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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Erinnerung an eine Kabarettlegende

Er war nicht nur ein poli­ti­scher Kaba­ret­tist, son­dern auch ein kaba­ret­ti­sti­scher Poli­ti­ker. Gitar­re und Müt­ze mit einem roten Stern waren sei­ne Mar­ken­zei­chen. Der Kri­ti­ker Klaus Bud­zin­ski stell­te fest, er habe »mit sei­ner volks­tüm­li­chen Spra­che, sei­ner Gerad­heit, sei­nem Mut und sei­nem kaba­ret­ti­sti­schen Ein­falls­reich­tum auch ein Publi­kum beein­druckt, das sei­ne poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen nicht teil­te«. Zwei­fel­los gehör­te Diet­rich Kitt­ner zu den besten Reprä­sen­tan­ten der deut­schen Kleinkunst.

Kitt­ner wur­de 1935 in Oels (heu­te Oleś­ni­ca, Nie­der­schle­si­en) gebo­ren, leb­te lan­ge Zeit in Han­no­ver, wo er auch sein eige­nes Kaba­rett-Thea­ter (zuerst das tab, dann das tak) unter­hielt, und starb 2013 in Bad Rad­kers­burg (Öster­reich), wohin er 1990 gezo­gen war. In sei­ner Trau­er­an­zei­ge stand: »Wir haben einen gro­ßen Kaba­ret­ti­sten ver­lo­ren, einen uner­müd­li­chen poli­ti­schen Auf­klä­rer, einen vor­bild­li­chen Strei­ter für eine gerech­te Gesell­schaft.« Syl­via Remé hat jetzt Leben und Wir­ken der »Kaba­rett­le­gen­de« in einem in jeder Hin­sicht lesens­wer­ten Buch festgehalten.

Kitt­ner hat sei­ne Frau Chri­stel 1958 beim Stu­di­um in Göt­tin­gen ken­nen­ge­lernt. Die bei­den wer­den nach ihrem Stu­di­en­ab­bruch, ihrer Hei­rat und ihrem Umzug nach Han­no­ver nicht nur pri­vat, son­dern auch beruf­lich ein kon­ge­nia­les Paar. 1960 grün­det Diet­rich das Kaba­rett »Die Leid­ar­tik­ler«, nach des­sen Auf­lö­sung tritt er ab 1966 als Solo­ka­ba­ret­tist auf (mit Chri­stel als Tech­ni­ke­rin), weil er nur im Allein­gang »gei­stes­ge­gen­wär­tig qua­si in null Kom­ma nichts auf aku­te Umbrü­che vom sel­ben Tage reagie­ren und dem Publi­kum abends bereits ein brand­ak­tu­el­les Update zu sei­nem Pro­gramm prä­sen­tie­ren« kann.

Kitt­ner pro­fi­liert sich immer wie­der als Akti­ons­künst­ler. Bereits in den sech­zi­ger Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts brin­gen ihm ver­schie­de­ne Eulen­spie­ge­lei­en Ver­haf­tun­gen und Ermitt­lun­gen wegen gro­ben Unfugs ein, zum Bei­spiel sein Pro­test gegen die Ver­ab­schie­dung der Not­stand­ge­set­ze. Der unbeug­sa­me Künst­ler kämpft gegen den Mief der Bon­ner Repu­blik an und ent­larvt die gefähr­li­chen Ent­wick­lun­gen, die mit der Mili­ta­ri­sie­rung und den Akti­vi­tä­ten der Reak­ti­on ver­bun­den sind, die sich bald nach dem Kriegs­en­de wie­der for­miert. Nach Kitt­ners Auf­fas­sung hat der Kaba­ret­tist die Pflicht, »poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Sach­ver­hal­te auf­zu­zei­gen und sie in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Bil­der zu über­set­zen«. Remé schil­dert ein­drucks­voll, wie er die­ser Pflicht nach­kommt, was den Ver­fas­sungs­schutz auf den Plan ruft: Kitt­ner wird fast wie ein Staats­feind über­wacht und schi­ka­niert. Es schockiert, wie die Staats­macht in der BRD mit dem beken­nen­den Mar­xi­sten umgeht. Wenn man liest, was die Kitt­ners erle­ben muss­ten, glaubt man, einen Kri­mi­nal­ro­man vor sich zu haben.

