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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Frau Grimm und der Stamokap

Auf 120.000 Euro pro Jahr plus eini­ge tau­send Euro Zula­gen und gute Sit­zungs­ver­pfle­gung darf sich Vero­ni­ka Grimm als frisch gebacke­nes Mit­glied des Auf­sichts­rats der Sie­mens Ener­gy AG (SEAG) freu­en. Ihre Wahl am 26. Febru­ar auf der Haupt­ver­samm­lung des Kon­zerns war aller­dings holp­rig: Unge­wöhn­lich nied­ri­ge 76,4 Pro­zent der nach Antei­len bemes­se­nen Stim­men ent­fie­len auf die Nürn­ber­ger Wirt­schafts­pro­fes­so­rin, die bereits einen ande­ren gut dotier­ten Neben­job hat: 33.000 Euro jähr­lich bekommt sie als Mit­glied des fünf­köp­fi­gen »Sach­ver­stän­di­gen­rats zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung«. Deren Vor­sit­zen­de, Moni­ka Schnit­zer, hat­te im Vor­feld in öffent­li­chen Brie­fen sowohl an die »lie­be Vero­ni­ka« als auch an den SEAG-Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­den Joe Kae­ser gegen die Annah­me des Auf­sichts­rats­man­dats argu­men­tiert. Ihr Brief ist mit­ge­zeich­net durch alle ande­ren vier Mit­glie­der der oft auch als »Wirt­schafts­wei­sen« bezeich­ne­ten Damen und Herren.

Die Ein­rich­tung des Rats war in der ent­ste­hen­den Bun­des­re­pu­blik umstrit­ten. Er schien meh­re­ren Kräf­ten zu sehr eine offe­ne Bestä­ti­gung der engen Ver­flech­tun­gen die­ser Sphä­ren in dem zu sein, was sei­tens der DDR als »Staats­mo­no­po­li­sti­scher Kapi­ta­lis­mus«, kurz »Sta­mo­kap« cha­rak­te­ri­siert wur­de. Der damals gefun­de­ne Kom­pro­miss sah vor, dass in die­sem Rat, der offi­zi­ell die Bun­des­re­gie­rung in allen Fra­gen der Wirt­schafts­po­li­tik berät, kei­ne Unter­neh­mens- oder Gewerk­schafts­ver­tre­ter, son­dern aus­schließ­lich Pro­fes­so­ren ver­tre­ten sein soll­ten. Die Ver­knüp­fung aus­ge­rech­net der­je­ni­gen Pro­fes­so­rin, die sich inner­halb des Rates auf Fra­gen der Ener­gie­po­li­tik spe­zia­li­siert hat, mit dem füh­ren­den deut­schen Unter­neh­men der von der Bun­des­re­gie­rung geplan­ten Ener­gie­wen­de zer­stört – so die Beden­ken der Rats­mehr­heit – die­sen Nim­bus der Unabhängigkeit.

Das ist mehr als Fut­ter­neid unter Wohl­ver­netz­ten. Die SEAG ist ein Para­de­bei­spiel für die Stim­mig­keit der Sta­mo­kap-Theo­rie. Das Unter­neh­men ent­stand vor vier Jah­ren durch Abspal­tung von Sie­mens, des­sen ehe­ma­li­ger Vor­stands­vor­sit­zen­der Kae­ser nun der schon genann­te Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der der SEAG ist. Das Unter­neh­men erwirt­schaf­tet dank der Arbeit sei­ner rund 90.000 Arbei­ter und Ange­stell­ten einen Jah­res­um­satz von 27 Mil­li­ar­den Euro. Ihre Pro­duk­te sind zen­tra­ler Bestand­teil der Ener­gie­po­li­tik des deut­schen und euro­päi­schen Kapi­ta­lis­mus: Ohne die dort her­ge­stell­ten Trans­for­ma­to­ren, Schalt­an­la­gen, Gene­ra­to­ren, Tur­bi­nen und Ver­dich­ter gibt es in Deutsch­land weder Strom noch Gas. In der Öffent­lich­keit bekannt wur­de das Unter­neh­men, nach­dem die durch die Sank­ti­ons­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung behin­der­te War­tung einer der von SEAG regel­mä­ßig zu über­ho­len­den Tur­bi­nen von Nord Stream 1 zum Stopp rus­si­scher Gas­lie­fe­run­gen im Jah­re 2022 bei­trug. Poli­tik und Unter­neh­men sind in die­sem Bereich der Öko­no­mie beson­ders eng mit­ein­an­der ver­zahnt: Um die geschäft­li­chen Risi­ken der Ener­gie­wen­de von den Aktio­nä­ren auf die Steu­er­zah­ler abzu­wäl­zen, erbat und erhielt das Unter­neh­men nach der Instal­la­ti­on der neu­en Bun­des­re­gie­rung eine Aus­fall­bürg­schaft in Höhe von 7,5 Mil­li­ar­den Euro.

Ganz leicht wer­den die 120 Rie­sen für Frau Grimm den­noch nicht zu ver­die­nen sein. Im Geschäfts­jahr 2022/​23, das am 30. Sep­tem­ber ende­te, schrieb SEAG einen Ver­lust von 4,6 Mil­li­ar­den Euro in die Bücher – vor allem wegen erheb­li­cher Ver­lu­ste im Ons­hore-Wind­tur­bi­nen-Geschäft, also einem der Kern­stücke der Ener­gie­wen­de-Poli­tik des deut­schen Wirt­schafts­mi­ni­sters. Die FAZ sah denn am 27. Febru­ar auch »Sie­mens Ener­gy im Gegen­wind« und ließ ihre Betrach­tun­gen über die Schwie­rig­kei­ten, in denen der Kon­zern steckt, und den Kraft­akt, der not­wen­dig ist, um wie­der in die Gewinn­zo­ne zu steu­ern, in dem Satz mün­den: »Im Auf­sichts­rat muss Grimm dazu bei­tra­gen, dass die­ser Kraft­akt bewäl­tigt wird.«

Pikan­ter­wei­se am sel­ben Tag, an dem so die Bestä­ti­gung der Sta­mo­kap-Theo­rie vor aller Welt auch durch die FAZ doku­men­tiert wur­de, wid­me­te die­sel­be Zei­tung eine gan­ze Sei­te dem 80. Geburts­tag der anti­kom­mu­ni­sti­schen Fibel aller rech­ten Öko­no­men, dem Buch »Der Weg zur Knecht­schaft« von Fried­rich A. von Hay­ek, des­sen Kern­plä­doy­er dar­auf hin­aus­läuft, dass sich der Staat aus dem Markt­ge­sche­hen raus­zu­hal­ten und auch dafür zu sor­gen habe, dass Gewerk­schaf­ten das freie Spiel der Kräf­te nicht stö­ren. Autoren die­ses wuch­ti­gen FAZ-Plä­doy­ers für »die libe­ra­le Ord­nung«: Ste­fan Kolev, wis­sen­schaft­li­cher Lei­ter des Lud­wig-Erhard-Forums, Jens Weid­mann, Auf­sichts­rats­chef der seit der Finanz­kri­se 2007 vom Staat über Was­ser gehal­te­nen Com­merz­bank – und Frau Vero­ni­ka Grimm.

Die intel­lek­tu­el­le und mora­li­sche Scham­lo­sig­keit der herr­schen­den Öko­no­men­zunft wird immer hemmungsloser.