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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Frans Hals – ein Flame in Berlin

Dem Fla­men Frans Hals ist in der Gemäl­de­ga­le­rie am Kem­per­platz eine Aus­stel­lung mit fast fünf­zig Wer­ken gewid­met. Der Maler wird hier als »einer der größ­ten Por­trät­ma­ler aller Zei­ten« vor­ge­stellt. Fra­gen wir zwei­er­lei: Wie kam es zu die­ser Aus­stel­lung? Und wie ist der Anspruch zu ver­ste­hen, in Hals einen der größ­ten Por­trä­ti­sten aller Zei­ten zu sehen?

Erstens. Die Ber­li­ner Aus­stel­lung ist sen­sa­tio­nell, obwohl die Ber­li­ner Samm­lung nur sie­ben Wer­ke von ihm besitzt. Die mei­sten Bild­nis­se befin­den sich im Haar­le­mer Frans-Hals-Muse­um, im Amster­da­mer Rijks­mu­se­um sowie ver­streut in den Gale­rien der Welt. Das Oeu­vre umfasst das gesam­te Spek­trum der Bild­nis­kunst: Halb-, Ganz­fi­gu­ren, Drei­vier­tel­fi­gu­ren, Ehe­paar­bild­nis­se ein­zeln oder dop­pelt, meter­lan­ge ganz­fi­gu­ri­ge Schüt­zen­stücke in Fest­mahl­stim­mung, Tro­nien, das sind klei­ne Gelegenheitsarbeiten.

Por­träts zei­gen ern­ste, lachen­de, lächeln­de, schmun­zeln­de Men­schen, wesent­lich ohne Attri­bu­te, fest­ge­hal­ten in einer Gemüts­stim­mung. Das ist das Neue im Bild­nis. Gen­re­sze­nen und Land­schafts­de­tails ließ sich Hals grund­sätz­lich von Fach­kol­le­gen gegen Hono­rar einfügen.

Hals ist drei­ßig Jah­re lang nicht mehr mit einer Son­der­aus­stel­lung ans Licht der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit gerückt wor­den. Wie­so die Neu­be­wer­tung des Künst­lers? Das kam so. Unmit­tel­bar vor­aus­ge­gan­gen waren Prä­sen­ta­tio­nen von Peter Paul Rubens, Jan Ver­meer van Delft und Rem­brandt van Rijn. Frans Hals fehl­te in der Rei­he die­ser Größ­ten. Nun ist es zu einem kunst­hi­sto­ri­schen Zusam­men­schluss von vier Muse­en gekommen.

Die gro­ße Show begann 2023 in der Natio­nal Gal­lery Lon­don. Ihr kommt die eigent­li­che Neu­ent­deckung des Hals-Oeu­vres zu. Denn sie erfor­der­te den Mut, einen Künst­ler zu wür­di­gen, der nur ein ein­zi­ges Gen­re bedient, das Bild­nis. Hals (1582-1664) ist die vier Jahr­hun­der­te zuvor, in der barocken und klas­si­zi­sti­schen Zeit­strö­mung, alt­mo­disch erschie­nen. Sei­ne Bil­der wur­den auk­tio­niert in alle Welt ver­streut, Groß­for­ma­te pass­ge­recht zer­schnit­ten, Ehe­paar-Bild­nis­se aus­ein­an­der­ge­ris­sen. Viel­fi­gu­ri­ge Schüt­zen­stücke hat­ten unbe­que­me For­ma­te. Die hol­län­di­sche Male­rei ist über­haupt erst Mit­te 19. Jahr­hun­dert muse­al wie­der­ent­deckt und uni­ver­si­tär inven­ta­ri­siert worden.

Man kann außer­dem erschrecken, wie auch bei die­sem Künst­ler Ent­eig­nun­gen im NS-Regime zuge­grif­fen haben. Und man­ches Muse­um muss­te heu­te noch Rück­füh­run­gen eines Hals-Wer­kes in Pri­vat­be­sitz hinnehmen.

Eben­so ist die Per­so­na­ge, dies teil­wei­se bis heu­te, in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Doch, wenn wir nicht erfah­ren kön­nen, wer die­se modisch geklei­de­ten Men­schen, die aus den Eli­ten der flä­mi­schen und hol­län­di­schen Groß­han­dels- und Gei­stes­welt her­aus­ra­gen, gewe­sen sind, erfah­ren wir nichts über ihre Zeit, ver­ste­hen sie nicht. An den Muse­ums­wän­den blei­ben die Figu­ren stumm. War­um sind in der Aus­stel­lung dafür nicht wie in Lon­don Wand­tex­te zu fin­den? Im Kata­log gibt es – nach alter Art – nur kunst­hi­sto­ri­sche Bei­trä­ge. Zu The­men wie Cal­vi­nis­mus, Ost-Indi­en-Com­pa­nie, 80-jäh­ri­ger Krieg wären Auf­schlüs­se nötig.