Kitt­ners Lebens­ge­schich­te, sei­ne sati­ri­schen Aktio­nen und sei­ne Kaba­rett­pro­gram­me gewäh­ren pro­fun­de Ein­blicke in die sozia­len und kul­tu­rel­len Kon­flik­te der dama­li­gen Zeit. In die­ser Hin­sicht bie­tet Remés Buch mehr Anschau­lich­keit als so man­ches Geschichts­buch, zumal es auch Aus­zü­ge aus ver­schie­de­nen Kaba­rett-Pro­gram­men ent­hält. Kitt­ner hat sei­nem Publi­kum viel gege­ben, aber auch viel abver­langt. Sei­ne Pro­gram­me dau­er­ten in der Regel min­de­stens vier Stun­den, wes­halb er sich selbst­iro­nisch als den »Wag­ner unter den Kaba­ret­ti­sten« bezeich­net hat. Vor allem bei der Rote-Punkt-Akti­on gegen Fahr­preis­er­hö­hung 1969, aber auch bei dem »Enteignet-Springer«-Protest nach dem Atten­tat auf Rudi Dutsch­ke stand Kitt­ner in vor­der­ster Front. Beson­ders auf­schluss­reich sind auch Remés Kapi­tel, die über den »Klein­krieg gegen die Klein­kunst« infor­mie­ren, mit dem Poli­ti­ker und ihre Hand­lan­ger in den Medi­en den kri­ti­schen Kaba­ret­ti­sten mund­tot machen wollten.

»Diet­rich Kitt­ner mach­te das poli­tisch bis­sig­ste und rele­van­te­ste Kaba­rett bun­des­weit«, schreibt Rai­ner Buten­schön im Vor­wort zu Remés Buch. Und auch die ande­ren Zeit­zeu­gen, die Syl­via Remé zu Wort kom­men lässt, bestä­ti­gen die Fest­stel­lung, dass der »Denk­spaß­ma­cher« Kitt­ner beson­ders scharf­zün­gig zu Wer­ke ging und die kon­ser­va­ti­ven Poli­ti­ker so kon­se­quent attackier­te wie kein ande­rer Kaba­ret­tist. Sein Ein­satz war phä­no­me­nal: Zuwei­len leg­te er für sei­ne zwei­hun­dert Vor­stel­lun­gen pro Jahr auf Tour­neen in ganz Euro­pa hun­dert­tau­send Kilo­me­ter zurück.

Wenn er mit der Bericht­erstat­tung der Pres­se unzu­frie­den war, wur­de er selbst jour­na­li­stisch aktiv: 1996/​97 gehör­te er zum Ossietzky-Grün­der­kreis um Eck­art Spoo, fort­an publi­zier­te Kitt­ner regel­mä­ßig in der Zeit­schrift. Als Deutsch­land sich 1999 mili­tä­risch am Koso­vo-Krieg betei­ligt, führt Kitt­ner als »Frie­dens­het­zer« ein »Kriegs­ta­ge­buch« und ent­larvt das völ­ker­rechts­wid­ri­ge Vor­ge­hen der NATO und die Lügen der ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ker. Das Tage­buch erscheint in meh­re­ren Ausgaben.

Remé hat ihrem Buch Kitt­ners Biblio­gra­fie und Dis­ko­gra­fie bei­gege­ben und zählt auch sei­ne Pro­gram­me und Pre­mie­ren auf. Aus dem Über­blick geht her­vor, mit wel­cher Krea­ti­vi­tät und wel­chem Fleiß Kitt­ner zu Wer­ke gegan­gen ist. »Absicht der vor­lie­gen­den Bio­gra­phie ist es, die Bot­schaft die­ses kom­pro­miss­lo­sen Kämp­fers für Frie­den und sozia­le Gerech­tig­keit mit sei­ner Visi­on, die Gesell­schaft zu ver­än­dern und die Welt zu ver­bes­sern, ange­mes­sen zu wür­di­gen, vor dem Ver­ges­sen zu bewah­ren und – mög­li­cher­wei­se – neue Freun­de für Kitt­ners Werk zu gewin­nen«, schreibt Syl­via Remé. Man kann nur hof­fen, dass die Wün­sche in Erfül­lung gehen.

 

Syl­via Remé: »Diet­rich Kitt­ner. Por­trät der Kaba­rett­le­gen­de«, zu Klam­pen! Ver­lag, 301 Sei­ten, 24