Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, wird es zu einer Art Trost, dass die Freunde um einen herum auch nicht jünger werden. Und das ermutigt einen dazu, ihnen zu ihrer bisherigen und zu der noch zu erwartenden Lebensleistung dankbar und hoffnungsschwanger zu gratulieren.
Gern mache ich das bei Philipp Heinisch, der behauptet, am 28. März das 75. Lebensjahr hinter sich gebracht zu haben. Das Besondere daran: Er hat in dieser knappen Zeitspanne bereits zwei Leben bewältigt, und man kann sicher sein: Ihm und uns steht noch allerhand bevor. Die Vokabel »allerhand« ist übrigens nicht zufällig gewählt.
Geboren wurde er im Jahre 1945 in Coburg. Sein Vater war ein von den Nazis beargwöhnter Maler, und das väterliche Talent hat sich auch auf den Sohn übertragen. Da das jedoch keine Sicherheit für das Auskommen bot, wandte sich der junge Mann nach dem Abitur der Juristerei zu, studierte in Berlin und Freiburg, bestand seine Examina und wurde Anwalt. Als solcher betätigte er sich 20 Jahre lang in Berlin. Als Strafverteidiger absolvierte er 600 Verhandlungstage im Schmücker-Prozess, dem bisher längsten juristischen Quodlibet der BRD. Das letztlich gewonnene Verfahren brachte ihm den Adolf-Arndt-Preis ein, überreicht von der damaligen Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach.
Heinischs juristische Praxis unterscheidet ihn übrigens von seinem Idol Kurt Tucholsky, der es zwar auch zum examinierten Juristen brachte, aber seinem Beruf nicht nachging. Dafür stand er mehrfach als Angeklagter vor Gericht. Ob Heinisch diese Konstellation dazu bewog, später der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft beizutreten?
Seine Liebe zur Malerei, speziell zur Justiz-Karikatur, gewann schließlich doch die Oberhand. 1992 gab er seine Zulassung ab und erkor sein Hobby endgültig zu seinem Beruf, den er längst als seine Berufung empfand. Die in der juristischen Praxis gewonnenen Erfahrungen und Zweifel mögen dazu ebenso beigetragen haben wie die Beobachtung seiner Person durch den Verfassungsschutz.
Philipp Heinisch widmete sich fortan vor allem mittels der politischen Karikatur Bild-Reflexionen über Recht und Gerechtigkeit, scheute sich nicht vor dem französischen Vorbild Daumiers und überprüfte und vervollkommnete weitere künstlerische Techniken. In Ausstellungen konfrontiert er mit satirischer Treffsicherheit die juristische Prominenz und den Rest der Öffentlichkeit mit gesellschaftlichen Erscheinungen und Tendenzen, die mit dem Rechtsstaat schwer zu vereinbaren sind oder ihm mitunter auch schaden. Irgendjemand leitete daraus die Laudatio »Justitias drittes Auge ist der Blick von Philipp Heinisch« ab. Und dieses dritte Auge begegnet dem Betrachter in seinen seit 1988 herausgegebenen Jahreskalendern, in seinen Bildbänden »Sehe ich Recht?«, »Recht und Specht«. »Kühles Recht und heiße Suppe« sowie in seinen Illustrationen der Bücher anderer Autoren. Ob man allerdings seinen steuerrechtlichen Empfehlungen – so der Frage »Wie kann ich meinen Mann absetzen?« – unbeschadet folgen sollte, muss jeder selbst entscheiden.
Apropos Laudatio. Kunst und Justiz sind bei dem Ex-Juristen und Jetzt-Maler keine Antipoden. Wer schon ein- oder mehrmals den von Philipp Heinisch initiierten und von ihm geleiteten »Gesprächskreis Kunst und Justiz« besucht hat, wird das von Herzen bestätigen. Deshalb sind – wie neulich im Februar Uwe Wesel – nicht nur juristische Fachleute bei ihm zu Gast, sondern Autoren, Schriftsteller, Schauspieler und Koryphäen der unterschiedlichsten Bereiche. Von Heino Ferch oder Volker Ludwig – um nur zwei Beispiele zu nennen – habe ich dadurch persönliche Eindrücke gewonnen, die die Bühne oder die Leinwand allein nicht hergeben können.
Tucholsky ist Heinisch nicht mehr begegnet. Das verwundert, denn seine Feststellung »Unter der Binde der Justitia leuchten zwei wohlgefällig plinkernde Augen« kann sich eigentlich nur auf ihn beziehen (Kurt Tucholsky: »Schnipsel«, erweiterte Neuauflage, herausgegeben von Wolfgang Hering und Hartmut Urban, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1995, S. 145).
Eine Kostprobe aus Philipp Heinischs Zeichenfeder finden Sie auf der Umschlagseite 4. Der Band »Sehe ich Recht?« ist im Schaltzeitverlag erhältlich (204 Seiten, 29,80 €). Ferner erschien soeben im Selbstverlag »Lebensfreude mit Recht«, Liebhaberausgabe ohne ISBN (14 €, www.kunstundjustiz.de).