Dem Flamen Frans Hals ist in der Gemäldegalerie am Kemperplatz eine Ausstellung mit fast fünfzig Werken gewidmet. Der Maler wird hier als »einer der größten Porträtmaler aller Zeiten« vorgestellt. Fragen wir zweierlei: Wie kam es zu dieser Ausstellung? Und wie ist der Anspruch zu verstehen, in Hals einen der größten Porträtisten aller Zeiten zu sehen?
Erstens. Die Berliner Ausstellung ist sensationell, obwohl die Berliner Sammlung nur sieben Werke von ihm besitzt. Die meisten Bildnisse befinden sich im Haarlemer Frans-Hals-Museum, im Amsterdamer Rijksmuseum sowie verstreut in den Galerien der Welt. Das Oeuvre umfasst das gesamte Spektrum der Bildniskunst: Halb-, Ganzfiguren, Dreiviertelfiguren, Ehepaarbildnisse einzeln oder doppelt, meterlange ganzfigurige Schützenstücke in Festmahlstimmung, Tronien, das sind kleine Gelegenheitsarbeiten.
Porträts zeigen ernste, lachende, lächelnde, schmunzelnde Menschen, wesentlich ohne Attribute, festgehalten in einer Gemütsstimmung. Das ist das Neue im Bildnis. Genreszenen und Landschaftsdetails ließ sich Hals grundsätzlich von Fachkollegen gegen Honorar einfügen.
Hals ist dreißig Jahre lang nicht mehr mit einer Sonderausstellung ans Licht der interessierten Öffentlichkeit gerückt worden. Wieso die Neubewertung des Künstlers? Das kam so. Unmittelbar vorausgegangen waren Präsentationen von Peter Paul Rubens, Jan Vermeer van Delft und Rembrandt van Rijn. Frans Hals fehlte in der Reihe dieser Größten. Nun ist es zu einem kunsthistorischen Zusammenschluss von vier Museen gekommen.
Die große Show begann 2023 in der National Gallery London. Ihr kommt die eigentliche Neuentdeckung des Hals-Oeuvres zu. Denn sie erforderte den Mut, einen Künstler zu würdigen, der nur ein einziges Genre bedient, das Bildnis. Hals (1582-1664) ist die vier Jahrhunderte zuvor, in der barocken und klassizistischen Zeitströmung, altmodisch erschienen. Seine Bilder wurden auktioniert in alle Welt verstreut, Großformate passgerecht zerschnitten, Ehepaar-Bildnisse auseinandergerissen. Vielfigurige Schützenstücke hatten unbequeme Formate. Die holländische Malerei ist überhaupt erst Mitte 19. Jahrhundert museal wiederentdeckt und universitär inventarisiert worden.
Man kann außerdem erschrecken, wie auch bei diesem Künstler Enteignungen im NS-Regime zugegriffen haben. Und manches Museum musste heute noch Rückführungen eines Hals-Werkes in Privatbesitz hinnehmen.
Ebenso ist die Personage, dies teilweise bis heute, in Vergessenheit geraten. Doch, wenn wir nicht erfahren können, wer diese modisch gekleideten Menschen, die aus den Eliten der flämischen und holländischen Großhandels- und Geisteswelt herausragen, gewesen sind, erfahren wir nichts über ihre Zeit, verstehen sie nicht. An den Museumswänden bleiben die Figuren stumm. Warum sind in der Ausstellung dafür nicht wie in London Wandtexte zu finden? Im Katalog gibt es – nach alter Art – nur kunsthistorische Beiträge. Zu Themen wie Calvinismus, Ost-Indien-Companie, 80-jähriger Krieg wären Aufschlüsse nötig.
Auf London folgte das Rijksmuseum in Amsterdam bis Juni 2024. Das Frans-Hals-Museum verlieh, erstmalig in seiner Geschichte, große Schützenstücke, d.h. riesige Gruppenbilder. Nun ist die Präsentation in der Gemäldegalerie zu Berlin angelangt. In deutschen Museen, eingeschlossen Leipzig und Schwerin, befinden sich insgesamt neun Werke von Frans Hals. Nur zwei davon »Catharina Hooft mit Amme« 1619 und »Malle Babbe«, eine Verrückte mit der Eule auf ihrer Schulter, bereicherten die Vorgänger Ausstellungen.
Hals, einer der größten Bildnismaler? Worauf könnte sich diese Verabsolutierung als einem »der größten Porträtmaler aller Zeiten« beziehen? Denn das Bildnis ist ein junges Teilgebiet der Malerei. Es existiert erst seit Mitte des 14. Jahrhunderts, entstand in Burgund. Es ist überlagert von Hauptströmungen wie der Buch-, Landschafts-, Genre- und Historienmalerei.
