»Digitalisierung first – Bedenken second« war ein Wahlkampfslogan der FDP. Ein Beratungsunternehmen wirbt beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit dem Spruch: »KI – die Zukunft ist menschlich«. Vor diesen Hintergrund verwundern Meldungen, wie schwer sich Manager mit der Datenflut durch neue Technik tun. Mehr Daten, leichtere Auswertungen dieser Daten durch Software und KI – was nach einer Erleichterung der Arbeit für das Management klingt, sorge in der Praxis für »Zweifel und Ängste wegen Datenflut«, berichtet der Unternehmensberater Bernard Marr von einer repräsentativen Befragung.
85 Prozent der Befragten hatten mit »Entscheidungslähmung« zu kämpfen, weil sie Entscheidungen bereuen, die sie im vergangenen Jahr getroffen haben, so das Ergebnis einer Befragung.
Verwunderlich ist dies vor allem, da das Management die Datenerfassung in den Arbeitsprozessen vorantreibt. In vielen Betrieben sind technisch-organisatorische Veränderungen im Gange, die seit Langem aus Callcentern bekannt sind. Die Technik ermöglicht es, die Beschäftigten ständig zu überwachen, zu bewerten und zu steuern. Die gleichen Erfahrungen machen Belegschaften in anderen Unternehmen: in Verkaufs- und Serviceabteilungen, im stationären Einzelhandel, in Versicherungen oder etwa Banken.
Die neue Technik wird zur Steuerung folgendermaßen genutzt. Zum Beispiel zur automatisierten Arbeitsverteilung: In Bereichen mit Kundenkontakt haben die Arbeitende keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung, welche Arbeitsvorgänge sie übernehmen. Stattdessen wird die eingehende Arbeit automatisiert durch Workflowsysteme in persönliche Arbeitskörbe verteilt und gesteuert.
Über sogenanntes »Monitoring« werden Beschäftigte sowie Kunden ausgespäht, jeder Kundenkontakt dokumentiert, durch das Kundenbeziehungsmanagement nachverfolgt und ausgewertet. Die Daten sollen dann auch zur Rationalisierung genutzt werden, zur »Geschäftsprozessoptimierung«: Ein Geschäftsprozess beginnt mit der Kundenanfrage und reicht bis zur Feststellung der Kundenzufriedenheit. Gemessen werden etwa die Bearbeitungsdauer, Gesprächsdauer, Wartezeiten, Antwortzeiten. Auf dieser Basis werden Abläufe standardisiert und durch Zeitvorgaben kontrolliert.
Das nun von »Entscheidungslähmung« des Managements gesprochen wird, bestätigt die Bedenken vieler Beschäftigter und Gewerkschafter, die immer wieder argumentiert haben: Die Dauer von Kunden-Gesprächen sagt nichts über die Qualität, den Service für den Kunden aus. Die Konsequenz der Studie ist aber nicht, die Praxis des »gläsernen Arbeiters« aufzugeben. Stattdessen soll KI die Lösung sein, wenn es um die Sorgen des Managements geht:
»Was sie wirklich sagen, ist: Hilf mir«, sagt James Richardson, führender Kopf bei Oracle: »Offensichtlich haben wir Menschen nur begrenzte Möglichkeiten, mit Daten umzugehen, warum also nicht Maschinen einsetzen?«
Eine ähnliche Technik-Euphorie herrschte auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos. NGOs kritisieren zwar das Treffen. »Die reichsten Milliardäre und die größten Unternehmen der Welt nutzen ihre Macht aus, um Verbraucher:innen, Arbeitnehmer:innen und Bürger:innen abzuzocken und kleinere Unternehmen unter Preisdruck zu setzen«, erklärt Lobbycontrol. 14 der 20 größten Unternehmen sind »Partner des Weltwirtschaftsforums«, das sich nach eigenen Angaben dafür einsetzt, »den Zustand der Welt zu verbessern«. Sie sponsern die Veranstaltung und bestimmen, worüber in Davos debattiert wird. »Diese Raubritter haben unsere Demokratie unterwandert und entscheiden über die Lebensmittel, die wir essen, die Medikamente, die wir verwenden, und die Informationen, die wir erhalten«, kritisiert Nick Dearden, Direktor der britischen NGO »Global Justice Now«.
Laut Umfragen haben erst 10 Prozent der Unternehmen eine ausgereifte KI-Strategie. Das möchten Unternehmensberatungen für die eigenen Profite nutzen. »Das ist die perfekte Ausgangslage für all jene, die Beratung und Dienstleistungen verkaufen«, meldet die Neue Zürcher Zeitung aus Davos: »Die auf Technologiethemen spezialisierte Beratungsfirma Accenture schleust am WEF 130 Topmanager durch 13 verschiedene Workshops.«
Keinen Grund zur KI-Euphorie sieht dagegen Kenneth Rogoff, Harvard-Ökonom »Wir sind nicht bereit für die Technologie«, sagt er in Davos. »Wir haben weder den rechtlichen Rahmen noch die gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen, um damit umzugehen.«