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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Friedenstüchtig werden

Der Bund stellt Streit­kräf­te zur Ver­tei­di­gung auf, heißt es im Grund­ge­setz unmiss­ver­ständ­lich. Aber bekannt­lich wird unse­re Sicher­heit auch am Hin­du­kusch ver­tei­digt – wenn’s sein muss, zwan­zig Jah­re lang. Die Bun­des­re­gie­rung kann unge­mein erfin­de­risch sein bei der fan­ta­sie­vol­len Aus­le­gung des Grund­ge­set­zes. Und wenn es oppor­tun erscheint, erwei­tert man eben mal die Ver­tei­di­gungs- um die Bünd­nis­fä­hig­keit im Art 87a, obwohl die Nato welt­weit Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen durch­führt und kein Ver­tei­di­gungs­bünd­nis ist.

Bei der welt­wei­ten »Ver­tei­di­gung« kann es schon mal pas­sie­ren, dass man mit Schimpf und Schan­de ver­jagt wird, wie in Afgha­ni­stan gesche­hen. Dann kommt man nicht umhin, nach den Ursa­chen des Schei­terns zu schau­en. Nach zwan­zig Jah­ren Kriegs­ein­satz wur­de eine Enquete-Kom­mis­si­on ein­ge­setzt, die kürz­lich einen 356 Sei­ten star­ken Bericht vor­ge­legt hat: »Leh­ren aus Afgha­ni­stan für das künf­ti­ge ver­netz­te Enga­ge­ment Deutsch­lands«. Man höre die Bot­schaft: Die Kom­mis­si­on wird auf der Grund­la­ge der Ergeb­nis­se Vor­schlä­ge erar­bei­ten für wei­te­re welt­wei­te Kriegs­ein­sät­ze – aber erfolgreiche.

Fazit des Berichts: Der »größ­te, teu­er­ste, opfer­reich­ste Kri­sen­ein­satz der – vor allem west­li­chen – Staa­ten­ge­mein­schaft« ende­te »mit einem stra­te­gi­schen Schei­tern«. Das beschö­ni­gen­de Wort »Kri­sen­ein­satz«, statt »Krieg«, lässt an der Bemü­hung um ehr­li­che Auf­ar­bei­tung Zwei­fel auf­kom­men. Immer­hin hat die Kom­mis­si­on die Fin­ger in eine Men­ge Wun­den gelegt. Sie moniert etwa, dass Ziel und Sinn des Ein­sat­zes im Dun­kel blie­ben, nicht nur für die deut­sche und afgha­ni­sche Bevöl­ke­rung, son­dern auch für die Sol­da­ten. Basis sei schlicht die Soli­da­ri­tät und sicher­heits­po­li­ti­sche Ver­bun­den­heit mit den USA gewe­sen. Deutsch­land habe sich als ver­läss­li­cher Ver­bün­de­ter zei­gen und demon­strie­ren wol­len, dass man »Füh­rungs­ver­ant­wor­tung« über­neh­men könne.

Eine Bestands­auf­nah­me über Rea­li­sier­bar­keit und Res­sour­cen­ein­satz habe eben­so gefehlt wie Kennt­nis­se über und die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kul­tur, der Geschich­te und den Tra­di­tio­nen des Lan­des. Ein­fluss und Rück­halt der Tali­ban bei der Bevöl­ke­rung habe man unter­schützt. Eine poli­ti­sche Kon­flikt­lö­sung sei nicht ver­sucht wor­den; wie auch, wenn sie gar nicht inten­diert war. Wir kön­nen sagen: Man hat­te kei­ne Ahnung von Land und Leu­ten, die Zie­le ver­schwan­den in den Wol­ken des Hin­du­kusch – Haupt­sa­che, man zeig­te sich kriegstüchtig.

Das Mili­tä­ri­sche habe domi­niert; die pro­pa­gan­di­sti­sche Ver­brä­mung des Ein­sat­zes als Hil­fe (etwa Brun­nen boh­ren, Schu­len bau­en) dien­te nur der Recht­fer­ti­gung des Krie­ges und der Besat­zung des Lan­des: Man habe »Inter­es­sen, Zie­le und Bedar­fe der afgha­ni­schen Bevöl­ke­rung bei der Gestal­tung von Pro­jekt­vor­ha­ben nicht aus­rei­chend ein­be­zo­gen«. Geschön­te Berich­te ver­moch­ten nicht die Kluft zwi­schen dem Bedarf des bit­ter­ar­men, kriegs­ver­wü­ste­ten Lan­des und den Inter­es­sen der Inva­so­ren zu verdecken.

