»Und heute ist er vergessen«, bedauerte Christa Wolf 2010 (in »Stadt der Engel«) im Gedenken an Louis Fürnberg (1909-1957), der sie einst zum Schreiben ermutigt und stets darin gefördert hatte. Er stand in der DDR in hohem Ansehen des Staates, saß 1957 in der Berliner Staatsoper mit Walter Ulbricht in der Regierungsloge, wie er seinem Tagebuch anvertraute. In den Schulbüchern waren seine Gedichte zu finden, und sie fehlten in keiner Lyrikanthologie. Heute ist er beinahe vergessen, und wenn sich doch jemand erinnert, dann sind es die Alten, denen noch die fatale, von der SED okkupierte Hymne »Die Partei, die Partei, die hat immer recht« in der markigen Instrumentierung von Paul Dessau in den Ohren klingt oder die sich im Marschschritt nach dem Lied »Du hast ja ein Ziel vor den Augen« an den obligatorischen Demonstrationen beteiligen mussten. Wer achtsam durchs Leben geht, dem wird aber der noch heute außerordentlich erfolgreiche Pop-Titel der Puhdys von 1977 nicht entgangen sein, »Alt wie ein Baum möchte ich werden/Genau wie der Dichter es beschreibt«. Nur weiß kaum jemand, dass dieser Dichter Louis Fürnberg war, dessen Verse hier als Anregung dienten.
Um wieder an Louis Fürnberg zu erinnern und sein Bild in der Öffentlichkeit geradezurücken, haben die Jenaer Literaturwissenschaftler Ulrich Kaufmann (Jg. 1951) und Harald Heydrich (Jg. 1949) gemeinsam im quartus-Verlag Bucha bei Jena im Abstand von einem reichlichen Jahr zwei Bücher mit Texten zu Leben und Werk des Dichters und Politikers herausgeben. Das erste »Hier ist ein Dichter, hört nur!« beschäftigt sich mit seinem gesamten Leben und Werk, während das zweite, »Das schöne Weimar? Louis Fürnbergs letzte Jahre«, in Ausstattung und Umfang bescheidener, als eine wertvolle Ergänzung betrachtet werden kann. Es beleuchtet nicht die lediglich drei Jahre im Leben des in Böhmen aufgewachsenen tschechischen Dichters, in denen dieser Staatsbürger der DDR war, sondern lässt auch die beiden Kinder Michael und Alena Fürnberg sowie den in Weimar geborenen Schriftsteller Till Sailer als Zeitzeugen zu Wort kommen. Alle drei waren im Februar bei der Buchpremiere in Weimar dabei, zu welcher die Literarische Gesellschaft eingeladen hatte.
Für Louis Fürnbergs Ehefrau Lotte Fürnberg (1911-2004) ist ihr Mann, der im Alter von nur 48 Jahren einem Herzinfarkt erlag, an »gebrochenem Herzen« verstorben. Das kann man nachvollziehen, wenn man den Lebenslauf dieses Kaufmannssohns anschaut. Seine jüdische Abstammung war schon »Makel« genug. Dazu kam als der zweite Makel, dass er sich dem Kommunismus als Hoffnung auf eine bessere Welt verschrieben hatte, und als dritter Makel, dass er als deutschstämmiger Tscheche sich ausschließlich in deutscher Sprache äußerte. Dafür wurde er sowohl im Emigrationsland Palästina als auch in seiner geliebten Heimat angefeindet. Als Juden wurde Fürnberg bei der Verhaftung durch die Deutschen 1939 das Gehör zerschlagen, in Palästina, wo die Familie Fürnberg von 1941 bis 1946 in Jerusalem lebte, sah er sich von militanten Zionisten bedroht, welche Hebräisch als Landessprache durchsetzen wollten. Wie die Fürnberg-Forscher Henri und Rosemarie Poschmann mitteilen, schrieb Arnold Zweig 1942 dazu: »Wir gingen nicht hierher, um einem Faschismus zu entkommen und dem anderen zu verfallen.« Zurück in Prag, schreiben die Biografen, sei Fürnberg, nachdem er den deutschen Faschismus »knapp überlebt« hat, an »den Enttäuschungen und Demütigungen« zerbrochen, »die ihm in dem nicht wirklich sozialistischen Herrschaftssystem widerfuhren, das seine Aufopferung für eine bessere, menschenfreundliche Welt missbrauchte«. Indem er 1954 in die DDR übersiedelte, entkam er erneut »knapp«, diesmal der lebensbedrohlichen Gefahr, in die stalinistischen und antisemitischen Slánský-Prozesse hineingezogen zu werden. In der DDR fand Fürnberg zwar politisch eine Heimat und erhielt 1956 den Nationalpreis II. Klasse, war aber als Stellvertretender Direktor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur einem autokratischen Vorgesetzten ausgeliefert, der ihn als Konkurrenten betrachtete und so demütigte, dass Fürnberg um seine Kündigung bat. Das sei dann schließlich für ein Herz, das sein Leben lang mit physischen und politischen Problemen zu kämpfen hatte, zu viel gewesen.
Zu Louis Fürnbergs Biografie kommen in beiden Bänden die verschiedensten Autoren zu Wort. Dabei wird nicht nur Leben und Schaffen eines einzelnen Dichters beleuchtet, sondern auch eine bewegte Zeit an einem exemplarischen Einzelbeispiel. So eindrücklich sind die Probleme deutschstämmiger Juden im Gelobten Land Palästina und deutschsprechender jüdischer Kommunisten in der sich sozialistisch gebenden ČSR wohl noch nie geworden wie am Beispiel dieses Dichters.
Diese beiden Bände bringen auch Klarheit in Missverständnisse, was Fürnbergs politische Rolle in der DDR betraf. So wird der Geschichte des bereits 1949 noch in der ČSR auf die dortige KP geschriebenen Liedes »Die Partei, die Partei, die hat immer recht« nachgegangen, das 1950 auf dem III. Parteitag der SED, auf dem eine »Partei neuen Typs« etabliert werden sollte, von Ernst Busch vorgetragen wurde. Der Historiker Jan Gerber ordnet es innerparteilichen Säuberungen in der KPČ zu, von denen auch der deutschsprachige Fürnberg betroffen war. Er zitiert Lotte Fürnberg, die sagte, er habe es geschrieben, »um vor sich selbst diese Kränkung zu rechtfertigen«. Die Partei war für den Dichter immer die Masse der Kommunisten, die es schließlich richten werden, nicht der Apparat aus Funktionären und Ideologen. Dazu hat sich Fürnberg immer bekannt.
Außer Biografischem, das Lebens- und Schaffensprobleme aufdeckt, und literaturwissenschaftlichen Interpretationen wird auch die Mittlerbemühung Fürnbergs zwischen den deutschen und slawischen Literaturen deutlich sowie die Förderung junger Dichter der DDR durch ihn, zu denen neben Sarah und Rainer Kirsch auch Franz Fühmann gehörte. Besonders wertvoll sind jedoch die Zeitzeugenäußerungen, die ein ganz persönliches Licht auf einen von allen als liebenswert, feinfühlend, empathisch und ehrlich empfundenen Menschen werfen.
Ulrich Kaufmann. Harald Heydrich (Hg.): »Hier ist ein Dichter, hört nur!« Louis Fürnberg. Texte zu Leben und Werk, quartus-Verlag 2021.
Ulrich Kaufmann. Harald Heydrich (Hg.): Das schöne Weimar? Louis Fürnbergs letzte Jahre, quartus-Verlag 2023.