Mit Freundschaften ist das so eine Sache. Mancher ist schnell bereit, einen anderen »Freund« zu nennen, viele messen aber die Qualität und Beständigkeit von Freundschaften an konkreten Kriterien. Zweifellos gibt es hierfür keinen einheitlichen Prüfungsmaßstab. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, worauf es ihm bei einer Freundschaft ankommt. Wenn die Akteure prominente Zeitgenossen sind oder waren, ist das nicht anders. Mitunter stellt man nach Jahr und Tag leider auch fest, dass das, was man für Freundschaft hielt, eigentlich nur eine lose Verbindung oder bestenfalls Kumpanei war.
Der bekannte Dramatiker Peter Hacks übersiedelte 1955 in die DDR, um fortan hier zu leben und zu arbeiten. Bereits ein Jahr später wurde der damals schon als Strafverteidiger und Buchautor berühmte Friedrich Karl Kaul auf ihn aufmerksam. Es entstand nicht nur eine relativ enge persönliche Verbindung, sondern auch ein längerer Briefwechsel. Beide vertrauten sich darin Dinge an, die nicht unbedingt für Außenstehende gedacht waren. Kaul interessierte sich für die Tätigkeit des Dramatikers und seine Stücke, Hacks schaute mit Respekt auf Kauls anwaltliche Tätigkeit. Von letzterer sollte er auch immer wieder selbst profitieren, wenn ihn Kaul anwaltlich vertrat oder ihm Rechtsratschläge erteilte. So kam es zu Begegnungen auf Kauls Wochenendgrundstück am Feldberger See oder in seiner Wohnung in Berlin. Gemeinsam sah man verschiedene Verfilmungen des »Fernsehpitaval«, für die Kaul regelmäßig das Drehbuch schrieb. Wechselseitig unterzogen beide die Werke des jeweils anderen einer kritischen Würdigung. Man möchte meinen, dass solches in der Regel mit dem Zweck erfolgt, den anderen weiterzubringen oder ihn auf bestimmte Probleme oder Fragestellungen zu fokussieren. Ob das bei den hier zu betrachtenden Akteuren letztlich gelungen ist, muss leider offenbleiben. Sichere Belege dafür gibt es jedenfalls bei keinem. Es gelingt Kaul aber, Hacks zu überreden, aus seinem Kriminalroman »Der blaue Aktendeckel« eine Bühnenfassung zu erarbeiten; das Stück wird später in verschiedenen Theatern der DDR aufgeführt. Auch wenn Hacks hier nur unter dem Pseudonym Ernst Eylt agieren wollte, gibt ihm der Erfolg recht. So vergeht etwa ein Jahrzehnt in guter Atmosphäre und engem Kontakt.
Dann kommt es zum Bruch zwischen beiden: Grund ist Hacks Stück »Moritz Tassow« und eine Veröffentlichung von Hacks in Theater heute, was in der Folge zu einem Artikel im westdeutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel führte, den Kaul zum Gegenstand heftiger Kritik machte. Hintergrund des Streites ist ein Text mit dem Titel »Brief über ein neues Stück«, den Hacks später in »Ein Plan« umbenennt und veröffentlicht. Peter Hacks‘ Biograf, Ronald Weber, schreibt dazu: »In diesem vergleicht er Wolf Biermann mit Günter Grass. Beide hätten ›ein hübsches Talent und ein enormes Geltungsbedürfnis‹, es fehle ihnen aber ›jedes Verständnis für politische Wirklichkeit‹; deshalb wünschten sie, ihre beider Staaten, die DDR und die BRD, sollten ›etwas wolf-günterscher‹ seien, und erprobten sich immerzu in unverlangter Politikberatung.« (R. Weber: »Peter Hacks – Leben und Werk«, Berlin 2018) Kaul ist entsetzt über die Art der Vergleiche, die Hacks vornimmt, und sieht auch »echte Empfindungen« bei sich selbst verletzt. Das Verhältnis zwischen beiden kühlt deutlich ab, die Verbindung als solche bleibt jedoch noch einige Zeit bestehen. Erst als Hacks im Frühjahr 1970 eine Einladung in die Wohnung von Kaul bekommt, schlägt er diese mit Deutlichkeit aus und teilt ihm auch schriftlich mit: »Meinen Sie nicht auch, dass wir über die Pflichten, die eine nähere Bekanntschaft beiden Beteiligten auferlegt, zu verschiedene Ansichten haben, als dass es von vielem Wert wäre, dieselbe fortzusetzen?