Dass Erdoğan seinen Gebetsteppich in der Hagia Sophia ausrollte, sorgte mit Recht für Entrüstung. Der kollektiven christlich-abendländischen Empörung will ich mich keineswegs verschließen. Allerdings erinnerte mich das Nachrichtenbild an den VEB Halbmond in Oelsnitz, der mal der größte Teppichproduzent der DDR war. Andere Quellen behaupten sogar: Europas. Aber da wir mal die größte DDR der Welt waren, was wohl nicht ganz zutraf, sollte ich besser auf dem Teppich bleiben und mich von Superlativen fernhalten. Obgleich es doch um den »Täbris Super« geht.
Das war ein in Oelsnitz produzierter Orientteppich, der seit den fünfziger Jahren in den Orient geliefert wurde. Diese DDR-Perserteppiche waren von den echten, den handgeknüpften, kaum zu unterscheiden, wohl aber erheblich preiswerter. Allerdings ist das nicht zwingend für den Verkaufserfolg eines Produktes. Man braucht eine Geschichte. Und die beginnt mit einer Zehntausend-Kilometer-Reise, bei der in weniger als einem Monat eine vom Werkdirektor geführte Abordnung des volkseigenen Betriebes von Beirut bis Bagdad reiste. Am Wege lagen unter anderem Damaskus, Amman, Kuweit und Basra. Nicht zu vergessen: Jerusalem. Um ganz genau zu sein: dessen arabischer Teil. Dort traf man in den sechziger Jahren einen Teppichhändler, dem man für »Täbris Super« die Alleinvertretung in der Region überließ. Und der setzte darauf, dass Touristen aus der arabischen Welt bei ihm kauften, um anschließend daheim stolz zu erklären, dass sie die Brücke in der Heiligen Stadt erworben haben.
Und genau so kam es.
So gingen denn bald Bestellungen aus der ganzen islamischen Welt in der DDR ein, und das Geschäft lief in Oelsnitz prächtig, denn auch ohne Schnee funktionierte das Schneeball-Prinzip. Einige Jahrzehnte. Bis 1990. Dann kam der Betrieb ins Portfolio der Treuhandanstalt, also zu den etwa 14.000 Verkaufsobjekten aus der volkseigenen DDR-Masse, die filetiert, privatisiert und/oder liquidiert wurden. Gewiss gehört zur Wahrheit, dass das Unternehmen bereits 1880 und nicht als VEB gegründet worden war. Verbürgt jedoch ist auch, dass in seinen besten Tagen so etwa zweieinhalbtausend Menschen dort Arbeit und Auskommen hatten. Jetzt ist es nur weniger als deren zehnter Teil. Die alten Fabrikgebäude wurden nach einer kurzen Sanierungsphase aufgegeben, seit geraumer Zeit stehen die historischen Backsteingebäude leer und verrotten als Industriedenkmale, ohne unter Denkmalschutz zu stehen. Hin und wieder steigen schwarze Wolken auf, mehr als einmal hat es dort schon gebrannt. Der Restbetrieb erfolgt heute unter dem Traditionsnamen Halbmond-Teppichwerke GmbH in einem Erweiterungsbau aus DDR-Tagen.
In Beirut wurde damals, in den sechziger Jahren, in der Altstadt Achrafieh eine neue Moschee errichtet. Die ganze Grundfläche von achthundert Quadratmetern wurde vollständig mit Teppichen aus Oelsnitz ausgelegt, in Täbris-Super-Qualität, wie Fachbesucher aus der DDR seinerzeit befriedigt feststellten. Sie würden sich in dem Gebetsraum sehr gut ausnehmen, berichteten sie nicht ohne Stolz.
Tempi passati. Erdoğan wird ganz gewiss keinen Teppich vom VEB Halbmond unter seinen Beinen gehabt haben, als er diese beugte. Aber an unsere Geschichte hat er damit durchaus erinnert.