Richard Schuberth hat ein ausgezeichnetes Buch über Karl Kraus geschrieben. Das veranlasste mich dazu, ein weiteres Buch von ihm zu kaufen: Rückkehr des Dschungels. Essays und andere Texte 2017-2023. Nun überlege ich, ob das eine gute Idee war. Um es gleich zu sagen: Wächst man an dem einen Gegenstand, kann an einem anderen das Gegenteil eintreten …
Dem Dschungel, den Schuberth zu lichten sich anstrengt, verpasst er viele und mitunter treffliche Schläge, v. a. seinem Blatt- bzw. Blendwerk (z. B. dem inzwischen in der Versenkung verschwundenen österreichischen Bundeskanzler Kurz oder anderen Größen der lokalen Politik und Prominenz). Da stellt sich gleich die Frage, ob der eine oder andere nicht besser vergessen wäre. Oder sind die recycelten Texte es wert, in neuer Umgebung (Buch) ein zweites Leben zu beginnen? Daran ist gelegentlich Zweifel angebracht. Als braver, radikaler Linker, der ganz knapp im Rahmen des in einer Feierstunde Erlaubten verbleibt, war er selbstverständlich für die Corona-Maßnahmen: »Welche Varianten der Virenbekämpfung (2020) man auch immer favorisieren mag – freier Verkehr der Viren à la Great Britain, schwedischer Altenmord mit Verantwortung oder eben Lockdown –, ist eine Frage der Risikoabwägung.«
Selbstverständlich ist er so originell, das Richtige mit der falschen Begründung zu erkennen. Denn immerhin, das unterscheidet ihn von dümmeren Linken, übersieht er die sozialen und wirtschaftlichen Schäden nicht, die, wären die Risiken abgewogen worden, womöglich sein Urteil früher schon geändert hätten; denn man lebt & stirbt nicht nur am Virus … Aber nun, da es zu spät ist, diese Fußnote. »Dieses indirekte Lob (der Maßnahmen) muss ich aus heutiger Sicht zurückziehen.« Soll man es ehrlich oder eitel nennen, alte Fehler aufzuwärmen und das Maß der Selbstkritik in einer Fußnote zu konzentrieren? Oder steht die für mehr?
Schuberth teilt gerne ein und aus. Das bündelt sich dann in Sätzen wie: »Ein bisschen Wille zur Macht, Narzissmus und das völlige Fehlen von Gesinnung und Hautunreinheiten sind das Geheimnis des politischen Erfolgs (2020 in Österreich von Sebastian Kurz und Co.), das Traditionslinke mit ihrer Fixierung auf Sachfragen und ihrer idealistischen Missachtung der Manipulierbarkeit der Massen noch immer nicht verstehen.« Das Fixieren auf Hautunreinheiten kann man der Traditionslinken, wer immer das sein mag, hoffentlich nicht vorwerfen, aber, da wird die Tradition dogmatisch: »Dogmatische Linke, für die der Faschismus ohnehin nicht mehr als der Wurmfortsatz des Finanzkapitalismus bedeutete…«. Wurmfortsatz ist ein bisschen lustig, soll das einen Richard Sorge, August Thalheimer (um nur zwei Autoren zu nennen) und wen noch treffen? Oder deren Epigonen?
Nun, er kommt bei seiner Faschismus-Analyse bisher ohne die des Großkapitals aus, dafür möchte er die Linke auf andere Wege schicken: »Linke, die sich wegen ihrer Romantisierung der Unterdrückten vor der Analyse von Kultur- und Bewusstseinsindustrie, vor der ungustiösen Methodik der Entpolitisierung gedrückt haben, verstehen immer noch nicht, dass der Kampf um Stimmen und Seelen über Emotionen und Selbsttäuschungen und nicht über politische Wahrheiten gewonnen wird.« Nun sind wir bei seinem Werkzeugkasten angelangt. Freilich, Adorno hätte sich gegen diese Bezeichnung zu Recht gewehrt, fragt man sich doch: Ist man in der Sache oder daneben, oder in unserem Falle darüber?
Die »Werkzeuge« der kritischen Theorie und ihrer Ergebnisse haben tatsächlich etwas Staub angesetzt, manches Eisen rostet… Aber nun beende ich vorsichtshalber diese Metapher, da mein Werkzeugkasten im Keller verrottet. Es sollte aber ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem bürgerlichen Staat konserviert werden, das auch verhindert hätte, auf seine neuen Manöver hereinzufallen. Wobei im bürgerlichen Staat, den ich aus Tradition so nenne, nicht viel »Bürgerliches« mehr zu erkennen ist, sondern nur noch Kriegs-Dividende (und ein Imperialismus aus der zweiten Reihe) auf Teufel komm raus. Aber das weiß der Autor sehr gut, dass es mit der Demokratie nicht mehr weit her ist.
Wie kann jemand, der sonst klar sieht, bei einem neuen Feld so versagen und sich nun eine Mischung aus Lenin und Helene Fischer wünschen? Ich wäre schon mit etwas mehr Rosa Luxemburg zufrieden.
PS: »Die Amerikaner beobachteten den Krieg (Golfkrieg 1991) im Fernsehen in der relativ unbestrittenen Gewissheit, dass sie die Realität wahrnähmen, während das, was sie wahrnehmen, der am meisten verdeckte Krieg der Geschichte war, über den am wenigsten berichtet wurde. Die Bilder und Druckschriften wurden von der Regierung kontrolliert, und die größten amerikanischen Mediengesellschaften kopierten einander und wurden wiederum selbst kopiert (wie CNN). Die Schäden und Verheerungen, die dem Feind zugefügt wurden, fanden keine nennenswerte Beachtung.« (Edward W. Said: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, S. Fischer 1994). Ist das nun veraltet?
Richard Schuberth: Rückkehr des Dschungels: Essays und andere Texte 2017-2023, Drava Verlag 2023, 200 S., 24,90 €.