Auf Lon­don folg­te das Rijks­mu­se­um in Amster­dam bis Juni 2024. Das Frans-Hals-Muse­um ver­lieh, erst­ma­lig in sei­ner Geschich­te, gro­ße Schüt­zen­stücke, d.h. rie­si­ge Grup­pen­bil­der. Nun ist die Prä­sen­ta­ti­on in der Gemäl­de­ga­le­rie zu Ber­lin ange­langt. In deut­schen Muse­en, ein­ge­schlos­sen Leip­zig und Schwe­rin, befin­den sich ins­ge­samt neun Wer­ke von Frans Hals. Nur zwei davon »Catha­ri­na Hooft mit Amme« 1619 und »Mal­le Bab­be«, eine Ver­rück­te mit der Eule auf ihrer Schul­ter, berei­cher­ten die Vor­gän­ger Ausstellungen.

Hals, einer der größ­ten Bild­nis­ma­ler? Wor­auf könn­te sich die­se Ver­ab­so­lu­tie­rung als einem »der größ­ten Por­trät­ma­ler aller Zei­ten« bezie­hen? Denn das Bild­nis ist ein jun­ges Teil­ge­biet der Male­rei. Es exi­stiert erst seit Mit­te des 14. Jahr­hun­derts, ent­stand in Bur­gund. Es ist über­la­gert von Haupt­strö­mun­gen wie der Buch-, Land­schafts-, Gen­re- und Historienmalerei.

Das wun­der­ba­re Ehe­paar-Dop­pel­bild­nis »Isaak Abra­ham­sz Mas­sa und Bea­trix van der Laen« von 1622 ist so ein Fall. Mas­sa fläzt sich auf den Wald­bo­den, schräg ins Bild hin­ein. Mit Treue­schwur und Män­ner­treu ver­spricht er sei­ner jun­gen Frau die glück­lich­ste Ehe. In fran­zö­si­scher Mode, schwar­zem Bro­kat, smar­ter Sei­de, ele­gant, zeigt sich einer der Bekann­te­sten aus der Haar­le­mer Kauf­mann­schaft. Sein Metier: Holz­han­del mit Russ­land, Mos­kau­rei­sen. Im Bild­nis strahlt er Charme aus, auch in den spä­te­ren Vari­an­ten, zudem Intel­lek­tua­li­tät und Läs­sig­keit. Sei­ne jun­ge Frau behält ihr alt­mo­di­sches spa­ni­sches Hals­krau­sen Kleid.

Wie Hals gehör­te auch Mas­sa der kosten­pflich­ti­gen Haar­le­mer Rhe­to­ri­ker-Ver­ei­ni­gung an, zu der nur Erfolg­rei­che Zugang hat­ten. Dort wird nach Art der artes libe­ra­les debat­tiert, wer­den Gedich­te und Stücke, Ver­öf­fent­li­chun­gen der Huma­ni­sten vor­ge­tra­gen. Ver­brei­tet sind die Schrif­ten des flan­dri­schen Malers, Dich­ters und Theo­re­ti­kers Karel van Man­der. Ihm ging es um die Phy­sio­gno­mien-Leh­re sowie die damals bei Gebil­de­ten belieb­te Emble­ma­tik. Van Man­der beschrieb detail­liert Vari­an­ten des Lachens. Wo durf­te man wie lachen. Wann war Lachen abso­lut ver­pönt und nur Lächeln gestat­tet. Heu­te rät­seln Kunst­hi­sto­ri­ker end­los, wes­halb die­se Men­schen um 1620 so viel zu lachen hat­ten. Oder was die­se Gemüts­aus­brü­che bedeu­ten könn­ten. Sie haben Karel van Man­der nicht gele­sen. Statt­des­sen wird bei jedem Por­trät rauf und run­ter die immer wil­de­re Pin­sel­füh­rung von Frans Hals beschrie­ben. Aus die­ser Sicht erhält der Maler dann das Prä­di­kat, um 1630 der vor­aus­grei­fen­de Erfin­der des Impres­sio­nis­mus im 19. Jh. gewe­sen zu sein. Der Beweis zu die­ser The­se wird am Ende der Aus­stel­lung in einem rezep­ti­ons­ge­schicht­li­chen Aus­blick gelie­fert: Hals-Kopien von Impres­sio­ni­sten; kopie­ren war damals eine übli­che Ausbildungsform.

