Er war nicht nur ein politischer Kabarettist, sondern auch ein kabarettistischer Politiker. Gitarre und Mütze mit einem roten Stern waren seine Markenzeichen. Der Kritiker Klaus Budzinski stellte fest, er habe »mit seiner volkstümlichen Sprache, seiner Geradheit, seinem Mut und seinem kabarettistischen Einfallsreichtum auch ein Publikum beeindruckt, das seine politischen Überzeugungen nicht teilte«. Zweifellos gehörte Dietrich Kittner zu den besten Repräsentanten der deutschen Kleinkunst.
Kittner wurde 1935 in Oels (heute Oleśnica, Niederschlesien) geboren, lebte lange Zeit in Hannover, wo er auch sein eigenes Kabarett-Theater (zuerst das tab, dann das tak) unterhielt, und starb 2013 in Bad Radkersburg (Österreich), wohin er 1990 gezogen war. In seiner Traueranzeige stand: »Wir haben einen großen Kabarettisten verloren, einen unermüdlichen politischen Aufklärer, einen vorbildlichen Streiter für eine gerechte Gesellschaft.« Sylvia Remé hat jetzt Leben und Wirken der »Kabarettlegende« in einem in jeder Hinsicht lesenswerten Buch festgehalten.
Kittner hat seine Frau Christel 1958 beim Studium in Göttingen kennengelernt. Die beiden werden nach ihrem Studienabbruch, ihrer Heirat und ihrem Umzug nach Hannover nicht nur privat, sondern auch beruflich ein kongeniales Paar. 1960 gründet Dietrich das Kabarett »Die Leidartikler«, nach dessen Auflösung tritt er ab 1966 als Solokabarettist auf (mit Christel als Technikerin), weil er nur im Alleingang »geistesgegenwärtig quasi in null Komma nichts auf akute Umbrüche vom selben Tage reagieren und dem Publikum abends bereits ein brandaktuelles Update zu seinem Programm präsentieren« kann.
Kittner profiliert sich immer wieder als Aktionskünstler. Bereits in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts bringen ihm verschiedene Eulenspiegeleien Verhaftungen und Ermittlungen wegen groben Unfugs ein, zum Beispiel sein Protest gegen die Verabschiedung der Notstandgesetze. Der unbeugsame Künstler kämpft gegen den Mief der Bonner Republik an und entlarvt die gefährlichen Entwicklungen, die mit der Militarisierung und den Aktivitäten der Reaktion verbunden sind, die sich bald nach dem Kriegsende wieder formiert. Nach Kittners Auffassung hat der Kabarettist die Pflicht, »politische und gesellschaftliche Sachverhalte aufzuzeigen und sie in allgemeinverständliche Bilder zu übersetzen«. Remé schildert eindrucksvoll, wie er dieser Pflicht nachkommt, was den Verfassungsschutz auf den Plan ruft: Kittner wird fast wie ein Staatsfeind überwacht und schikaniert. Es schockiert, wie die Staatsmacht in der BRD mit dem bekennenden Marxisten umgeht. Wenn man liest, was die Kittners erleben mussten, glaubt man, einen Kriminalroman vor sich zu haben.
Kittners Lebensgeschichte, seine satirischen Aktionen und seine Kabarettprogramme gewähren profunde Einblicke in die sozialen und kulturellen Konflikte der damaligen Zeit. In dieser Hinsicht bietet Remés Buch mehr Anschaulichkeit als so manches Geschichtsbuch, zumal es auch Auszüge aus verschiedenen Kabarett-Programmen enthält. Kittner hat seinem Publikum viel gegeben, aber auch viel abverlangt. Seine Programme dauerten in der Regel mindestens vier Stunden, weshalb er sich selbstironisch als den »Wagner unter den Kabarettisten« bezeichnet hat. Vor allem bei der Rote-Punkt-Aktion gegen Fahrpreiserhöhung 1969, aber auch bei dem »Enteignet-Springer«-Protest nach dem Attentat auf Rudi Dutschke stand Kittner in vorderster Front. Besonders aufschlussreich sind auch Remés Kapitel, die über den »Kleinkrieg gegen die Kleinkunst« informieren, mit dem Politiker und ihre Handlanger in den Medien den kritischen Kabarettisten mundtot machen wollten.
»Dietrich Kittner machte das politisch bissigste und relevanteste Kabarett bundesweit«, schreibt Rainer Butenschön im Vorwort zu Remés Buch. Und auch die anderen Zeitzeugen, die Sylvia Remé zu Wort kommen lässt, bestätigen die Feststellung, dass der »Denkspaßmacher« Kittner besonders scharfzüngig zu Werke ging und die konservativen Politiker so konsequent attackierte wie kein anderer Kabarettist. Sein Einsatz war phänomenal: Zuweilen legte er für seine zweihundert Vorstellungen pro Jahr auf Tourneen in ganz Europa hunderttausend Kilometer zurück.
Wenn er mit der Berichterstattung der Presse unzufrieden war, wurde er selbst journalistisch aktiv: 1996/97 gehörte er zum Ossietzky-Gründerkreis um Eckart Spoo, fortan publizierte Kittner regelmäßig in der Zeitschrift. Als Deutschland sich 1999 militärisch am Kosovo-Krieg beteiligt, führt Kittner als »Friedenshetzer« ein »Kriegstagebuch« und entlarvt das völkerrechtswidrige Vorgehen der NATO und die Lügen der verantwortlichen Politiker. Das Tagebuch erscheint in mehreren Ausgaben.
Remé hat ihrem Buch Kittners Bibliografie und Diskografie beigegeben und zählt auch seine Programme und Premieren auf. Aus dem Überblick geht hervor, mit welcher Kreativität und welchem Fleiß Kittner zu Werke gegangen ist. »Absicht der vorliegenden Biographie ist es, die Botschaft dieses kompromisslosen Kämpfers für Frieden und soziale Gerechtigkeit mit seiner Vision, die Gesellschaft zu verändern und die Welt zu verbessern, angemessen zu würdigen, vor dem Vergessen zu bewahren und – möglicherweise – neue Freunde für Kittners Werk zu gewinnen«, schreibt Sylvia Remé. Man kann nur hoffen, dass die Wünsche in Erfüllung gehen.
Sylvia Remé: »Dietrich Kittner. Porträt der Kabarettlegende«, zu Klampen! Verlag, 301 Seiten, 24 €