Angesichts der permanent schlechten Nachrichten bekommt in tristen Tagen eine weniger schlechte Meldung besonderes Gewicht und ist darum der Mitteilung wert. Die Botschaft lautet: Das Porträt Carl Steinhoffs hat einen neuen Eigentümer und endlich eine Heimat gefunden – das 80 mal 150 Zentimeter große Gemälde hängt seit Ende November an einer Wand im Lothar-Bisky-Haus zu Potsdam.
Wer war Carl Steinhoff, wer sein Maler? Und weshalb muss man diese Schenkung überhaupt erwähnen?
Steinhoff, seit 1923 Sozialdemokrat, war nach dem Krieg der erste Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Er war im Juni 1947 auch der Sprecher der ostdeutschen Regierungschefs auf der Ministerpräsidentenkonferenz in München. Die platzte, weil die westdeutschen Vertreter – wozu sie von ihren westlichen Besatzungsmächten veranlasst worden waren – nur über Versorgungsengpässe sprechen durften. Ihre ostdeutschen Kollegen hingegen verlangten, über die »Schaffung eines deutschen Einheitsstaates« zu reden. Ihr Wortführer, eben jener Carl Steinhoff, kämpfte also für die deutsche Einheit, die der Westen damals augenscheinlich schon aufgegeben hatte. Auch das war wohl ein Grund, weshalb der erste sozialdemokratische Ministerpräsident Brandenburgs nach 1990 – der Ostdeutsche Manfred Stolpe – seinen engagierten Vorgänger explizit würdigte.
Steinhoff lebte bis zu seinem Tode 1981 in Wilhelmshorst bei Potsdam. Sein Nachbar dort war der Maler und Grafiker Kurt-Hermann Kühn, bekannt für Fresken und Wandmalereien, Porträtzeichnungen und -gemälde. Überdies ein überzeugter Sozialist wie Steinhoff und länger als zwei Jahrzehnte ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbandes Bildender Künstler im Bezirk Potsdam – hinlängliche Gründe, warum seine Werke Opfer der demokratischen Bilderstürmerei wurden. Sein Wandgemälde »Hommage Kurt Tucholsky« in Rheinsberg beispielsweise wurde 2005 vernichtet, das Wandfries »Erben des Spartakus« in Potsdam »fachgerecht in drei Teile zerlegt« und in der neuen Landesbibliothek verteilt. Kühns Wandbild im Klinikum Neuruppin »Hommage an die Unsterblichkeit« wurde vor der Vernichtung durch einen Pfarrer bewahrt, der couragiert von der Kirchenkanzel am 8. November 1994 für dieses Werk stritt. Vor herablassenden Äußerungen unwissender, arroganter Ärzte aus dem Westen konnte er Kühns Werk hingegen nicht bewahren. Als vermeintliche Sieger kommentierten sie – wie die Gesundheitsministerin a. D. Anita Tack bekundete –, dass nun endlich auch ostdeutsche Künstler nach der Wende Wände bemalen durften …
Der 1989 verstorbene Künstler Kühn und seine Werke hatten also, um es neutral zu formulieren, in der neuen Zeit keinen sonderlich hohen Marktwert.
Andreas Kühn betreut, sichtet und erforscht seit Jahren intensiv den Nachlass seines Vaters und den seiner ebenfalls künstlerisch tätigen Mutter Marianne Kühn-Berger. Und darum bot er der sozialdemokratischen Staatskanzlei das von Kurt-Hermann Kühn geschaffene Porträt Carl Steinhoffs an. Über die Arbeit an diesem Bild hatte dieser im Mai 1989, wenige Wochen vor seinem Tode, der Märkischen Volksstimme offenbart: »Stand ich vor der Staffelei, herrschte Stille. Zwischen unseren Augen spannte sich imaginär ein Kontakt, der für die weitere Arbeit bestimmend wurde. Setzte ich mich, vom Zeichnen nervlich ermüdet, ihm gegenüber, führten wir unsere Unterhaltung fort.« Und ganz Künstler und Freund fuhr er fort: »Schön waren die Augenblicke, wenn es dämmerte und uns die blaue Stunde einhüllte. Wenn seine erzählende Stimme den Raum erfüllte. Wenn die untergehende Sonne das Licht im Atelier absorbierte. Wenn ein Helldunkel die Gestalt Steinhoffs in Malerei verwandelte. Während einer solchen Stimmung glaubte ich, eine Gestalt El Grecos zu sehen. Saß da ein Kardinal vor mir?«
Nun, die SPD-geführte Staatskanzlei nahm das Angebot nicht an. Steinhoff war 1949 nämlich von der Landes- in die DDR-Regierung gewechselt und erster Innenminister der ostdeutschen Republik geworden. Und hatte obendrein vor der Volkskammer am 8. Februar 1950 auch noch das Gesetz zur Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit begründet. Dieses Kainsmal wusch auch nicht der Umstand ab, dass er 1952 auf Moskaus Geheiß sein Ministeramt aufgeben musste: Im Kalten Krieg wünschte Stalin einen Militär auf diesem Stuhl, keinen Zivilisten. So bekam denn Carl Steinhoff, Mitglied des ZK und kurzzeitiger Kandidat des Politbüros, eine Professur für Verwaltungsrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Obgleich also nach heutiger Lesart »Opfer des Stalinismus«, rettete ihn das nicht. Denn wie heißt es schon bei Lessing im Vierten Aufzug: »Tut nichts! Der Jude wird verbrannt.«
Die Staatskanzlei wollte Kühns Steinhoff-Porträt also nicht. Ebenfalls kein Interesse zeigten die Fraktion der Linken und die der Partei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung. Man schenke die Aufmerksamkeit lieber den lebenden als den toten Künstlern, hieß es zur Begründung, was Kühn jr. zu der sarkastischen Bemerkung veranlasste, dass dies wohl zuträfe. Marx ist ja auch tot.
Allerdings war da der Brandenburger Landesverband der Linken, also sozusagen die Parteibasis, ganz anderer Auffassung. Sie nahm das Geschenk dankbar an – und richtete im Parteihaus in der Potsdamer Alleestraße gleich eine Ausstellung mit sechzig Arbeiten Kühns aus (zu sehen bis zum 28. Februar 2023). Nun hat Carl Steinhoffs Porträt eine neue Heimat, nachdem er jahrelang bei den Neuruppiner Stadtwerken in einem Trafohäuschen unter- und abgestellt war.