Wes­halb inter­es­sier­te sich Frans Hals aber nun so nach­drück­lich für Groß­por­träts und die thea­tral arran­gier­ten ganz­fi­gu­ri­gen pracht­vol­len Grup­pen­ar­ran­ge­ments in den Schüt­zen­stücken, den Alt­män­ner­haus­vor­ste­hern? Obwohl die­ses Gen­re in Hol­land tra­di­ti­ons­los ist. Hier wird eine aus­ge­präg­te klein­fi­gu­ri­ge Gen­re­ma­le­rei nach Art Pie­ter Breu­ghels gepflegt. In der kunst­hi­sto­ri­schen Lite­ra­tur wer­den hol­län­di­sche und flä­mi­sche Male­rei all­ge­mein zur nie­der­län­di­schen Kunst zusam­men­ge­fasst, dem­zu­fol­ge sind flä­mi­sche und hol­län­di­sche Male­rei kaum zu unterschieden.

Hals kam aus der hohen Schu­le des ehe­ma­li­gen Bur­gund, wo seit Anfang des 14. Jh‘s., schon 300 Jah­re vor ihm, eine Ölma­le­rei ent­stan­den war, die im dama­li­gen Euro­pa zu höch­ster Blü­te gelang­te. Noch in sei­ner flä­mi­schen Hei­mat nahm Hals bei Karel van Man­der die­se bur­gun­di­sche Tra­di­ti­on an. Als Phil­ipp II. den 80jährigen Krieg, guer­ra de Fland­res, in den süd­li­chen Nie­der­lan­den, auch in Ant­wer­pen, eröff­ne­te, flo­hen vie­le patri­zi­sche Kauf­leu­te nach Hol­land. Der Frei­heits­kampf in den nörd­li­chen Pro­vin­zen hat­te vie­le Aspek­te, u.a. ging es um das Stre­ben nach Han­dels­frei­heit. Die patri­zi­sche Kauf­mann­schaft aus dem katho­li­schen Flan­dern konn­te in den cal­vi­ni­sti­schen hol­län­di­schen Han­dels­städ­ten uner­hör­te Ver­mö­gen erwer­ben. Her­aus­ra­gen­de Ver­tre­ter des Lei­nen-, Baum­woll-, Gewürz-, Dia­man­ten- und Pott­asche-Han­dels, aber auch des Skla­ven­han­dels hat Hals por­trä­tiert. Die­se Eli­te dien­te in der Ost-Indi­en-Com­pa­nie nur immer eini­ge Jah­re. Für die Erwirt­schaf­tung eines bis­her nie dage­we­se­nen Wohl­stan­des erhiel­ten sie gro­ße Aus­zeich­nun­gen. Fami­lie Hals, wohl­ha­ben­de Tuch­händ­ler, ver­ließ Ant­wer­pen und floh nach Haar­lem, wo Frans Hals lebens­lang blieb. Sei­ne Auf­trags­la­ge gestal­te­te sich für Jahr­zehn­te äußerst gün­stig. Den­noch blieb er, anders als sei­ne Auf­trag­ge­ber, ein durch und durch künst­le­ri­scher Mensch. Er kauf­te kein Haus, wohn­te immer zur Mie­te, im Alter, er erreicht 80 Jah­re, plag­ten ihn zuneh­mend Geld­sor­gen. Die Ver­schmel­zung der bur­gun­di­schen Mal­tra­di­ti­on, das flan­drisch-katho­li­sche Ele­ment, das im Hei­li­gen Römi­schen Reich wur­zelt, der Unab­hän­gig­keits­kampf Hol­lands gegen Spa­ni­en und die errun­ge­ne Frei­heit der Hol­län­di­schen Han­dels­stät­te, damit ver­bun­den der nie gese­he­ne mate­ri­el­le und gei­sti­ge Reich­tum, der Frans Hals umgab, hat wie in einem Schmelz­tie­gel den bis dahin größ­ten Bild­nis­ma­ler aus ihm geformt.

 Frans Hals. Mei­ster des Augen­blicks, bis 3. Novem­ber 2024, Son­der­aus­stel­lung der Gemäl­de­ga­le­rie-Staat­li­che Muse­en zu Ber­lin am Mat­thäi-Kirch­platz, Ein­tritt: 16/​8 €, Öff­nungs­zei­ten Di-So, 10-18 Uhr.