« Deutlicher konnte man es nicht formulieren, wenngleich auch eingepackt und umrahmt von freundlichen Wünschen. Kaul schreibt ihm hierauf unter anderem: »Zu Recht bezeichnen Sie unsere Beziehungen als ›nähere Bekanntschaft‹. Die Unverbindlichkeit eines derartigen Kontaktes, dessen Charakter im Wesentlichen in einem Gedankenaustausch besteht, legt im Gegensatz zu Ihrer Ansicht den Beteiligten keine andere Pflicht auf als die, gegenüber kontradiktatorischen Entgleisungen – in der auch von Ihnen verpönten Sprache des Bürgertums ›Taktlosigkeiten‹ genannt – großzügig zu sein. … Wenn wir, Ihrem Wunsch entsprechend, die nähere Bekanntschaft beenden, wollen wir fürderhin es mit den Gefälligkeiten in gleicher Weise halten.« (Schreiben Kaul an Hacks vom 26.3.1970)
Es sollten nunmehr einige Jahre vergehen, bis 1976 Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert wurde. Peter Hacks widersetzt sich dem Begehren verschiedener DDR-Künstler, eine Petition für Biermann zu unterzeichnen. Stattdessen veröffentlicht er in der Weltbühne vom 7. Dezember 1976 einen Artikel unter der Überschrift »Neues von Biermann«, in dem er mit diesem gründlich abrechnet. Der Beitrag blieb dementsprechend nicht ohne breite Wirkung. Er führte interessanterweise auch dazu, dass ihm Friedrich Karl Kaul nunmehr schrieb: »Vor, wenn ich mich recht erinnere, etlichen sechs Jahren wünschten Sie die Beendigung unserer persönlichen Kontakte, die seit der Zeit Ihrer ersten dramatischen Produktionen recht enge gewesen waren. Ich pflege derartige, der Privatsphäre zuzurechnenden Wünsche schon um Willen ihrer Gegenseitigkeit mit Akribie zu respektieren. Dieser Brief stellt keinen Bruch dieser Gewohnheit dar: Ich schreibe ihn als Staatsbürger, um Ihnen als Bürger unserer Republik, für Ihre in Nummer 49/76 der ›Weltbühne‹ veröffentlichte Stellungnahme zum ›Falle‹ Biermann zu danken, da durch Sie in gemäßester Form die rechten Akzente für die entscheidenden Sachzusammenhänge gesetzt werden und damit die unter Tarnung einer ›kulturellen Mission‹ seit Jahren gegen unseren Staat betriebene nichtsnutzige Hetze einer Clique bloßgestellt wird, die sich in geltungssüchtiger Überheblichkeit Urteile über die gesellschaftspolitischen Verhältnisse unseres Staates anmaßt. Ich stimme uneingeschränkt mit Ihnen darin überein, den im Rahmen dieser Hetze zum Heldentenor hochstaffierten Bänkler dem ›Rechtsstaat‹ zu überlassen, der in Fortsetzung tausendjähriger Tradition Mörder ihrer Strafe entzieht und sie mit Geldgeschenken und Blumengaben geehrt in seiner Mitte aufnimmt.«
Ob es Reaktionen hierauf durch Peter Hacks gab, ist nicht überliefert. Zu einer Wiederbelebung der einst eng gepflegten Verbindung hat es jedenfalls nicht geführt. Der Begriff »Freundschaft« war sicherlich für die Jahre der engen Kontakte nicht unangebracht, auch wenn beide Protagonisten das rückwirkend anders sehen wollten. Zweifellos haben beide in jener Zeit wechselseitig voneinander profitiert, sich dabei aber auch weiterentwickelt. Nicht immer ermöglicht eine solche Weiterentwicklung die Fortführung einst gepflegter Beziehungen. Das muss man respektieren und historisch einordnen. Friedrich Karl Kaul ging ohnehin mit dem Begriff »Freundschaft« zurückhaltend um. Auch in Bezug auf Stefan Heym äußerte er in einem 1979 geführten Interview mit der Zeit, dass er mit diesem »fast befreundet« gewesen sei. Auch hier führte die Veränderung der Auffassungen zu verschiedenen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung zu einem dauerhaften Bruch.