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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Frankfurter Schule als Konfektionsware

Richard Schu­berth hat ein aus­ge­zeich­ne­tes Buch über Karl Kraus geschrie­ben. Das ver­an­lass­te mich dazu, ein wei­te­res Buch von ihm zu kau­fen: Rück­kehr des Dschun­gels. Essays und ande­re Tex­te 2017-2023. Nun über­le­ge ich, ob das eine gute Idee war. Um es gleich zu sagen: Wächst man an dem einen Gegen­stand, kann an einem ande­ren das Gegen­teil eintreten …

Dem Dschun­gel, den Schu­berth zu lich­ten sich anstrengt, ver­passt er vie­le und mit­un­ter treff­li­che Schlä­ge, v. a. sei­nem Blatt- bzw. Blend­werk (z. B. dem inzwi­schen in der Ver­sen­kung ver­schwun­de­nen öster­rei­chi­schen Bun­des­kanz­ler Kurz oder ande­ren Grö­ßen der loka­len Poli­tik und Pro­mi­nenz). Da stellt sich gleich die Fra­ge, ob der eine oder ande­re nicht bes­ser ver­ges­sen wäre. Oder sind die recy­cel­ten Tex­te es wert, in neu­er Umge­bung (Buch) ein zwei­tes Leben zu begin­nen? Dar­an ist gele­gent­lich Zwei­fel ange­bracht. Als bra­ver, radi­ka­ler Lin­ker, der ganz knapp im Rah­men des in einer Fei­er­stun­de Erlaub­ten ver­bleibt, war er selbst­ver­ständ­lich für die Coro­na-Maß­nah­men: »Wel­che Vari­an­ten der Viren­be­kämp­fung (2020) man auch immer favo­ri­sie­ren mag – frei­er Ver­kehr der Viren à la Gre­at Bri­tain, schwe­di­scher Alten­mord mit Ver­ant­wor­tung oder eben Lock­down –, ist eine Fra­ge der Risikoabwägung.«

Selbst­ver­ständ­lich ist er so ori­gi­nell, das Rich­ti­ge mit der fal­schen Begrün­dung zu erken­nen. Denn immer­hin, das unter­schei­det ihn von düm­me­ren Lin­ken, über­sieht er die sozia­len und wirt­schaft­li­chen Schä­den nicht, die, wären die Risi­ken abge­wo­gen wor­den, womög­lich sein Urteil frü­her schon geän­dert hät­ten; denn man lebt & stirbt nicht nur am Virus … Aber nun, da es zu spät ist, die­se Fuß­no­te. »Die­ses indi­rek­te Lob (der Maß­nah­men) muss ich aus heu­ti­ger Sicht zurück­zie­hen.« Soll man es ehr­lich oder eitel nen­nen, alte Feh­ler auf­zu­wär­men und das Maß der Selbst­kri­tik in einer Fuß­no­te zu kon­zen­trie­ren? Oder steht die für mehr?

Schu­berth teilt ger­ne ein und aus. Das bün­delt sich dann in Sät­zen wie: »Ein biss­chen Wil­le zur Macht, Nar­ziss­mus und das völ­li­ge Feh­len von Gesin­nung und Haut­un­rein­hei­ten sind das Geheim­nis des poli­ti­schen Erfolgs (2020 in Öster­reich von Seba­sti­an Kurz und Co.), das Tra­di­ti­ons­lin­ke mit ihrer Fixie­rung auf Sach­fra­gen und ihrer idea­li­sti­schen Miss­ach­tung der Mani­pu­lier­bar­keit der Mas­sen noch immer nicht ver­ste­hen.« Das Fixie­ren auf Haut­un­rein­hei­ten kann man der Tra­di­ti­ons­lin­ken, wer immer das sein mag, hof­fent­lich nicht vor­wer­fen, aber, da wird die Tra­di­ti­on dog­ma­tisch: »Dog­ma­ti­sche Lin­ke, für die der Faschis­mus ohne­hin nicht mehr als der Wurm­fort­satz des Finanz­ka­pi­ta­lis­mus bedeu­te­te…«. Wurm­fort­satz ist ein biss­chen lustig, soll das einen Richard Sor­ge, August Thal­hei­mer (um nur zwei Autoren zu nen­nen) und wen noch tref­fen? Oder deren Epigonen?

