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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Freunde auf Zeit?

Mit Freund­schaf­ten ist das so eine Sache. Man­cher ist schnell bereit, einen ande­ren »Freund« zu nen­nen, vie­le mes­sen aber die Qua­li­tät und Bestän­dig­keit von Freund­schaf­ten an kon­kre­ten Kri­te­ri­en. Zwei­fel­los gibt es hier­für kei­nen ein­heit­li­chen Prü­fungs­maß­stab. Letzt­lich muss jeder für sich selbst ent­schei­den, wor­auf es ihm bei einer Freund­schaft ankommt. Wenn die Akteu­re pro­mi­nen­te Zeit­ge­nos­sen sind oder waren, ist das nicht anders. Mit­un­ter stellt man nach Jahr und Tag lei­der auch fest, dass das, was man für Freund­schaft hielt, eigent­lich nur eine lose Ver­bin­dung oder besten­falls Kum­pa­nei war.

Der bekann­te Dra­ma­ti­ker Peter Hacks über­sie­del­te 1955 in die DDR, um fort­an hier zu leben und zu arbei­ten. Bereits ein Jahr spä­ter wur­de der damals schon als Straf­ver­tei­di­ger und Buch­au­tor berühm­te Fried­rich Karl Kaul auf ihn auf­merk­sam. Es ent­stand nicht nur eine rela­tiv enge per­sön­li­che Ver­bin­dung, son­dern auch ein län­ge­rer Brief­wech­sel. Bei­de ver­trau­ten sich dar­in Din­ge an, die nicht unbe­dingt für Außen­ste­hen­de gedacht waren. Kaul inter­es­sier­te sich für die Tätig­keit des Dra­ma­ti­kers und sei­ne Stücke, Hacks schau­te mit Respekt auf Kauls anwalt­li­che Tätig­keit. Von letz­te­rer soll­te er auch immer wie­der selbst pro­fi­tie­ren, wenn ihn Kaul anwalt­lich ver­trat oder ihm Rechts­rat­schlä­ge erteil­te. So kam es zu Begeg­nun­gen auf Kauls Wochen­end­grund­stück am Feld­ber­ger See oder in sei­ner Woh­nung in Ber­lin. Gemein­sam sah man ver­schie­de­ne Ver­fil­mun­gen des »Fern­seh­pi­ta­val«, für die Kaul regel­mä­ßig das Dreh­buch schrieb. Wech­sel­sei­tig unter­zo­gen bei­de die Wer­ke des jeweils ande­ren einer kri­ti­schen Wür­di­gung. Man möch­te mei­nen, dass sol­ches in der Regel mit dem Zweck erfolgt, den ande­ren wei­ter­zu­brin­gen oder ihn auf bestimm­te Pro­ble­me oder Fra­ge­stel­lun­gen zu fokus­sie­ren. Ob das bei den hier zu betrach­ten­den Akteu­ren letzt­lich gelun­gen ist, muss lei­der offen­blei­ben. Siche­re Bele­ge dafür gibt es jeden­falls bei kei­nem. Es gelingt Kaul aber, Hacks zu über­re­den, aus sei­nem Kri­mi­nal­ro­man »Der blaue Akten­deckel« eine Büh­nen­fas­sung zu erar­bei­ten; das Stück wird spä­ter in ver­schie­de­nen Thea­tern der DDR auf­ge­führt. Auch wenn Hacks hier nur unter dem Pseud­onym Ernst Eylt agie­ren woll­te, gibt ihm der Erfolg recht. So ver­geht etwa ein Jahr­zehnt in guter Atmo­sphä­re und engem Kontakt.

Dann kommt es zum Bruch zwi­schen bei­den: Grund ist Hacks Stück »Moritz Tas­sow« und eine Ver­öf­fent­li­chung von Hacks in Thea­ter heu­te, was in der Fol­ge zu einem Arti­kel im west­deut­schen Nach­rich­ten­ma­ga­zin Der Spie­gel führ­te, den Kaul zum Gegen­stand hef­ti­ger Kri­tik mach­te. Hin­ter­grund des Strei­tes ist ein Text mit dem Titel »Brief über ein neu­es Stück«, den Hacks spä­ter in »Ein Plan« umbe­nennt und ver­öf­fent­licht. Peter Hacks‘ Bio­graf, Ronald Weber, schreibt dazu: »In die­sem ver­gleicht er Wolf Bier­mann mit Gün­ter Grass. Bei­de hät­ten ›ein hüb­sches Talent und ein enor­mes Gel­tungs­be­dürf­nis‹, es feh­le ihnen aber ›jedes Ver­ständ­nis für poli­ti­sche Wirk­lich­keit‹; des­halb wünsch­ten sie, ihre bei­der Staa­ten, die DDR und die BRD, soll­ten ›etwas wolf-gün­ter­scher‹ sei­en, und erprob­ten sich immer­zu in unver­lang­ter Poli­tik­be­ra­tung.« (R. Weber: »Peter Hacks – Leben und Werk«, Ber­lin 2018) Kaul ist ent­setzt über die Art der Ver­glei­che, die Hacks vor­nimmt, und sieht auch »ech­te Emp­fin­dun­gen« bei sich selbst ver­letzt. Das Ver­hält­nis zwi­schen bei­den kühlt deut­lich ab, die Ver­bin­dung als sol­che bleibt jedoch noch eini­ge Zeit bestehen. Erst als Hacks im Früh­jahr 1970 eine Ein­la­dung in die Woh­nung von Kaul bekommt, schlägt er die­se mit Deut­lich­keit aus und teilt ihm auch schrift­lich mit: »Mei­nen Sie nicht auch, dass wir über die Pflich­ten, die eine nähe­re Bekannt­schaft bei­den Betei­lig­ten auf­er­legt, zu ver­schie­de­ne Ansich­ten haben, als dass es von vie­lem Wert wäre, die­sel­be fort­zu­set­zen?« Deut­li­cher konn­te man es nicht for­mu­lie­ren, wenn­gleich auch ein­ge­packt und umrahmt von freund­li­chen Wün­schen. Kaul schreibt ihm hier­auf unter ande­rem: »Zu Recht bezeich­nen Sie unse­re Bezie­hun­gen als ›nähe­re Bekannt­schaft‹. Die Unver­bind­lich­keit eines der­ar­ti­gen Kon­tak­tes, des­sen Cha­rak­ter im Wesent­li­chen in einem Gedan­ken­aus­tausch besteht, legt im Gegen­satz zu Ihrer Ansicht den Betei­lig­ten kei­ne ande­re Pflicht auf als die, gegen­über kon­tra­dik­ta­to­ri­schen Ent­glei­sun­gen – in der auch von Ihnen ver­pön­ten Spra­che des Bür­ger­tums ›Takt­lo­sig­kei­ten‹ genannt – groß­zü­gig zu sein. … Wenn wir, Ihrem Wunsch ent­spre­chend, die nähe­re Bekannt­schaft been­den, wol­len wir für­der­hin es mit den Gefäl­lig­kei­ten in glei­cher Wei­se hal­ten.« (Schrei­ben Kaul an Hacks vom 26.3.1970)

