Warum Fußball, dieses im Grunde simple Spiel, bei dem – im Falle der aktuellen EM sind es 22 Männer – einer Lederkugel nachrennen, um möglichst viele Tore zu erzielen, alle so begeistert, darüber zerbrechen sich seit Generationen schlaue Menschen den Kopf. Plausible Erklärungen sind nicht bekannt.
Nur so viel ist sicher: Alles, was in unseren Seelen so heftig brodelt, darf hier nach Herzenslust ausgelebt werden. Wut und Kampf, Frust und Freude, Trauer und Euphorie, Unglück und Glückseligkeit – nirgendwo liegen sie so nah beieinander wie im Fußball. Manchmal entscheidet über das Wohl und Wehe ein läppischer Fehlpass, ein grandioser Eckball. »Flach spielen, hoch gewinnen«, so brachte es der große deutsche Volksphilosoph Sepp Herberger dereinst auf den Punkt. Ein weiser Spruch, der nicht allein für den grünen Rasen gilt, sondern auch als Metapher fürs Leben taugt – und das findet nun mal in der Regel nicht in der Loge, sondern auf der Stehtribüne statt.
Jetzt ist es also wieder so weit: Anstoß zur Fußball-Europameisterschaft. Sportive Berufsoptimisten verkünden auch diesmal spektakuläre Tore, großartige Spiele, sensationelle Stimmung (trotz mager gefüllter Tribünen). Fußball ist eine generationsübergreifende Longtime-Soap. Millionen sind dabei, fiebern mit. Zweimal fünfundvierzig Minuten lassen vieles vergessen: Corona-Desaster, Klima-Alptraum, Flüchtlings-Elend, Politik-Stagnation. Flanke, Kopfball, Toooor!
Vergessen und verdrängt sind gierige Funktionäre, mafiöse Strukturen und Big Business.
Fußball ist ein wunderbarer Mythos. Einer, der funktioniert, wo Politik versagt. Es ist die Rache des Publikums an der Demokratie. Was es dort aushalten muss, kann es hier ausleben. Brot und Spiele. Und jetzt – Anpfiff!