Nun, er kommt bei sei­ner Faschis­mus-Ana­ly­se bis­her ohne die des Groß­ka­pi­tals aus, dafür möch­te er die Lin­ke auf ande­re Wege schicken: »Lin­ke, die sich wegen ihrer Roman­ti­sie­rung der Unter­drück­ten vor der Ana­ly­se von Kul­tur- und Bewusst­seins­in­du­strie, vor der ungu­stiö­sen Metho­dik der Ent­po­li­ti­sie­rung gedrückt haben, ver­ste­hen immer noch nicht, dass der Kampf um Stim­men und See­len über Emo­tio­nen und Selbst­täu­schun­gen und nicht über poli­ti­sche Wahr­hei­ten gewon­nen wird.« Nun sind wir bei sei­nem Werk­zeug­ka­sten ange­langt. Frei­lich, Ador­no hät­te sich gegen die­se Bezeich­nung zu Recht gewehrt, fragt man sich doch: Ist man in der Sache oder dane­ben, oder in unse­rem Fal­le darüber?

Die »Werk­zeu­ge« der kri­ti­schen Theo­rie und ihrer Ergeb­nis­se haben tat­säch­lich etwas Staub ange­setzt, man­ches Eisen rostet… Aber nun been­de ich vor­sichts­hal­ber die­se Meta­pher, da mein Werk­zeug­ka­sten im Kel­ler ver­rot­tet. Es soll­te aber ein grund­sätz­li­ches Miss­trau­en gegen­über dem bür­ger­li­chen Staat kon­ser­viert wer­den, das auch ver­hin­dert hät­te, auf sei­ne neu­en Manö­ver her­ein­zu­fal­len. Wobei im bür­ger­li­chen Staat, den ich aus Tra­di­ti­on so nen­ne, nicht viel »Bür­ger­li­ches« mehr zu erken­nen ist, son­dern nur noch Kriegs-Divi­den­de (und ein Impe­ria­lis­mus aus der zwei­ten Rei­he) auf Teu­fel komm raus. Aber das weiß der Autor sehr gut, dass es mit der Demo­kra­tie nicht mehr weit her ist.

Wie kann jemand, der sonst klar sieht, bei einem neu­en Feld so ver­sa­gen und sich nun eine Mischung aus Lenin und Hele­ne Fischer wün­schen? Ich wäre schon mit etwas mehr Rosa Luxem­burg zufrieden.

 PS: »Die Ame­ri­ka­ner beob­ach­te­ten den Krieg (Golf­krieg 1991) im Fern­se­hen in der rela­tiv unbe­strit­te­nen Gewiss­heit, dass sie die Rea­li­tät wahr­näh­men, wäh­rend das, was sie wahr­neh­men, der am mei­sten ver­deck­te Krieg der Geschich­te war, über den am wenig­sten berich­tet wur­de. Die Bil­der und Druck­schrif­ten wur­den von der Regie­rung kon­trol­liert, und die größ­ten ame­ri­ka­ni­schen Medi­en­ge­sell­schaf­ten kopier­ten ein­an­der und wur­den wie­der­um selbst kopiert (wie CNN). Die Schä­den und Ver­hee­run­gen, die dem Feind zuge­fügt wur­den, fan­den kei­ne nen­nens­wer­te Beach­tung.« (Edward W. Said: Kul­tur und Impe­ria­lis­mus. Ein­bil­dungs­kraft und Poli­tik im Zeit­al­ter der Macht, S. Fischer 1994). Ist das nun veraltet?

Richard Schu­berth: Rück­kehr des Dschun­gels: Essays und ande­re Tex­te 2017-2023, Dra­va Ver­lag 2023, 200 S., 24,90 €.