haben.

Und genau so kam es.

So gin­gen denn bald Bestel­lun­gen aus der gan­zen isla­mi­schen Welt in der DDR ein, und das Geschäft lief in Oelsnitz präch­tig, denn auch ohne Schnee funk­tio­nier­te das Schnee­ball-Prin­zip. Eini­ge Jahr­zehn­te. Bis 1990. Dann kam der Betrieb ins Port­fo­lio der Treu­hand­an­stalt, also zu den etwa 14.000 Ver­kaufs­ob­jek­ten aus der volks­ei­ge­nen DDR-Mas­se, die file­tiert, pri­va­ti­siert und/​oder liqui­diert wur­den. Gewiss gehört zur Wahr­heit, dass das Unter­neh­men bereits 1880 und nicht als VEB gegrün­det wor­den war. Ver­bürgt jedoch ist auch, dass in sei­nen besten Tagen so etwa zwei­ein­halb­tau­send Men­schen dort Arbeit und Aus­kom­men hat­ten. Jetzt ist es nur weni­ger als deren zehn­ter Teil. Die alten Fabrik­ge­bäu­de wur­den nach einer kur­zen Sanie­rungs­pha­se auf­ge­ge­ben, seit gerau­mer Zeit ste­hen die histo­ri­schen Back­stein­ge­bäu­de leer und ver­rot­ten als Indu­strie­denk­ma­le, ohne unter Denk­mal­schutz zu ste­hen. Hin und wie­der stei­gen schwar­ze Wol­ken auf, mehr als ein­mal hat es dort schon gebrannt. Der Rest­be­trieb erfolgt heu­te unter dem Tra­di­ti­ons­na­men Halb­mond-Tep­pich­wer­ke GmbH in einem Erwei­te­rungs­bau aus DDR-Tagen.

In Bei­rut wur­de damals, in den sech­zi­ger Jah­ren, in der Alt­stadt Ach­ra­fieh eine neue Moschee errich­tet. Die gan­ze Grund­flä­che von acht­hun­dert Qua­drat­me­tern wur­de voll­stän­dig mit Tep­pi­chen aus Oelsnitz aus­ge­legt, in Täbris-Super-Qua­li­tät, wie Fach­be­su­cher aus der DDR sei­ner­zeit befrie­digt fest­stell­ten. Sie wür­den sich in dem Gebets­raum sehr gut aus­neh­men, berich­te­ten sie nicht ohne Stolz.

Tem­pi pas­sa­ti. Erdoğan wird ganz gewiss kei­nen Tep­pich vom VEB Halb­mond unter sei­nen Bei­nen gehabt haben, als er die­se beug­te. Aber an unse­re Geschich­te hat er damit durch­aus erinnert.