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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Fürnberg heute vergessen?

»Und heu­te ist er ver­ges­sen«, bedau­er­te Chri­sta Wolf 2010 (in »Stadt der Engel«) im Geden­ken an Lou­is Fürn­berg (1909-1957), der sie einst zum Schrei­ben ermu­tigt und stets dar­in geför­dert hat­te. Er stand in der DDR in hohem Anse­hen des Staa­tes, saß 1957 in der Ber­li­ner Staats­oper mit Wal­ter Ulb­richt in der Regie­rungs­lo­ge, wie er sei­nem Tage­buch anver­trau­te. In den Schul­bü­chern waren sei­ne Gedich­te zu fin­den, und sie fehl­ten in kei­ner Lyri­kan­tho­lo­gie. Heu­te ist er bei­na­he ver­ges­sen, und wenn sich doch jemand erin­nert, dann sind es die Alten, denen noch die fata­le, von der SED okku­pier­te Hym­ne »Die Par­tei, die Par­tei, die hat immer recht« in der mar­ki­gen Instru­men­tie­rung von Paul Des­sau in den Ohren klingt oder die sich im Marsch­schritt nach dem Lied »Du hast ja ein Ziel vor den Augen« an den obli­ga­to­ri­schen Demon­stra­tio­nen betei­li­gen muss­ten. Wer acht­sam durchs Leben geht, dem wird aber der noch heu­te außer­or­dent­lich erfolg­rei­che Pop-Titel der Puh­dys von 1977 nicht ent­gan­gen sein, »Alt wie ein Baum möch­te ich werden/​Genau wie der Dich­ter es beschreibt«. Nur weiß kaum jemand, dass die­ser Dich­ter Lou­is Fürn­berg war, des­sen Ver­se hier als Anre­gung dienten.

Um wie­der an Lou­is Fürn­berg zu erin­nern und sein Bild in der Öffent­lich­keit gera­de­zu­rücken, haben die Jena­er Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Ulrich Kauf­mann (Jg. 1951) und Harald Heyd­rich (Jg. 1949) gemein­sam im quar­tus-Ver­lag Bucha bei Jena im Abstand von einem reich­li­chen Jahr zwei Bücher mit Tex­ten zu Leben und Werk des Dich­ters und Poli­ti­kers her­aus­ge­ben. Das erste »Hier ist ein Dich­ter, hört nur!« beschäf­tigt sich mit sei­nem gesam­ten Leben und Werk, wäh­rend das zwei­te, »Das schö­ne Wei­mar? Lou­is Fürn­bergs letz­te Jah­re«, in Aus­stat­tung und Umfang beschei­de­ner, als eine wert­vol­le Ergän­zung betrach­tet wer­den kann. Es beleuch­tet nicht die ledig­lich drei Jah­re im Leben des in Böh­men auf­ge­wach­se­nen tsche­chi­schen Dich­ters, in denen die­ser Staats­bür­ger der DDR war, son­dern lässt auch die bei­den Kin­der Micha­el und Ale­na Fürn­berg sowie den in Wei­mar gebo­re­nen Schrift­stel­ler Till Sai­ler als Zeit­zeu­gen zu Wort kom­men. Alle drei waren im Febru­ar bei der Buch­pre­mie­re in Wei­mar dabei, zu wel­cher die Lite­ra­ri­sche Gesell­schaft ein­ge­la­den hatte.

