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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Erinnerungen an den Feindalarm

An wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­sen und histo­ri­schen Betrach­tun­gen zum 75. Jah­res­tag der Zer­schla­gung des Faschis­mus und des Welt­kriegs­en­des man­gelt es nicht. Daher will ich lie­ber eini­ge per­sön­li­che Ein­drücke und Epi­so­den bei­steu­ern. Mei­ne Erin­ne­run­gen an die 1940er Jah­re wer­den durch mei­ne ersten Jah­re als Schü­ler und die Kriegs­jah­re geprägt. Dabei stellt der mit auf- und abschwel­len­den Heul­tö­nen ver­bun­de­ne und im April 1945 in mei­ner ost­thü­rin­gi­schen Hei­mat­stadt ange­kün­dig­te »Feind­alarm«, des­sen Ton­fül­le ich jetzt noch akku­rat nach­ah­men kann, eine beson­de­re Rup­tur dar.

Ich wur­de im Jah­re 1941 ein­ge­schult. Der Unter­richt in der von den Nazis domi­nier­ten, auf Gehor­sam, Gefolg­schafts­treue und den deut­schen End­sieg aus­ge­rich­te­ten »Volks­schu­le« ver­lief zunächst noch unter damals »nor­ma­len« Umstän­den. Nicht erfüll­te Dis­zi­plin- und Lei­stungs­er­war­tun­gen wur­den abge­straft. Man­che Leh­rer arbei­te­ten sich dabei kon­se­quent an den Lieb­lings­är­schen ihrer Schü­ler ab. Unse­re Klas­sen­leh­re­rin, eine schon bejahr­te Dame, schlug nicht selbst zu, son­dern über­ließ wie auch manch ande­re Leh­rer die Ahn­dung grö­be­rer Ver­stö­ße dem vom Direk­tor per­sön­lich gehand­hab­ten Rohr­stock, wes­halb sich vor des­sen Sekre­ta­ri­at in der gro­ßen Pau­se gele­gent­lich War­te­schla­gen bil­de­ten. Leich­te­re Ver­stö­ße quit­tier­te Frau Haas mit dem ver­zwei­fel­ten Kla­ge­ruf: »Ei, ei, ei! Wenn das unser Füh­rer wüss­te!« Den­noch hat­ten wir auch Leh­rer, an die man sich gern erin­nert, und in Bezug auf Grund­re­chen­ar­ten und gram­ma­ti­ka­li­sche und ortho­gra­phi­sche Regu­la­ri­en haben wir auch ohne digi­ta­le Hilfs­mit­tel beacht­li­che und dau­er­haf­te Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten erwor­ben. Ich erin­ne­re mich auch an täg­li­chen Früh­sport vor Unter­richts­be­ginn und an Fah­nen­ap­pel­le auf dem Schul­hof, die beim Abge­sang des »Deutsch­land­lie­des« und des Hym­nus »Die Fah­ne hoch, die Rei­hen fest geschlos­sen, SA mar­schiert in glei­chem Schritt und Tritt« mit hoch­ge­streck­tem Arm zu absol­vie­ren waren. Und dann habe ich noch Klas­sen­wan­de­run­gen in die nähe­re Umge­bung im Gedächt­nis, bei denen wir auf dem Rück­weg Pfer­de­äp­pel in Tüten ver­stau­ten, um sie im Gar­ten der Leh­re­rin einer wei­te­ren sinn­vol­len Ver­wen­dung als Toma­ten­dün­ger zuzuführen.

