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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Fragil. Verwundbar. Zerstörbar.

Schon in sei­nem Best­stel­ler Deutsch­land 1923: Das Jahr am Abgrund hat­te sich der Histo­ri­ker Vol­ker Ull­rich davon über­zeugt gezeigt, dass der Unter­gang der Wei­ma­rer Repu­blik kei­nes­wegs zwangs­läu­fig war: »Sie hat­te 1923 eine erstaun­li­che Über­le­bens­fä­hig­keit bewie­sen, und sie hät­te viel­leicht auch die noch schwe­re­ren Jah­re von 1930 bis 1932 über­ste­hen kön­nen, wenn an ihrer Spit­ze ein Mann wie Ebert gestan­den hät­te, der ent­schlos­sen gewe­sen wäre, die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie mit allen Mit­teln zu verteidigen.«

Fried­rich Ebert war Reichs­prä­si­dent von 1919 bis zu sei­nem Tode am 28. Febru­ar 1925. Er wur­de nur 54 Jah­re alt. Die vor 1918 regie­ren­den Eli­ten hat­ten es nicht ver­win­den kön­nen, schreibt Ull­rich in sei­nem neu­en Buch Schick­sals­stun­den einer Demo­kra­tie, dass »ein Mann von beschei­de­ner Her­kunft – ein gelern­ter Satt­ler und Sozi­al­de­mo­krat – nun­mehr das höch­ste Amt im Staat beklei­de­te«. So spie­gel­te sich in den Nach­ru­fen »die schar­fe Pola­ri­sie­rung zwi­schen den Geg­nern und den Ver­tei­di­gern der Demo­kra­tie von Wei­mar«. Nach einem Wahl­kampf, der »mit einer Lei­den­schaft geführt wur­de, wie sie die Repu­blik bis­lang noch nicht erlebt hat­te«, sieg­te der Kan­di­dat des deutsch­na­tio­na­li­sti­schen Reichs­blocks, der 77-jäh­ri­ge Pen­sio­när Gene­ral­feld­mar­schall Paul von Hindenburg.

Ull­rich: »Hin­den­burgs Wahl zum Reichs­prä­si­den­ten stell­te zwei­fel­los einen Ein­schnitt in der Geschich­te der Wei­ma­rer Repu­blik dar. Für die vor­de­mo­kra­ti­schen Herr­schafts­eli­ten im ost­elbi­schen Groß­grund­be­sitz und der Reichs­wehr war es von gro­ßer Bedeu­tung, fort­an wie­der einen Mann an der Spit­ze des Staa­tes zu wis­sen, über den sie einen direk­ten Zugang zur Macht hatten.«

Jetzt räch­ten sich poli­ti­sche und tak­ti­sche Feh­ler sowie Nach­läs­sig­kei­ten frü­he­rer Jah­re im Umgang mit Geg­nern und Fein­den der jun­gen Demo­kra­tie, und so nahm »das auf­halt­sa­me Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik«, wie der Unter­ti­tel des Buches lau­tet, sei­nen Lauf, auch weil sich SPD, USPD und KPD unver­söhn­lich gegenüberstanden.

Ull­rich beginnt sei­ne Dar­stel­lung der dama­li­gen Gemenge­la­ge mit dem »Zau­ber des Anfangs«, der Revo­lu­ti­on von 1918/​19, deren Errun­gen­schaf­ten er benennt: den System­wech­sel von der Mon­ar­chie zur Repu­blik, die Eta­blie­rung einer demo­kra­tisch ver­fass­ten Staats­ord­nung, die Garan­tie der Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit, die Auf­he­bung der Zen­sur und der Gesin­de­ord­nung, das all­ge­mei­ne Wahl­recht auch für Frau­en und den Achtstundentag.

Zu den Ver­säum­nis­sen, die dann zum spä­te­ren Schei­tern Wei­mars mit bei­tru­gen, zitiert Ull­rich zustim­mend den dama­li­gen USPD-Volks­be­auf­trag­ten Wil­helm Ditt­mann. Die­ser bezeich­ne­te in sei­nen nach 1933 im Exil geschrie­be­nen Erin­ne­run­gen den Novem­ber 1918 als »uner­hört gün­sti­gen geschicht­li­chen Augen­blick«, in dem es mög­lich gewe­sen wäre, »mit einem gewal­ti­gen Ruck die poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che und sozia­le Ent­wick­lung vor­an­zu­sto­ßen«. Zum Bei­spiel durch die Sozia­li­sie­rung des Stein­koh­le­berg­baus, eine Agrar­re­form in Ostel­bi­en, die Ent­las­sung von kai­ser­li­chen Spit­zen­be­am­ten, eine Demo­kra­ti­sie­rung der Ver­wal­tung und den Auf­bau einer repu­blik­treu­en Trup­pe. Doch es fehl­te der Gestal­tungs­wil­le, »vor allem bei den Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­ten, deren erste Sor­ge der demo­kra­ti­schen Legi­ti­mie­rung der neu­en Ver­hält­nis­se galt« (Ull­rich), nicht aber gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen hin zu einem soli­den und trag­fä­hi­gen Fun­da­ment der neu­en Republik.