Für Lou­is Fürn­bergs Ehe­frau Lot­te Fürn­berg (1911-2004) ist ihr Mann, der im Alter von nur 48 Jah­ren einem Herz­in­farkt erlag, an »gebro­che­nem Her­zen« ver­stor­ben. Das kann man nach­voll­zie­hen, wenn man den Lebens­lauf die­ses Kauf­manns­sohns anschaut. Sei­ne jüdi­sche Abstam­mung war schon »Makel« genug. Dazu kam als der zwei­te Makel, dass er sich dem Kom­mu­nis­mus als Hoff­nung auf eine bes­se­re Welt ver­schrie­ben hat­te, und als drit­ter Makel, dass er als deutsch­stäm­mi­ger Tsche­che sich aus­schließ­lich in deut­scher Spra­che äußer­te. Dafür wur­de er sowohl im Emi­gra­ti­ons­land Palä­sti­na als auch in sei­ner gelieb­ten Hei­mat ange­fein­det. Als Juden wur­de Fürn­berg bei der Ver­haf­tung durch die Deut­schen 1939 das Gehör zer­schla­gen, in Palä­sti­na, wo die Fami­lie Fürn­berg von 1941 bis 1946 in Jeru­sa­lem leb­te, sah er sich von mili­tan­ten Zio­ni­sten bedroht, wel­che Hebrä­isch als Lan­des­spra­che durch­set­zen woll­ten. Wie die Fürn­berg-For­scher Hen­ri und Rose­ma­rie Posch­mann mit­tei­len, schrieb Arnold Zweig 1942 dazu: »Wir gin­gen nicht hier­her, um einem Faschis­mus zu ent­kom­men und dem ande­ren zu ver­fal­len.« Zurück in Prag, schrei­ben die Bio­gra­fen, sei Fürn­berg, nach­dem er den deut­schen Faschis­mus »knapp über­lebt« hat, an »den Ent­täu­schun­gen und Demü­ti­gun­gen« zer­bro­chen, »die ihm in dem nicht wirk­lich sozia­li­sti­schen Herr­schafts­sy­stem wider­fuh­ren, das sei­ne Auf­op­fe­rung für eine bes­se­re, men­schen­freund­li­che Welt miss­brauch­te«. Indem er 1954 in die DDR über­sie­del­te, ent­kam er erneut »knapp«, dies­mal der lebens­be­droh­li­chen Gefahr, in die sta­li­ni­sti­schen und anti­se­mi­ti­schen Sláns­ký-Pro­zes­se hin­ein­ge­zo­gen zu wer­den. In der DDR fand Fürn­berg zwar poli­tisch eine Hei­mat und erhielt 1956 den Natio­nal­preis II. Klas­se, war aber als Stell­ver­tre­ten­der Direk­tor der Natio­na­len For­schungs- und Gedenk­stät­ten der klas­si­schen deut­schen Lite­ra­tur einem auto­kra­ti­schen Vor­ge­setz­ten aus­ge­lie­fert, der ihn als Kon­kur­ren­ten betrach­te­te und so demü­tig­te, dass Fürn­berg um sei­ne Kün­di­gung bat. Das sei dann schließ­lich für ein Herz, das sein Leben lang mit phy­si­schen und poli­ti­schen Pro­ble­men zu kämp­fen hat­te, zu viel gewesen.

Zu Lou­is Fürn­bergs Bio­gra­fie kom­men in bei­den Bän­den die ver­schie­den­sten Autoren zu Wort. Dabei wird nicht nur Leben und Schaf­fen eines ein­zel­nen Dich­ters beleuch­tet, son­dern auch eine beweg­te Zeit an einem exem­pla­ri­schen Ein­zel­bei­spiel. So ein­drück­lich sind die Pro­ble­me deutsch­stäm­mi­ger Juden im Gelob­ten Land Palä­sti­na und deutsch­spre­chen­der jüdi­scher Kom­mu­ni­sten in der sich sozia­li­stisch geben­den ČSR wohl noch nie gewor­den wie am Bei­spiel die­ses Dichters.

Die­se bei­den Bän­de brin­gen auch Klar­heit in Miss­ver­ständ­nis­se, was Fürn­bergs poli­ti­sche Rol­le in der DDR betraf. So wird der Geschich­te des bereits 1949 noch in der ČSR auf die dor­ti­ge KP geschrie­be­nen Lie­des »Die Par­tei, die Par­tei, die hat immer recht« nach­ge­gan­gen, das 1950 auf dem III. Par­tei­tag der SED, auf dem eine »Par­tei neu­en Typs« eta­bliert wer­den soll­te, von Ernst Busch vor­ge­tra­gen wur­de. Der Histo­ri­ker Jan Ger­ber ord­net es inner­par­tei­li­chen Säu­be­run­gen in der KPČ zu, von denen auch der deutsch­spra­chi­ge Fürn­berg betrof­fen war. Er zitiert Lot­te Fürn­berg, die sag­te, er habe es geschrie­ben, »um vor sich selbst die­se Krän­kung zu recht­fer­ti­gen«. Die Par­tei war für den Dich­ter immer die Mas­se der Kom­mu­ni­sten, die es schließ­lich rich­ten wer­den, nicht der Appa­rat aus Funk­tio­nä­ren und Ideo­lo­gen. Dazu hat sich Fürn­berg immer bekannt.

Außer Bio­gra­fi­schem, das Lebens- und Schaf­fens­pro­ble­me auf­deckt, und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Inter­pre­ta­tio­nen wird auch die Mitt­ler­be­mü­hung Fürn­bergs zwi­schen den deut­schen und sla­wi­schen Lite­ra­tu­ren deut­lich sowie die För­de­rung jun­ger Dich­ter der DDR durch ihn, zu denen neben Sarah und Rai­ner Kirsch auch Franz Füh­mann gehör­te. Beson­ders wert­voll sind jedoch die Zeit­zeu­gen­äu­ße­run­gen, die ein ganz per­sön­li­ches Licht auf einen von allen als lie­bens­wert, fein­füh­lend, empa­thisch und ehr­lich emp­fun­de­nen Men­schen werfen.

Ulrich Kauf­mann. Harald Heyd­rich (Hg.): »Hier ist ein Dich­ter, hört nur!« Lou­is Fürn­berg. Tex­te zu Leben und Werk, quar­tus-Ver­lag 2021. 

Ulrich Kauf­mann. Harald Heyd­rich (Hg.): Das schö­ne Wei­mar? Lou­is Fürn­bergs letz­te Jah­re, quar­tus-Ver­lag 2023.