Wir leb­ten in einem Miets­haus mit Was­ser­an­schluss und Fall­toi­let­te auf der hal­ben Trep­pe, und unse­re Eltern waren wie vie­le ande­re in der Tex­til­in­du­strie beschäf­tigt. Dass sie arme Leu­te waren, war uns nicht bewusst. Am deut­schen End­sieg zwei­fel­ten wir nicht, Füh­rers Geburts­tag war nicht unwich­ti­ger als etwa Ostern oder Weih­nach­ten, und vom Erb­feind Frank­reich, vom Tom­my und vom Iwan hiel­ten wir das, was uns die Leh­rer vor­ga­ben. Dass unse­re Feld­grau­en die tap­fer­sten der Welt waren, stand eh außer Zwei­fel und wur­de durch die Auf­ga­ben­stel­lun­gen im Rechen­un­ter­richt bestä­tigt: »10 deut­sche Sol­da­ten neh­men 30 Rus­sen gefan­gen – wie­viel Rus­sen hat jeder deut­sche Sol­dat gefan­gen genom­men?« In den »Son­der­mel­dun­gen« der Kriegs­be­richt­erstat­tung hör­ten wir, dass schon wie­der ein deut­scher Gefrei­ter ein feind­li­ches Kom­man­do umzin­gelt hat­te. Und am Sonn­tag­nach­mit­tag ver­folg­ten wir in der Unter­hal­tungs­sen­dung »für unse­re Kame­ra­den zu Lan­de, zu Was­ser und in der Luft« die stim­mungs­vol­len Melodien.

1944/​45 hat­te sich die Lage wesent­lich ver­än­dert. Aus eini­gen Schu­len waren längst Laza­ret­te gewor­den, ande­re hat­te man zwecks Unter­richts­schich­tung zusam­men­ge­legt. Etli­che Mit­schü­ler hat­ten ihre Väter ver­lo­ren. Unser Klas­sen­ka­me­rad Her­bert war stolz auf sei­nen Vater, der dem Füh­rer, dem Vater­land und uns sein Leben geop­fert hat­te. Als er uns sei­nen letz­ten im Schüt­zen­gra­ben gekra­kel­ten Feld­post­brief vor­las, war der Schrei­ber schon 14 Tage vor­her »gefal­len«.

Mein Onkel Wal­ter, den ich als stol­zen Kaval­le­ri­sten auf einem Foto bewun­dert hat­te, starb an einem Bauch­schuss, und mei­nen Onkel Hans traf es als Schiffs­bäcker. Mein Ber­li­ner Onkel Fritz über­leb­te als Boots­mann eines Minen­such­boo­tes und damit als Ange­hö­ri­ger eines »Him­mel­fahrts­kom­man­dos« zur all­ge­mei­nen Ver­wun­de­rung den Krieg, sei­ne Frau dage­gen wur­de im Ber­li­ner Luft­schutz­kel­ler von einem her­ab­stür­zen­den Bal­ken erschlagen.

Die Zivil­be­völ­ke­rung litt unter der Ratio­nie­rung, unter der Ein­füh­rung von Kar­ten für Lebens­mit­tel und Bezugs­schei­nen für Bedarfs­ar­ti­kel vom Schnür­schuh bis zur übel­rie­chen­den grau­kör­ni­gen Ton­sei­fe. Dazu kamen immer häu­fi­ge­re Bom­ben­an­grif­fe mit im Kel­ler ver­brach­ten Näch­ten vol­ler Lebens­angst und mit zer­stör­ten Fabri­ken und Wohn­häu­sern in der Nach­bar­schaft. Der »Luft­schutz­wart« unse­res Hau­ses, eine Frau Arz­ber­ger, hat­te die Ver­dunk­lung der Fen­ster zu über­wa­chen und dafür zu sor­gen, dass nach der Alarm­aus­lö­sung nie­mand in der Woh­nung blieb. Da sich in der Nähe die Stadt Plau­en mit einer aus­ge­dehn­ten Rüstungs­in­du­strie befand, war­fen die Flie­ger übrig­ge­blie­be­ne Bom­ben nicht sel­ten über Nach­bar­or­ten ab, was auch in unse­rer Umge­bung zu Toten, Ver­letz­ten und Rui­nen führ­te. Die Züge ver­kehr­ten sel­te­ner, dafür aber mit der Auf­schrift »Räder müs­sen rol­len für den Sieg!« Auf Pla­ka­ten wur­de »Pst! Feind hört mit!« gemahnt und vor »Ver­rat« gewarnt. Etli­che Kir­chen­ge­mein­den opfer­ten ihre Glocken, um Metall für den Waf­fen-Nach­schub zu erschmelzen.