Auf­schluss­reich ist der Blick von außen auf die Kom­mis­si­on, die hälf­tig aus Abge­ord­ne­ten des Par­la­ments und »Sach­ver­stän­di­gen« besteht. Der frü­he­re afgha­ni­sche Par­la­men­ta­ri­er Bak­tash Sia­wa­sh bemerk­te schon 2022, es hand­le sich um unbe­tei­lig­te Beob­ach­ter des Krie­ges; er ver­miss­te den unab­hän­gi­gen, afgha­ni­schen Blick­win­kel. Laut Sia­wa­sh haben kolo­nia­le Denk­mu­ster aus dem 19. Jahr­hun­dert die Kriegs­stra­te­gie beherrscht. Die Kluft zwi­schen den Afgha­nen und der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft habe sich ver­tieft und: »Die Afgha­nen woll­ten sich nicht von deren Mario­net­ten­herr­schern beherr­schen las­sen.« Sein Fazit 2022: »Nicht Mili­tärs, son­dern die Ver­ein­ten Natio­nen soll­ten die Poli­tik bestimmen.«

Genau das will die deut­sche Regie­rungs­po­li­tik ver­mei­den. Die Kon­se­quenz aus dem Bericht zielt ja nicht auf Infra­ge­stel­lung der welt­wei­ten Mili­tär­ein­sät­ze, son­dern auf die Ver­bes­se­rung ihrer Effi­zi­enz durch »ver­netz­tes Enga­ge­ment in der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik«. Dafür brau­che man zukünf­tig eine bes­se­re Koor­di­nie­rung zwi­schen Res­sorts sowie zivi­len und mili­tä­ri­schen Struk­tu­ren. Der Bericht will also der Poli­tik eine neue Tak­tik lie­fern, die den Mili­ta­ris­mus för­dert und den Sinn und die Berech­ti­gung der impe­ria­len Stra­te­gie nicht in Fra­ge stellt: UN-Char­ta, Völ­ker­recht, vom Krieg betrof­fe­ne Men­schen mit all ihrem Elend spie­len in die­sem Den­ken kei­ne Rolle.

Deutsch­land ermäch­tigt sich selbst zu Krie­gen und mili­tä­ri­schen Inter­ven­tio­nen – auch für wirt­schaft­li­che Inter­es­sen. Der grü­ne Wirt­schafts­mi­ni­ster Habeck gibt die Marsch­rich­tung bei der Grund­stein­le­gung einer neu­en Muni­ti­ons­fa­brik klar vor: »Wir müs­sen um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit Euro­pas in der Welt kämp­fen. Das schließt aus­drück­lich auch den mili­tä­ri­schen Kom­plex mit ein.« Unter Füh­rung der USA begann schon im letz­ten Dezem­ber der Ein­satz »Pro­spe­ri­ty Guar­di­an« (Wäch­ter des Wohl­stands). Und der Bun­des­tag gab gera­de grü­nes Licht für den Ein­satz der Fre­gat­te Hes­sen im Roten Meer.

Die Welt ist der Krie­ge müde. Beson­ders die Men­schen im glo­ba­len Süden wis­sen, was impe­ria­le Poli­tik und Mili­ta­ris­mus des Westens in den über­fal­le­nen Län­dern ange­rich­tet haben: Mil­lio­nen von Toten, Zer­stö­rung und Hass. Glaubt die Bun­des­re­gie­rung allen Ern­stes, dass die Staa­ten und Völ­ker, die euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus und US-Impe­ria­lis­mus, samt der damit ver­bun­de­nen völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krie­ge, ken­nen, auf neo­ko­lo­nia­le Aben­teu­er unter deut­scher Füh­rung warten?

Der Westen ist in Afgha­ni­stan geschei­tert, weil er das Land unter Miss­ach­tung der Men­schen und aller inter­na­tio­na­ler Ver­ein­ba­run­gen über­fal­len und Völ­ker­recht und UN-Char­ta ein­ge­stampft hat. Nun soll die Enquete-Kom­mis­si­on mit ihren Vor­schlä­gen Deutsch­land kriegs­tüch­tig machen. Wol­len Regie­rung und Par­la­ment an der Sei­te der selbst­er­nann­ten ein­zi­gen Welt­macht und der Nato noch mehr Län­der ver­wü­sten, noch mehr Men­schen töten? Genü­gen die Erfah­run­gen aus Irak, Liby­en, Syri­en und Afgha­ni­stan nicht? Die Enquete-Kom­mis­si­on muss einen neu­en Auf­trag bekom­men: Wie kann Deutsch­land frie­dens­fä­hig wer­den? Was kann es dazu bei­tra­gen, die UN-Char­ta zu ver­wirk­li­chen, also unter Beach­tung der Gleich­be­rech­ti­gung aller Staa­ten Kon­flik­te fried­lich zu lösen? Krieg ist nie alter­na­tiv­los und nie die Lösung von Konflikten.