Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Europäisierung der Nato

Der bis­he­ri­ge Gene­ral­se­kre­tär der Nato, der Nor­we­ger Jens Stol­ten­berg, wird Lei­ter der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz, einst von Horst Telt­schik und nach­fol­gend von Wolf­gang Ischin­ger ange­führt. Letz­te­rer hat sie zu einem welt­weit agie­ren­den Akteur, einem soge­nann­ten Think-Tank mit For­schungs- und Pro­pa­gan­da­ab­tei­lung aus­ge­baut und jüngst die­sen Coup im Hin­ter­grund ein­ge­fä­delt. Im Jahr 2019 hat Ischin­ger Kapi­tal aus sei­nem Ver­mö­gen in die gleich­na­mi­ge Stif­tung ein­ge­bracht, im Ver­bund mit dem Bun­des­land Bay­ern, das eben­falls kräf­tig inve­stier­te, um den glo­ba­len Ein­fluss des Netz­werks zu stär­ken. Der welt­ver­netz­te Diplo­mat soll den Coup im Hin­ter­grund ein­ge­fä­delt haben. Der ehe­ma­li­ge poli­ti­sche Beam­te und Mer­kel-Bera­ter Chri­stoph Heus­gen, seit 2022 Lei­ter der MSC – nach dem Rück­zug Ischin­gers – wird abge­löst und wohl mit einem ande­ren Posten befrie­det. Offen­sicht­lich ver­spricht Stol­ten­berg sowohl den ame­ri­ka­ni­schen Inter­es­sen als auch jenen in Ber­lin bes­ser die­nen zu kön­nen. Was heißt das?

Die Ame­ri­ka­ner ver­fol­gen beim Krieg der Atom­macht Russ­land gegen die Ukrai­ne aktu­ell das Haupt­ziel, Russ­land ein­zu­däm­men und zu erschöp­fen – und dabei schritt­wei­se aus­zu­te­sten, wie weit die Unter­stüt­zung der USA und der Nato-Staa­ten für die Ukrai­ne gehen kann, ohne gra­vie­ren­de Reak­tio­nen der rus­si­schen Sei­te (Atom­dro­hung) zu pro­vo­zie­ren. Solan­ge Russ­land sei­nen Dro­hun­gen kei­ne Taten fol­gen lässt, neh­men west­li­che Medi­en und Mili­tär­ex­per­ten an, »Putin« bluf­fe. Von eini­gen Mili­tärs wird dar­auf ver­wie­sen, dass die rus­si­sche Stra­te­gie dar­in bestehe, eine »Schmerz­gren­ze« der Dul­dung west­li­cher Waf­fen- und Mili­tär-Unter­stüt­zung hin­zu­neh­men, von der aller­dings nie­mand so recht weiß, wann sie erreicht ist. Unter­des­sen reagiert Russ­land auf neue Waf­fen des »Westens« mit Gegen­schlä­gen, u.a. schwe­ren Gleit­bom­ben­an­grif­fen. Je nach­dem, wel­che Gegen­maß­nah­me dann im Rah­men der Eska­la­ti­ons­spi­ra­le ergrif­fen wird, kann es in Euro­pa oder woan­ders dra­ma­ti­sche Kon­se­quen­zen zur Fol­ge haben. Z.B. auch mit einer »Stell­ver­tre­ter-Reak­ti­on Russ­lands«, etwa der­ge­stalt, dass der Iran die US-Navy im Nahen Osten mit Rake­ten angreift, um das Signal zu set­zen: »Bis hier­her und nicht weiter!«

Nie­mand weiß es. Das wird »Eska­la­ti­ons­ri­si­ko« genannt, das auch deut­sche »Mili­tär­ex­per­tin­nen« gemein­hin baga­tel­li­sie­ren und eher dem wil­hel­mi­ni­schen Ana­chro­nis­mus frö­nen: »Immer feste druff«. In stra­te­gi­schen Think-Tanks der USA sind hin­ge­gen auch Ten­den­zen vor­han­den (sie­he For­eign Affairs), die Ver­wal­tungs­be­zir­ke im Osten der Ukrai­ne, die seit 2014 von Sepa­ra­ti­sten und schließ­lich von der rus­si­schen Armee ein­ge­nom­men, von Russ­land als unab­hän­gi­ge Repu­bli­ken aner­kannt und nach Kriegs­be­ginn im Sep­tem­ber 2022 mit einer Erklä­rung Putins ein­ge­glie­dert wor­den sind, ver­lo­ren zu geben – und dafür den grö­ße­ren Teil der Ukrai­ne, west­lich des Dnjepr, in EU und Nato zu inte­grie­ren. Stol­ten­bergs Ziel ist die Euro­päi­sie­rung der Nato, ver­bun­den mit einer nie dage­we­se­nen Auf­rü­stung Euro­pas und dem Auf­bau einer eige­nen euro­päi­schen Armee unter dem Dach der Nato. Dafür steht auch der Nach­fol­ger Stol­ten­bergs, der ehe­ma­li­ge Mini­ster­prä­si­dent der Nie­der­lan­de, Mark Rut­te. Gleich­zei­tig wäre Euro­pa auf die Alter­na­ti­ve Trump oder Har­ris als Prä­si­den­ten mili­tär­po­li­tisch vor­be­rei­tet. »Unter­stüt­zung bis zum Sieg« pro­kla­mier­te Stol­ten­berg auf dem letz­ten Nato-Gip­fel, was bedeu­tet: Auf­bau einer »glaub­wür­di­gen Abschreckung« mit dem Bau eige­ner Lang­strecken­ra­ke­ten und ande­ren neu­en Waf­fen – als Aus­gleich für eine zunächst noch nicht vor­han­de­ne euro­päi­sche Armee mit Atom­waf­fen. Inso­fern ist der Schach­zug, Stol­ten­berg die Lei­tung der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz zu über­tra­gen, der Clou, weil er offen­legt, wie eng die US-Atlan­ti­schen Netz­wer­ke und Think-Tanks dar­an arbei­ten, die geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen ihrer Staa­ten, des soge­nann­ten Westens, auf die Zukunft vor­zu­be­rei­ten. Ob die risi­ko­rei­che Geo­po­li­tik zum gro­ßen Knall füh­ren wird, oder Ver­nunft und Auf­klä­rung über abge­kar­te­te Manö­ver sie­gen wer­den, ist noch nicht end­gül­tig entschieden.