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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Es lebe der Fortschritt!

Das Zau­ber­wort heißt Digi­ta­li­sie­rung. Alle spre­chen davon. Wirk­lich alle? Man­cher hat inzwi­schen mit­be­kom­men, dass der Wir­bel um das The­ma oft erheb­lich grö­ßer ist als die Umset­zung der viel­fach sehr voll­mun­dig ange­kün­dig­ten Ver­spre­chen. War­um soll­te das in der Justiz anders sein? Seit eini­gen Jah­ren sind Anwäl­te ver­pflich­tet, ein beson­de­res anwalt­li­ches Post­fach zu unter­hal­ten, um dort Schrei­ben, Beschlüs­se oder Urtei­le der Gerich­te zu erhal­ten. Tat­säch­lich kommt dies bis­lang nur äußerst sel­ten vor und nach mei­nen Erkennt­nis­sen allen­falls, wenn die Gerich­te ihren Sitz in Bay­ern haben. Selbst der Bun­des­ge­richts­hof ver­sen­det sei­ne Beschlüs­se in Straf­ver­fah­ren nach wie vor auf dem Post­weg. So kann man auch das gro­ße Sie­gel, das am Ende eines jeden Beschlus­ses in Weiß und mit gro­ßem Bun­des­ad­ler auf­ge­klebt wird, bes­ser sehen und füh­len. Man­chem ist das ja wich­tig. Dies umso mehr, als sie fast die Grö­ße eines Bier­deckels hat.

Seit zwei Jah­ren müs­sen Rechts­an­wäl­tin­nen und Rechts­an­wäl­te nun­mehr auch bestimm­te Doku­men­te in Straf­sa­chen aus­schließ­lich über die­ses beson­de­re Post­fach an das jewei­li­ge Gericht schicken. In Zivil­sa­chen und ande­ren Rechts­zwei­gen ist dies schon alles etwas aus­ge­präg­ter. Wer nun meint, die Straf­ge­rich­te ord­nen die­se elek­tro­nisch über­sand­ten Doku­men­te der jewei­li­gen elek­tro­ni­schen Akte zu, der irrt gewal­tig. In der Pra­xis wer­den die­se mit so moder­nem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel über­sand­ten Unter­la­gen vor Ort durch Justiz­wacht­mei­ster aus­ge­druckt, gelocht und anschlie­ßend der jewei­li­gen Papier­ak­te zuge­ord­net sowie dem zustän­di­gen Sach­be­ar­bei­ter vor­ge­legt. In Thü­rin­gen wird dabei zusätz­lich vor dem eigent­li­chen Doku­ment und auch am Ende des­sel­ben jeweils ein wei­te­res Blatt gedruckt, auf dem in bester Qua­li­tät und bun­ten Far­ben das Lan­des­wap­pen zu sehen ist. Wofür das nötig sein soll, hat mir bis­lang noch nie­mand erklä­ren kön­nen, aber irgend­ei­nen Sinn muss es ja haben. Die­se Vor­ge­hens­wei­se der elek­tro­ni­schen Über­mitt­lung und des anschlie­ßen­den Aus­druckens gilt offen­bar schon als Digi­ta­li­sie­rung, obgleich der damit ver­bun­de­ne Auf­wand wohl eher grö­ßer ist und die ent­ste­hen­den Kosten sich letzt­lich auch nicht redu­ziert haben, im Gegen­teil. So trö­stet sich jede Sei­te, am kom­mu­ni­ka­ti­ven Fort­schritt betei­ligt zu sein, ohne die eigent­li­chen Vor­tei­le einer sol­chen Vor­ge­hens­wei­se benen­nen zu können.