Der Schul­un­ter­richt wur­de in die Spei­se­räu­me von Betrie­ben ver­legt, da wei­te­re Schul­ge­bäu­de zu Laza­ret­ten umfunk­tio­niert wor­den waren. Immer häu­fi­ger kam es vor, dass Schul­stun­den wegen eines Bom­ben­alarms abge­bro­chen wur­den. Wenn die Zeit für den Heim­weg zu knapp war, muss­ten wir die nächst­ge­le­ge­nen »LSR« – Luft­schutz­räu­me – auf­su­chen und dort die »Ent­war­nung« abwar­ten. Die Abkür­zung »LSR« befand sich in gro­ßer Schrift an allen Gebäu­den und wur­de nach einem scheu­en Sei­ten­blick und flü­sternd auch mit »Lasst Sta­lin rein« oder »Lernt schnell rus­sisch« über­setzt. Uns war bewusst, dass die Wei­ter­ga­be sol­cher Inter­pre­ta­tio­nen wie auch das »Abhö­ren von Feind­sen­dern« – das geschah mei­stens per »Goeb­bels-Schnau­ze«, einem Tele­fun­ken-Emp­fän­ger – mit stren­gen Stra­fen bis zum Tode geahn­det wer­den konn­te. Der Über­wa­chungs­ap­pa­rat hat­te sich wei­ter ver­voll­komm­net. Er erstreck­te sich von offi­zi­el­len Behör­den und Nazi-Orga­ni­sa­tio­nen über Block- und Luft­schutz­war­te bis zu den Ver­tei­lern der immer dürf­ti­ger wer­den­den Lebensmittelabschnitte.

Um alle Reser­ven für den End­sieg aus­zu­schöp­fen, wur­den 15-jäh­ri­ge Jugend­li­che der 6. Armee unter Füh­rung des Gene­rals Wen­ck zuge­ord­net, der der Roten Armee noch vor den Toren Ber­lins die ent­schei­den­de Nie­der­la­ge bei­brin­gen soll­te. Die Schü­ler­struk­tur hat­te sich in den letz­ten Kriegs­jah­ren ver­än­dert, da Groß­städ­ter mit ihren Kin­dern zeit­wei­se in weni­ger kriegs­be­droh­te Orte zu Ver­wand­ten gezo­gen waren. Manch­mal wur­den eltern­lo­se oder durch den Krieg ver­trie­be­ne Kin­der eben­falls in die Klas­sen ein­ge­glie­dert. In unse­rem 4. Jahr­gang betraf das auch einen Jun­gen, der durch Bom­ben bei­de Unter­ar­me ver­lo­ren hat­te. Wir bewun­der­ten ihn, weil er sich trotz sei­ner Behin­de­rung gut zu weh­ren ver­stand. Über­haupt waren Begeg­nun­gen und der Umgang mit Kriegs­ver­letz­ten fast zu einer Nor­ma­li­tät des Lebens gewor­den. Ampu­tier­te und Blin­de bestimm­ten das Straßenbild.

Durch den Besuch bei Tan­te Fri­da wur­de ich mit einem wei­te­ren Erschei­nungs­bild der Nazi­zeit kon­fron­tiert: Der Ehe­mann der Groß­tan­te litt an einer psy­chi­schen Erkran­kung und wur­de zwangs­wei­se in ein Heim gebracht, aus dem er nie zurück­kehr­te. Tan­te Fri­da setz­te ergeb­nis­los alle mög­li­chen Hebel in Bewe­gung, um ihn nach Hau­se zurück­zu­ho­len bezie­hungs­wei­se spä­ter sei­ne Todes­um­stän­de zu erfah­ren. Als sie kei­ne Ruhe gab, wur­de ihr eben­falls mit einer Ein­wei­sung gedroht. Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand sprach sich unter Bekann­ten her­um, dass Nazi­geg­ner in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern gefan­gen gehal­ten, gequält und umge­bracht wurden.

