Es gibt Nebensachen, die direkt ins Zentrum einer Hauptsache führen. Ins Zentrum des neuen deutschen Militarismus zum Beispiel. Eine solche Nebensache ist die neue Bandenwerbung des Ballspielvereins Borussia Dortmund. Der börsennotiert geführte Bundesligist hat gerade (laut dem Fachmagazin kicker) deutlich über 100 Millionen Euro in der Champions League eingenommen und ist für die nächste Saison bereits wieder für diesen einträglichen Wettbewerb qualifiziert. Das Unternehmen zahlt zwar keine Dividende, hat aber auch kaum bemerkenswerte Schulden. Braucht die Borussia also gerade ganz dringend die paar Millionen Übergewinn vom Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall?
Mitnichten. Zwei börsennotierte Unternehmen machen Geschäfte, aber diesmal geht es nicht ums Geld. David BVB (Aktienwert zwischen 3 und 4 Euro, Umsatz 450 Millionen) gewährt dem Sponsor-Goliath (Aktienwert um die 530 Euro, Umsatz 7,2 Milliarden) das, was er am nötigsten hat: Anerkennung. Der Vorstandsvorsitzende Armin Papperger: »Mit dem BVB und Rheinmetall haben sich zwei Partner gefunden, die mit ihren Ambitionen, ihrer Haltung und ihrer Herkunft gut zueinander passen. Rheinmetall möchte seine Marke auch international noch bekannter machen.« Hans-Joachim Watzke, Vorsitzender der Geschäftsführung von Borussia Dortmund: »Sicherheit und Verteidigung sind elementare Eckpfeiler unserer Demokratie. Deshalb halten wir es für die richtige Entscheidung, uns sehr intensiv damit zu beschäftigen, wie wir diese Eckpfeiler schützen. Gerade heute, da wir jeden Tag erleben, wie Freiheit in Europa verteidigt werden muss. Mit dieser neuen Normalität sollten wir uns auseinandersetzen. Wir freuen uns auf die Partnerschaft mit Rheinmetall und öffnen uns als Borussia Dortmund ganz bewusst für einen Diskurs.«
Beide Zitate, die durch die Medien gingen, stammen aus der Presseerklärung von Rheinmetall. Der Rüstungsmanager macht, was ein Manager eben so macht: Er fädelt den ersten Deal der Rüstungsindustrie mit einem Bundesligisten ein, um »als Marke im In- und Ausland noch bekannter zu werden« (Rheinmetall). Was aber macht Hans-Joachim Watzke, ein Unternehmensgründer, der selbst nie in einer relevanten Liga Fußball gespielt hat, heute gleichwohl als der einflussreichste Funktionär des professionell organisierten deutschen Fußballs gilt? Er macht große Politik. Propaganda für eine »neue Normalität«, von der man gern genauer wüsste, was das sein soll. Die Gewöhnung an Krieg als Normal- statt als Ausnahmezustand? Die mentale Wehrertüchtigung von Volk und Fan? Jedenfalls ja doch der Versuch, mit Habermas zu sprechen, eine neue kulturelle Selbstverständlichkeit zu etablieren, wo eine alte zu zerbröckeln scheint.
Denn wenn die schon da wäre, wäre das ja nicht nötig. Und so stemmt sich der Unterhaltungs-Manager Watzke in das ganz große politisch-ideologische Umschwungrad. Wenn in der neuen Saison Dortmund spielt, wird an der Bande das Rheinmetall-Logo erscheinen, wenn Edin Terzić sich der Presse stellt, wird es im Hintergrund zu sehen sein. Und schon auf dem Weg ins Stadion soll den Fans, die im Übrigen vorher von der neuen Diskurs-Ethik ihres Vereinsvorstandes nichts wussten, von Displays an der Stadion-Fassade damit heimgeleuchtet werden.
Das gefällt nicht nur Dr. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, der dem Handelsblatt in Treue fest zu Rheinmetall versichert, Sponsoring sei ein Weg, »um einer breiten Schicht der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, dass Waffen für die Erhaltung unserer Sicherheit und unseres Friedens nichts ›Unappetitliches‹ sind, sondern eben ganz normal zu unserer gesellschaftlichen Realität gehören, wenn wir in Frieden und Freiheit leben wollen.« Es gefällt auch – Frau Strack-Zimmermann? Herrn Hofreiter? Herrn Kiesewetter? – nein: unserem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: »Wir wissen und müssen es leider zugeben, dass wir in einer anderen, bedrohlicheren Welt sind. (…) Insofern spiegelt dieses Sponsorship sicherlich auch ein Stück weit die Realität der Zeitenwende wider.« Grüner Neusprech, ein Stück weit zeitengewendet sicherlich.
Appetit auf die neue Normalität hat auf jeden Fall Rheinmetall. Und der Bauch wird immer fetter. Seit Ende 2021, wenige Monaten vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine also, hat sich der Aktienkurs und damit der Wert des größten deutschen Rüstungskonzerns versechsfacht. Er produziert fast alles, wonach der ukrainische Präsident Selenskyj verzweifelt ruft und was also der Bundeswehr demnächst fehlen wird: von Glattrohr-Panzern wie Leopard 2, Fuchs, Panther nebst Munition; Brückenleger- und Minenräumpanzern, Panzerabwehr, Flugabwehr, Haubitzen, Maschinenkanonen bis zu Flugzeugkanonen, bemannten und unbemannten Bodenfahrzeugen und, und, und – über 600 Angebote von Ausrüstung und Ausbildung zu Land, zu Wasser und in der Luft sind im Katalog auf der Website nachzulesen, die jetzt auf die Zeitenwende-Milliarden warten.