Das wunderbare Ehepaar-Doppelbildnis »Isaak Abrahamsz Massa und Beatrix van der Laen« von 1622 ist so ein Fall. Massa fläzt sich auf den Waldboden, schräg ins Bild hinein. Mit Treueschwur und Männertreu verspricht er seiner jungen Frau die glücklichste Ehe. In französischer Mode, schwarzem Brokat, smarter Seide, elegant, zeigt sich einer der Bekanntesten aus der Haarlemer Kaufmannschaft. Sein Metier: Holzhandel mit Russland, Moskaureisen. Im Bildnis strahlt er Charme aus, auch in den späteren Varianten, zudem Intellektualität und Lässigkeit. Seine junge Frau behält ihr altmodisches spanisches Halskrausen Kleid.
Wie Hals gehörte auch Massa der kostenpflichtigen Haarlemer Rhetoriker-Vereinigung an, zu der nur Erfolgreiche Zugang hatten. Dort wird nach Art der artes liberales debattiert, werden Gedichte und Stücke, Veröffentlichungen der Humanisten vorgetragen. Verbreitet sind die Schriften des flandrischen Malers, Dichters und Theoretikers Karel van Mander. Ihm ging es um die Physiognomien-Lehre sowie die damals bei Gebildeten beliebte Emblematik. Van Mander beschrieb detailliert Varianten des Lachens. Wo durfte man wie lachen. Wann war Lachen absolut verpönt und nur Lächeln gestattet. Heute rätseln Kunsthistoriker endlos, weshalb diese Menschen um 1620 so viel zu lachen hatten. Oder was diese Gemütsausbrüche bedeuten könnten. Sie haben Karel van Mander nicht gelesen. Stattdessen wird bei jedem Porträt rauf und runter die immer wildere Pinselführung von Frans Hals beschrieben. Aus dieser Sicht erhält der Maler dann das Prädikat, um 1630 der vorausgreifende Erfinder des Impressionismus im 19. Jh. gewesen zu sein. Der Beweis zu dieser These wird am Ende der Ausstellung in einem rezeptionsgeschichtlichen Ausblick geliefert: Hals-Kopien von Impressionisten; kopieren war damals eine übliche Ausbildungsform.
Weshalb interessierte sich Frans Hals aber nun so nachdrücklich für Großporträts und die theatral arrangierten ganzfigurigen prachtvollen Gruppenarrangements in den Schützenstücken, den Altmännerhausvorstehern? Obwohl dieses Genre in Holland traditionslos ist. Hier wird eine ausgeprägte kleinfigurige Genremalerei nach Art Pieter Breughels gepflegt. In der kunsthistorischen Literatur werden holländische und flämische Malerei allgemein zur niederländischen Kunst zusammengefasst, demzufolge sind flämische und holländische Malerei kaum zu unterschieden.
Hals kam aus der hohen Schule des ehemaligen Burgund, wo seit Anfang des 14. Jh‘s., schon 300 Jahre vor ihm, eine Ölmalerei entstanden war, die im damaligen Europa zu höchster Blüte gelangte. Noch in seiner flämischen Heimat nahm Hals bei Karel van Mander diese burgundische Tradition an. Als Philipp II. den 80jährigen Krieg, guerra de Flandres, in den südlichen Niederlanden, auch in Antwerpen, eröffnete, flohen viele patrizische Kaufleute nach Holland. Der Freiheitskampf in den nördlichen Provinzen hatte viele Aspekte, u.a. ging es um das Streben nach Handelsfreiheit. Die patrizische Kaufmannschaft aus dem katholischen Flandern konnte in den calvinistischen holländischen Handelsstädten unerhörte Vermögen erwerben. Herausragende Vertreter des Leinen-, Baumwoll-, Gewürz-, Diamanten- und Pottasche-Handels, aber auch des Sklavenhandels hat Hals porträtiert. Diese Elite diente in der Ost-Indien-Companie nur immer einige Jahre. Für die Erwirtschaftung eines bisher nie dagewesenen Wohlstandes erhielten sie große Auszeichnungen. Familie Hals, wohlhabende Tuchhändler, verließ Antwerpen und floh nach Haarlem, wo Frans Hals lebenslang blieb. Seine Auftragslage gestaltete sich für Jahrzehnte äußerst günstig. Dennoch blieb er, anders als seine Auftraggeber, ein durch und durch künstlerischer Mensch. Er kaufte kein Haus, wohnte immer zur Miete, im Alter, er erreicht 80 Jahre, plagten ihn zunehmend Geldsorgen. Die Verschmelzung der burgundischen Maltradition, das flandrisch-katholische Element, das im Heiligen Römischen Reich wurzelt, der Unabhängigkeitskampf Hollands gegen Spanien und die errungene Freiheit der Holländischen Handelsstätte, damit verbunden der nie gesehene materielle und geistige Reichtum, der Frans Hals umgab, hat wie in einem Schmelztiegel den bis dahin größten Bildnismaler aus ihm geformt.
Frans Hals. Meister des Augenblicks, bis 3. November 2024, Sonderausstellung der Gemäldegalerie-Staatliche Museen zu Berlin am Matthäi-Kirchplatz, Eintritt: 16/8 €, Öffnungszeiten Di-So, 10-18 Uhr.