Anfang April tra­fen noch­mals Ver­wun­de­ten­zü­ge auf den Grei­zer Bahn­hö­fen ein, aus denen schwer­ver­letz­te Sol­da­ten in die Laza­ret­te trans­por­tiert wur­den. In Marsch- und Auto­ko­lon­nen flu­te­ten Sol­da­ten im Rück­zug von der Ost­front in Rich­tung Westen durch die Stra­ßen. Wir stan­den am Rand, wink­ten ihnen zu und glaub­ten, dass die Ver­gel­tungs­ra­ke­ten V2 und V3 nun bald zum Ein­satz kom­men und den End­sieg gewähr­lei­sten wür­den. Zur sel­ben Zeit ver­kün­de­te der Rund­funk, dass »der Füh­rer« in Ber­lin beim End­kampf um Deutsch­lands Sieg tap­fer »in der vor­der­sten Rei­he« gefal­len sei.

In der Zwi­schen­zeit waren Ver­bän­de der US Army vom Westen her in den Thü­rin­ger Raum gelangt und hat­ten Stel­lun­gen auf den Hügeln um die Stadt bezo­gen, wäh­rend die Eisen­bahn­via­duk­te und Elster­brücken gesprengt und die Omni­bus­se vom Kraft­ver­kehr quer in die Stra­ßen gefah­ren wur­den, um den End­sieg zu unter­stüt­zen und den wei­te­ren Vor­marsch des Fein­des zu verhindern.

Das war nach mei­ner Erin­ne­rung die Situa­ti­on, in der an einem Tage im April 1945 das Signal zum Feind­alarm ertön­te. Wir ver­brach­ten meh­re­re Tage und Näch­te im Kel­ler, was uns Kin­dern einer­seits Angst mach­te, uns aber zugleich als gro­ßes Aben­teu­er erschien. In die Häu­ser neben uns schlu­gen Gra­na­ten ein, was dazu führ­te, dass der vor­be­rei­te­te Durch­bruch zum Nach­bar­ge­bäu­de geöff­net wer­den muss­te. Aus den dich­ten Staub­wol­ken schäl­ten sich die Nach­barn her­aus. Als wir den Kel­ler wie­der ver­las­sen durf­ten, bot sich uns ein gespen­sti­sches Bild dar. Im nächt­li­chen Him­mel wider­spie­gel­ten sich die Feu­er der bren­nen­den Fabri­ken, auf den Stra­ßen lagen durch den Luft­druck aus den Angeln geris­se­ne Türen und Fen­ster nebst unzäh­li­gen Scher­ben, und dazwi­schen befan­den sich etli­che ver­letz­te oder getö­te­te Per­so­nen, um die sich die­je­ni­gen küm­mer­ten, die noch dazu in der Lage waren.

Jeeps mit US-Sol­da­ten durch­fuh­ren die Stra­ßen, ver­teil­ten an die Kin­der Che­wing Gum und über­nah­men kurz­zei­tig Ver­wal­tungs­auf­ga­ben. Was sich erst nach Tagen her­aus­stell­te, war der Ver­such des Stadt­kom­man­dan­ten Haupt­mann von Western­ha­gen, die Stadt kampf­los zu über­ge­ben. Er wur­de von einer SS-Patrouil­le erschos­sen. Von dem Ereig­nis zeugt eine höl­zer­ne Gedenk­ta­fel am Markt­platz. Als ich mit mei­ner Toch­ter im Jah­re 2013 vor dem Mahn­mal stand, fiel uns zwei­er­lei auf: ein davor lie­gen­des Blu­men­ge­bin­de und die in den Holz­schaft ein­ge­ritz­te Inschrift »Feig­ling«.

Eines Tages hielt ein Jeep vor unse­rem Haus, und ich wur­de beauf­tragt, die Tür zu öff­nen. Einer der drei ame­ri­ka­ni­schen Insas­sen frag­te mich, wer ich sei. Auf mei­ne Ant­wort reagier­te er mit dem Satz: »Ich bin dein Onkel!« Das war zwar nicht kor­rekt, aber mein Cou­sin war er alle­mal, näm­lich der Sohn mei­ner in den Infla­ti­ons­jah­ren in die USA aus­ge­wan­der­ten Tan­te Else. Er war ein­be­ru­fen und im ober­frän­ki­schen Helm­b­rechts ein­ge­setzt wor­den, besuch­te uns nun­mehr an jedem Wochen­en­de und ergänz­te unse­ren Lebens­mit­tel­fun­dus. Eines Tages teil­te er uns mit, dass die Rus­sen das Besat­zungs­ge­biet über­neh­men und die Amis sich nach Bay­ern zurück­zie­hen wür­den. Er ver­band das mit dem Ange­bot, unse­re Fami­lie dort­hin mit­zu­neh­men. Wären mei­ne Eltern dar­auf ein­ge­gan­gen, wäre ich statt 1990 bereits 1949 Bun­des­bür­ger gewor­den und hät­te mir den Umweg mit allen sich dar­aus erge­ben­den Chan­cen und Kom­pli­ka­tio­nen erspa­ren können.