Gehört das alles zur Normalität unseres Alltages? Wohl nicht, solange man nicht neben einem Truppenübungsplatz wohnt, zum Beispiel in Unterlüß in der Lüneburger Heide, wo bis heute eine der Stammfabriken von Rheinmetall steht. Und ob eine breite Schicht der Bevölkerung jetzt mehr Appetit auf Waffen für Frieden und Freiheit bekommt, ist einstweilen noch höchst ungewiss.
Darf sich ein Fußballklub politisch positionieren? Natürlich darf er das, aber die Positionierung ist nicht egal. Der neue Ligakonkurrent FC St. Pauli zum Beispiel hat seit Jahrzehnten durchaus eine Art politische Agenda: antifaschistisch, gegen Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Vorurteile aller Art, für Integration und Toleranz. Die Zivilgesellschaft kann immer noch mehr, lautet die Idee der Projekte, die der Verein sponsort, ein über Jahrzehnte gewachsener Hintergrund. So sieht lebendiges Engagement für Frieden und Freiheit aus. Ähnlich ist es beim SC Freiburg oder bei Union Berlin. Eine militaristische Diskurswende, auch wenn sie ein Stück weit der aktuellen Realität des politisch-medialen Zeitgeistes sich anbiedert, ist etwas ganz anderes: Verrat an den Werten, für die man einzustehen vorgibt.
Haben sich da also tatsächlich zwei Partner gefunden, die in Herkunft und Haltung gut zueinander passen? Wächst da in Nordrhein-Westfalen zusammen, was zusammengehört? Wer weiß schon, was die Zukunft bringt, reden wir also über die Vergangenheit.
Zwei Weltkriege hat Rheinmetall mitgemacht und mitverloren und es danach immer aufs Neue zu stupender Größe gebracht. Die Untaten, die das mit ermöglichten, sind noch nicht wirklich historisch durchdrungen. Ulrich Sander wies in einer Rede aus Anlass einer Rheinmetall-Hauptversammlung daraufhin, dass die Vorläufer von Rheinmetall-Borsig (wie die vor dem Zweiten Weltkrieg von den Nazis zusammengefügte und dann bis 1941 den Reichswerken Hermann-Göring eingegliederte Waffenschmiede von 1936 bis 1955 hieß) noch während der revolutionären Arbeiteraufstände im November 1918 Millionenbeträge für eine »Antibolschewistische Liga« bereitgestellt haben, die damit Mörderbanden der Freikorps finanzierte.
Seit 1899 produziert Rheinmetall Waffen in Unterlüß. Die Geschichte der Lüneburger Heide ist hier deshalb eine Geschichte der Zwangsarbeit. Schon im Ersten Weltkrieg mussten in den Betrieben, die unter anderem auch Giftgas produzierten, Kriegsgefangene schuften. Im Zweiten Weltkrieg wurde ab 1941 ein Lagersystem aufgebaut, in deren zuletzt 21 Baracken viele Tausende von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern unter notorisch menschenverachtenden Bedingungen gehalten wurden; 1944 waren es 56 Prozent der Belegschaft, Frauen, Männer, auch Kinder. »Die Hälfte der am Standort Unterlüß eingesetzten zivilen Arbeitskräfte kam aus Polen, ein Viertel aus der Sowjetunion, der Rest aus Jugoslawien, Belgien, Frankreich und Italien. Weiter gab es sowjetische, italienische und französische Kriegsgefangene und jüdische Frauen, KZ-Häftlinge, die meisten aus Polen und Ungarn kommend.« Wer das genauer lesen möchte und die erschütternden Zeitzeugen-Berichte darüber, übrigens auch von Zwangsarbeitern der beiden anderen Rheinmetall-Zentren Düsseldorf und Sömmerda (Thüringen), sei auf die zum Download freigegebene 70seitige Dokumentation »Zwangsarbeit im Faschismus bei der Firma Rheinmetall-Borsig und der Rüstungsstandort Unterlüß« des Bündnisses »Rheinmetall entwaffnen« verwiesen, aus der diese Angaben stammen.
Oh ja, es gibt schreckliche Gründe für Rheinmetall, seine Geschichte vergessen zu machen und seine »Marke« an der Dortmunder Bande international aufzupolieren. Der BVB selbst hingegen hilft, anders als sein neuer »Champion Partner«, seit mindestens 20 Jahren dabei, Schritt für Schritt die Geschichte von »Borussia Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945« aufzuklären, so auch der Titel eines gerade erst im Metropol Verlag erschienen Buches. Der Verein organisiert unter anderem Fahrten für Fans nach Oświęcim und unterstützte den weiteren Ausbau der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Gehört das also zusammen? Nach Ambitionen, Haltung und Herkunft? Nein! Ganz und gar nicht. Es mag ja nur Fußball sein, aber zum Teil der neuen deutschen Kriegsertüchtigungs-Kampagne gemacht zu werden, das hat der revierstolze Arbeiterverein nicht verdient. Vielleicht wäre etwas weniger nationale Diskurs-Geilheit an der Spitze nicht verkehrt. Nicht, dass dem BVB am Ende noch so ein irregeleiteter Leo in die elementaren Identitäts-Grundpfeiler der neuen Normalität rauscht. Es gibt »Diskurse«, die am Ende mit dem falschen Lied aufhören: You‘ll never die alone.
Absteigen kann man auch moralisch. Glück auf, Herr Watzke!