Es soll­ten nun­mehr eini­ge Jah­re ver­ge­hen, bis 1976 Wolf Bier­mann aus der DDR aus­ge­bür­gert wur­de. Peter Hacks wider­setzt sich dem Begeh­ren ver­schie­de­ner DDR-Künst­ler, eine Peti­ti­on für Bier­mann zu unter­zeich­nen. Statt­des­sen ver­öf­fent­licht er in der Weltbühne vom 7. Dezem­ber 1976 einen Arti­kel unter der Über­schrift »Neu­es von Bier­mann«, in dem er mit die­sem gründ­lich abrech­net. Der Bei­trag blieb dem­entspre­chend nicht ohne brei­te Wir­kung. Er führ­te inter­es­san­ter­wei­se auch dazu, dass ihm Fried­rich Karl Kaul nun­mehr schrieb: »Vor, wenn ich mich recht erin­ne­re, etli­chen sechs Jah­ren wünsch­ten Sie die Been­di­gung unse­rer per­sön­li­chen Kon­tak­te, die seit der Zeit Ihrer ersten dra­ma­ti­schen Pro­duk­tio­nen recht enge gewe­sen waren. Ich pfle­ge der­ar­ti­ge, der Pri­vat­sphä­re zuzu­rech­nen­den Wün­sche schon um Wil­len ihrer Gegen­sei­tig­keit mit Akri­bie zu respek­tie­ren. Die­ser Brief stellt kei­nen Bruch die­ser Gewohn­heit dar: Ich schrei­be ihn als Staats­bür­ger, um Ihnen als Bür­ger unse­rer Repu­blik, für Ihre in Num­mer 49/​76 der ›Weltbühne‹ ver­öf­fent­lich­te Stel­lung­nah­me zum ›Fal­le‹ Bier­mann zu dan­ken, da durch Sie in gemä­ße­ster Form die rech­ten Akzen­te für die ent­schei­den­den Sach­zu­sam­men­hän­ge gesetzt wer­den und damit die unter Tar­nung einer ›kul­tu­rel­len Mis­si­on‹ seit Jah­ren gegen unse­ren Staat betrie­be­ne nichts­nut­zi­ge Het­ze einer Cli­que bloß­ge­stellt wird, die sich in gel­tungs­süch­ti­ger Über­heb­lich­keit Urtei­le über die gesell­schafts­po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se unse­res Staa­tes anmaßt. Ich stim­me unein­ge­schränkt mit Ihnen dar­in über­ein, den im Rah­men die­ser Het­ze zum Hel­den­te­nor hoch­staf­fier­ten Bänk­ler dem ›Rechts­staat‹ zu über­las­sen, der in Fort­set­zung tau­send­jäh­ri­ger Tra­di­ti­on Mör­der ihrer Stra­fe ent­zieht und sie mit Geld­ge­schen­ken und Blu­men­ga­ben geehrt in sei­ner Mit­te aufnimmt.«

Ob es Reak­tio­nen hier­auf durch Peter Hacks gab, ist nicht über­lie­fert. Zu einer Wie­der­be­le­bung der einst eng gepfleg­ten Ver­bin­dung hat es jeden­falls nicht geführt. Der Begriff »Freund­schaft« war sicher­lich für die Jah­re der engen Kon­tak­te nicht unan­ge­bracht, auch wenn bei­de Prot­ago­ni­sten das rück­wir­kend anders sehen woll­ten. Zwei­fel­los haben bei­de in jener Zeit wech­sel­sei­tig von­ein­an­der pro­fi­tiert, sich dabei aber auch wei­ter­ent­wickelt. Nicht immer ermög­licht eine sol­che Wei­ter­ent­wick­lung die Fort­füh­rung einst gepfleg­ter Bezie­hun­gen. Das muss man respek­tie­ren und histo­risch ein­ord­nen. Fried­rich Karl Kaul ging ohne­hin mit dem Begriff »Freund­schaft« zurück­hal­tend um. Auch in Bezug auf Ste­fan Heym äußer­te er in einem 1979 geführ­ten Inter­view mit der Zeit, dass er mit die­sem »fast befreun­det« gewe­sen sei. Auch hier führ­te die Ver­än­de­rung der Auf­fas­sun­gen zu ver­schie­de­nen Fra­gen der gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung zu einem dau­er­haf­ten Bruch.