Ich kann mich noch gut an den Tag erin­nern, an dem die Rote Armee die Ver­wal­tungs­ge­schäf­te über­nahm. Kom­mu­ni­sten und mit ihnen ver­bun­de­ne Anti­fa­schi­sten und Demo­kra­ten aller Cou­leur hat­ten die Bevöl­ke­rung dazu auf­ge­ru­fen, die neue Besat­zungs­macht mit roten Fah­nen zu begrü­ßen. So geschah es auch, und die Fra­ge, woher plötz­lich die zahl­rei­chen roten Fah­nen kamen, beant­wor­te­te sich beim genaue­ren Hin­se­hen: In den Tüchern hob sich ein dunk­le­rer Kreis ab, auf dem sich vor­her das Haken­kreuz befun­den hatte.

In den Som­mer­mo­na­ten wur­den alle Schul­pflich­ti­gen erfasst, da der Unter­richt im Herbst wie­der auf­ge­nom­men wer­den soll­te. Alle als Nazis bekann­ten Leh­rer wur­den ent­las­sen und durch »Neu­leh­rer« ersetzt; das heißt durch Quer­ein­stei­ger. Nicht alle eig­ne­ten sich für die unge­wohn­te Tätig­keit, aber vie­le bewähr­ten sich spä­ter als Direk­to­ren und päd­ago­gi­sche Wis­sen­schaft­ler und ver­hal­fen dem Beruf zu einem guten Image. Des­halb kann ich auch die Vor­ein­ge­nom­men­heit nicht tei­len, mit der heu­te beruf­li­chen Quer­ein­stei­gern begeg­net wird.

Eine der über­nom­me­nen Päd­ago­gin­nen war übri­gens wie­der­um Frau Haas, die den Ter­mi­nus »Ei, ei, ei! Wenn das unser Füh­rer wüss­te!« bei Dis­zi­pli­n­pro­ble­men durch den Kla­ge­satz »Ei, ei, ei! Das soll nun unse­re neue demo­kra­ti­sche Jugend sein?« ersetzte.

Die vor­herr­schen­de Stim­mung war die ein­mü­ti­ge Hal­tung gegen den Völ­ker­mord. »Lie­ber Hun­ger und Man­gel, aber nie wie­der Krieg!« skan­dier­ten die, die das Cha­os über­lebt hat­ten. Des­halb wur­de dem Ein­kas­sie­ren von Kriegs­spiel­zeug in den Haus­hal­ten auch gro­ßes Ver­ständ­nis ent­ge­gen­ge­bracht. Mei­ne Füh­rer­fi­gur mit dem durch stän­di­ges Erhe­ben aus­ge­lei­er­ten rech­ten Arm und mein Gra­nat­wer­fer-Modell, mit dem ich erfolg­reich eine der letz­ten Glüh­bir­nen in der Küche aus­ge­schos­sen hat­te, gehör­ten auch zu den Ein­bring­seln des Friedenswillens.

In den 75 Jah­ren nach dem »Feind­alarm« ist man­cher­lei gesche­hen. Men­schen ler­nen wenig von­ein­an­der, und jede Gene­ra­ti­on will und muss ihre Feh­ler sel­ber machen. »Man kann auf einem Stand­punkt ste­hen«, wuss­te einst Weltbühne-Autor Erich Käst­ner, »aber man soll­te nicht dar­auf sit­zen.« Jeder – das möch­te ich ergän­zen – soll­te jedoch Alarm­si­gna­le in der Umge­bung und in sich hören und dar­auf sen­si­bel reagie­ren. Und jeder soll­te das Recht haben, dabei auch Feh­ler zu machen – ich woll­te, ich hät­te auch einen …