In Wien finden im Herbst Gemeinderatswahlen statt. Zurzeit regiert eine Koalition aus SPÖ und Grünen. Stärkste Oppositionspartei ist die reaktionär-nationalistische FPÖ, die allerdings durch die Ibiza-Causa von Heinz-Christian Strache (er ist nicht mehr FPÖ-Mitglied) stark geschwächt ist, denn Strache war über lange Jahre die wichtigste politische Figur in der Wiener Partei und konnte bei der letzten Gemeinderatswahl große Teile der Stimmen der abhängig Beschäftigten für die FPÖ gewinnen. Zusammen mit drei ehemaligen Wiener FPÖ-Gemeinderäten will Strache im Herbst bei der Gemeinderatswahl als Die Allianz für Österreich (DAÖ) antreten und, so seine Aussage, »Bürgermeister werden«. Damit dürfte dem Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig trotz des rasanten Niedergangs der österreichischen Sozialdemokratie sein Amt weiter sicher sein und die SPÖ in Wien wieder stärkste Partei werden.
Dass kurz vor dem Internationalen Frauentag die SPÖ, sie hat schon lange von der Bezeichnung »sozialistische« auf »sozialdemokratische« im Parteinamen gewechselt, ihre letzten gesellschaftsverändernden Programmpunkte zu Grabe getragen hat, beweist der Umgang mit Mireille Ngosso. Sie flüchtete mit ihrer Familie im Alter von vier Jahren aus der Demokratischen Republik Kongo nach Wien und ist seit dem Jahre 2010 für die SPÖ politisch tätig. Im Abendgymnasium holte sie die Matura (Abitur) nach, studierte Humanmedizin an der Uni Wien, erlangte den Bachelor of Science an der Kingston University in London und absolviert zurzeit die Facharztausbildung zur Allgemeinchirurgin am Krankenhaus Hitzing (Bezirk in Wien). Seit 2018 ist sie auch stellvertretende Bezirksvorsteherin für den 1. Wiener Gemeindebezirk. In ihrer Amtszeit hat sie unter anderem für die Neupflanzung von 200 Bäumen gesorgt.
Der erste Wiener Gemeindebezirk ist einer der wenigen Wiener Bezirke, die von der »christlichen« Kurz-ÖVP regiert werden. Bei der vor wenigen Tagen stattgefundenen SPÖ-Bezirkskonferenz für den 1. Wiener Gemeindebezirk kandidierte Mireille Ngosso für die Aufstellung als Spitzenkandidatin für das Amt der Bezirksvorsteherin. Fünfundfünfzig Prozent der Delegierten lehnten ihre Kandidatur ab.
Nach dieser Entscheidung war man in einigen Kreisen der SPÖ »entsetzt«. Dabei findet hier jene »Annäherung« an die ausländerfeindliche Politik statt, die der nationalistischen FPÖ bei der letzten Wahl in Wien 34 Mandate bescherte. Die Wiener Sozialdemokratie war damals mit 44 Mandaten noch stärkste Kraft, musste aber mit den Grünen eine Koalition eingehen.
Zu den Gründen der Delegierten meinte Mireille Ngosso gegenüber der Wiener Zeitung: »Ich kann es Ihnen ehrlich gesagt nicht sagen.« Und weiter: »Ich kann mir vorstellen, dass es sicherlich ein paar Befindlichkeiten gibt.« Durch ihr Leben als »schwarze Frau« ziehe es sich wie ein roter Faden: »Man will Zugehörigkeit und erreicht es nicht immer.«
Es waren rassistische Motive, die zum Scheitern ihrer Kandidatur für die SPÖ im Bezirk und somit als Herausforderin von Markus Figl (Kurz-ÖVP) als Bezirksvorsteher in der Innenstadt mitspielten. Ngosso: »Die SPÖ repräsentiert die Gesellschaft, da gibt es solche und solche.« Es verwundert allerdings, dass sie trotz dieses diskriminierenden Wahlergebnisses verkündet: »Die SPÖ bleibt meine politische Heimat.« So will sie weiterhin für diese Partei für den Wiener Gemeinderat kandidieren – allerdings mit wenig Chancen auf den Einzug in das Wiener Rathaus.
Wie scheinheilig ist da der noch immer in der österreichischen Sozialdemokratie genutzte Gruß »Freundschaft«!