Bereits einige Zeit, bevor die derzeitige Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 die kontrollierte Abgabe von Cannabis als eines der Umsetzungsziele in der Legislaturperiode vereinbarte, war die Thematik im Gespräch.
Nunmehr am 16. August 2023 hat das Kabinett den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes beschlossen. Der Entwurf sieht vor, dass der Besitz von maximal 25 g Cannabis ab einem Alter von 18 Jahren zum Zweck des Eigenkonsums grundsätzlich straffrei bleiben soll und auch der Anbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen keine strafrechtlichen Folgen mehr nach sich zieht. Das Gesetzgebungsvorhaben wird nunmehr durch den Deutschen Bundestag zu behandeln sein. Die Haltung zu dem Entwurf ist unter den Abgeordneten wohl unterschiedlich. Dennoch scheint das Gesetz gute Aussichten zu haben, beschlossen zu werden.
Wie gehen Staatsanwaltschaften und Gerichte mit einer solchen zu erwartenden Gesetzesänderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt um? Wird nach wie vor der Besitz von weniger als 25 g Haschisch strafrechtlich verfolgt, zur Anklage gebracht und abgeurteilt? Zumindest in Thüringen ist gegenwärtig zu beobachten, dass die Vorgehensweisen dadurch scheinbar nicht beeinflusst werden.
Als ich unlängst einen Mann mittleren Alters verteidigte, der wegen des Besitzes von etwa 3 g Haschisch kriminalisiert werden sollte, weckte dies eher meinen Unmut. Formell kann man sicher damit argumentieren, dass das Betäubungsmittelgesetz in der jetzigen Fassung weiterhin gilt bis der Gesetzgeber eine Änderung vorgenommen hat. Ist das aber lebenstauglich und vernünftig? Ich war da anderer Meinung und beantragte nach Eröffnung der Hauptverhandlung, dass das Verfahren bis zur Entscheidung über den vorliegenden Gesetzesentwurf ausgesetzt werden sollte. Es erschien mir ein vernünftiger Kompromiss, der das Verfahren nicht vor einer Gesetzesveränderung zum Abschluss bringt, aber dem Betroffenen voraussichtlich erspart, dass er noch zu den letzten Verurteilten wegen des Besitzes einer geringen Menge Haschisch gehört. Und wenn wider Erwarten der Gesetzentwurf nicht Gesetzeskraft erhalten sollte, könnte das Verfahren sofort wieder aufgegriffen und fortgesetzt werden. Das Gericht war anderer Meinung mit Blick darauf, dass man nicht genau sagen könne, wann der Bundestag das Gesetz beschließt und es im Übrigen dann wohl auch nicht rückwirkend gelte. Dem war entgegenzuhalten, dass das Rückwirkungsverbot sich nur auf eine Verschlechterung bezieht, nicht aber auf für den Betroffenen günstigere Regelungen. Nach einer Gesetzesänderung wird man also nicht Handlungen noch bestrafen können, die vor Inkrafttreten derselben begangen worden sind.
Das wäre im Übrigen in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik nichts Neues. Als 1968 die Liberalisierung des politischen Strafrechts umgesetzt wurde, sind Menschen, die unter anderem nach dem Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht von 1956 strafrechtlich verfolgt worden waren, nicht mehr vor den Richter gestellt worden. Auch als sich Jahre später die Entkriminalisierung von Homosexualität abzeichnete, hielten sich die Strafverfolgungsbehörden mit Blick auf die zu erwartende Gesetzgebung zurück. Es spricht also beim besten Willen alles dafür, es momentan ebenso zu handhaben und nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass bis zur letzten Minute alter Gesetzeslage noch verfolgt wird.
Der Rechtsstaat zeichnet sich auch dadurch aus, dass er auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert und die Bewertungen sich ändern können. In der »Hauptstadt des Rechts«, Karlsruhe, sind im Straßenbild Tafeln angebracht, die auf diese Umstände verweisen. Auf einem ist zu lesen: »Das Recht passt sich dem Leben an. (…) Was heute als rechtens empfunden wird, können unsere Kinder als Unrecht begreifen.« Auf einem anderen steht: »Unrecht ist alles, was der Gesellschaft schadet, was sie behindert, was ich selbst anderen antue: materieller Schaden ebenso wie seelische Grausamkeit oder körperliche Brutalität.« Von alledem kann hier wohl keine Rede sein.