Sol­che Wei­chen­stel­lun­gen wur­den in den näch­sten Jah­ren zuneh­mend schwie­ri­ger, auch weil »vie­le Fein­de der Demo­kra­tie in Macht­stel­lun­gen saßen, von denen aus sie zum Gegen­an­griff auf die neue Ord­nung über­ge­hen konn­ten«. Zudem war es nicht gelun­gen, »eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung dau­er­haft für die neue Staats­ord­nung zu gewinnen«.

Sta­tio­nen der Her­aus­for­de­rung der Demo­kra­tie und ihres Nie­der­gangs – Ull­rich beschreibt sie Kapi­tel für Kapi­tel – waren: der Kapp-Lütt­witz-Putsch (1920), »der zu einem Rechts­ruck im Bür­ger­tum und einem Links­ruck in der Arbei­ter­schaft führ­te«; der Mord an Reichs­au­ßen­mi­ni­ster Wal­ter Rathen­au (1922): die Mör­der wur­den bestraft, wäh­rend die Hin­ter­män­ner unbe­hel­ligt blie­ben; die Ruhr­be­set­zung und die Hyper­in­fla­ti­on (1923); der Tod Eberts und die Wahl Hin­den­burgs (1925); der Bruch der letz­ten gro­ßen Koali­ti­on unter dem sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­kanz­ler Her­mann Mül­ler (1930) – die­ses Kapi­tel soll­te den momen­ta­nen »Ampel«-Koalitionären zur Pflicht­lek­tü­re auf­ge­ge­ben wer­den –; die Ernen­nung des Hit­ler-Gefolgs­manns Wil­helm Frick als Innen- und Volks­bil­dungs­mi­ni­ster in Thü­rin­gen (1930). Die bei­den letz­ten Weg­mar­ken des Nie­der­gangs der Demo­kra­tie sind der Sturz des Reichs­kanz­lers Hein­rich Brü­ning (1932) und die Ent­mach­tung der SPD-geführ­ten Regie­rung des Frei­staats Preu­ßen (1932) durch den Reichs­kanz­ler Franz von Papen. Der näch­ste Reichs­kanz­ler hieß Adolf Hitler.

»Demo­kra­tien sind fra­gil. Sie kön­nen in eine Dik­ta­tur umschla­gen. Frei­hei­ten, die fest errun­gen schei­nen, kön­nen ver­spielt wer­den«, resü­miert Ull­rich. Die Demo­kra­tie ste­he welt­weit unter Druck, von außen wie von innen. Die Sor­ge um die Demo­kra­tie sei zum Kenn­zei­chen einer neu­en histo­ri­schen Ära geworden.

Wei­mars Schick­sal zeigt, dass in poli­tisch auf­ge­heiz­ter Stim­mung gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt unver­zicht­bar ist. An die­sem man­gel­te es in der Wei­ma­rer Repu­blik. An die­sem man­gelt es auch heu­te. Und so ist Ull­richs Buch über die Gescheh­nis­se vor einem Jahr­hun­dert von gro­ßer Aktua­li­tät, denn: »Das Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik bleibt ein Lehr­stück, wie zer­brech­lich eine Demo­kra­tie ist und wie rasch die Frei­heit ver­spielt wer­den kann, wenn die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen ver­sa­gen und die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Kräf­te zu schwach sind, um den Ver­äch­tern der Demo­kra­tie Ein­halt zu bie­ten. Wir haben es in der Hand, ob unse­re Demo­kra­tie schei­tert oder über­lebt. Das deut­lich zu machen, ist das eigent­li­che Ziel die­ses Buches.«

 Vol­ker Ull­rich: Schick­sals­stun­den einer Demo­kra­tie – Das auf­halt­sa­me Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik, C.H.Beck, Mün­chen 2024, 382 S., 26 €. Sie­he auch Ossietzky 4/​2023, »Demo­kra­tie braucht Demo­kra­ten« von Klaus Nilius.