Im zeitigen Frühjahr lockt die Saalekreisgemeinde Ostrau, zehn Kilometer nördlich von Halle, viele Besucher aus nah und fern in den Schlosspark. Dann blühen hier mit den Winterlingen die ersten Frühlingsboten. Bei den ersten Sonnenstrahlen halten es die winzigen Blumen nicht mehr in der Erde aus und überziehen alljährlich den Waldboden mit ihren strahlend gelben Blüten wie einen Teppich, der sich zwischen den noch kahlen Bäumen ausbreitet. Dazwischen Schneeglöckchen, Märzenbecher und ein paar Krokusse. Mitunter lugen die leuchtenden Blüten noch aus einer dünnen Schneedecke heraus. Ein besonderes Fotomotiv, das die Schaulustigen mit ihren Smartphones festhalten.
Was vor Jahren noch ein Geheimtipp war, ist längst zur Völkerwanderung in den Frühling geworden. Besonders an den Wochenenden werden die Parkplätze schon mal knapp. Auf dem etwa 2 km langen Rundweg kann der aufmerksame Spaziergänger neben den ersten Frühlingsboten außerdem noch so manche botanische Besonderheit entdecken und verschiedene Vogelarten beobachten, denn Wassergräben und Teiche durchziehen den Park.
Die Entstehung der Parkanlage ist eng mit der abwechslungsreichen Geschichte des Schlosses Ostrau verknüpft. Vermutlich gab es auf dem Areal bereits zur Zeit der slawischen Besiedlung eine Inselburg mit Wassergraben. Später hatte es eine mittelalterliche Befestigung gegeben, und Ostrau entwickelte sich zu einem Adelssitz. Über knapp vier Jahrhunderte hinweg bestimmte die Familie von Veltheim die Geschicke des Schlosses und schuf ein beeindruckendes Bauensemble. Das heutige Barockschloss ließ Otto Ludwig von Veltheim (1672-1714) in den Jahren 1713-18 durch den Baumeister Johann Martin Anhalt errichten.
Schillerndste Figur der Adelsfamilie war der letzte Schlossbesitzer Hans Hasso von Veltheim (1885-1956). Der Autor, Weltreisende, Anthroposoph und Indologe, der sich mit mythologischen und religionsphilosophischen Fragestellungen beschäftigte, machte aus dem Schloss eine internationale Begegnungsstätte, einen kosmopolitischen Ort für Freunde und Gleichgesinnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss als Lehrerbildungsstätte, Internat und Schule genutzt. Im Jahr 2000 übernahm der zuvor gegründete Ostrauer Kulturverein e. V. den Südflügel und konnte in den zurückliegenden Jahren schon einiges bewegen. So wird die prächtig sanierte Bibliothek inzwischen zu zahlreichen Veranstaltungen (Hochzeiten, Lesungen oder Konzerte) genutzt. Auch das alljährliche Schloss- und Parkfest im August ist immer wieder ein Höhepunkt.
Um 1700 wurde der barocke Schlossgarten als so genannter »Lustwald« angelegt und rund sechzig Jahre später zu einem Landschaftspark umgestaltet. Die 14 Hektar große Anlage ist seit 2010 Teil der »Gartenträume«. Eine Fußgängerbrücke führt über den Schlossgraben direkt in den Hauptteil des Parks. Durch die verwunschene Anlage ziehen sich vorbei an Wassergräben und Teichen einige philosophisch inspirierte Rundwege, die bereits Hans Hasso von Veltheim anlegen ließ, darunter den »Dr.-Rudolf-Steiner-Weg«, den »Goethe-Weg« und den »Pfad der Ferne«.
Im Park selbst findet man eine Fülle an fremdländischen Gehölzen, seltene, imposante Baumriesen wie Ginkgo, Tulpenbäume, Mammutbäume oder Sumpfzypressen. Der Baum-Methusalem ist jedoch eine Buche, die wegen ihres Aussehens »Elefantenfuß« genannt wird. Ein paar Schritte abseits vom Weg befindet sich ein kleiner Friedhof mit den letzten Grabstätten der Familie von Veltheim-Ostrau. In die Gestaltung des Parks wurde auch der einstige große Mühlteich einbezogen, indem man ihn durch mehrere Inseln unterteilte. Nach dem Hauptteil erstreckt sich der Park bis zum ehemaligen Forsthaus. Derzeit lassen sich 66 Gehölzarten und weit über 3.000 Bäume im Schlosspark Ostrau nachweisen. Leider haben die Herbststürme der letzten Jahre großflächige Schäden angerichtet, sodass immer wieder notwendige Verkehrssicherungsmaßnahmen (mit teilweiser Sperrung des Parks) durchgeführt werden müssen.
Einmal in Ostrau, sollte man auch der evangelischen Schlosskirche einen Besuch abstatten. Auf dem umliegenden Friedhof befindet sich unterhalb der so genannten »Professorenlinde« die Grabstätte des Porträt-, Historien- und Blumenmalers Carl Adolf Senff (1785-1863), einem der bedeutendsten Künstler der Biedermeierzeit, der unter dem Namen »Blumen-Raffael« in die Kunstgeschichte eingegangen ist.