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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Entspannung und Frieden

Frie­dens­for­schung in Deutsch­land auf Lei­tungs­ebe­ne der staat­lich-finan­zier­ten und beein­fluss­ten Insti­tu­te ist offi­zi­ell zum Annex offi­zi­el­ler Regie­rungs­po­li­tik, zur unter­tä­ni­gen Auf­trags­for­schung gewor­den, kri­ti­sche Frie­dens­for­schung zurück­ge­drängt. Schrö­der (Ham­burg), Dei­tel­hoff (Frank­furt) und ande­re Lei­te­rin­nen und For­scher sind Main­stream: Nicht Frie­den, wie Grund­ge­setz und Nato-Ver­trag der Regie­rung vor­schrei­ben, sind Aus­gangs­punkt ihres Den­kens und Han­delns, statt­des­sen recht­fer­ti­gen »Erzäh­lun­gen« immer wei­te­re Waf­fen­lie­fe­run­gen und die Fort­set­zung der Krie­ge. Nicht Diplo­ma­tie und ein Kon­zept, wie man Frie­den und Sicher­heit wie­der­langt, sind Gegen­stand, und schon gar nicht die Fra­ge, ob deut­sche Regie­run­gen selbst in der Ver­gan­gen­heit Fehl­ent­schei­dun­gen getrof­fen haben. Eine Ver­ant­wor­tung dafür wird schlicht­weg aus­ge­schlos­sen. Klaus von Dohn­anyi im Inter­view der Welt­wo­che am 17.12.2024: »Man muss klar erken­nen, dass auf west­li­cher Sei­te der Main­stream jede ver­nünf­ti­ge Debat­te über die Mög­lich­keit einer Neu­an­nä­he­rung zwi­schen dem Westen und Russ­land blockiert.« Weil behaup­tet wird: »Wir waren an nichts schuld, nein, der Putin war’s.« Wegen die­ser Mei­nungs­ma­che sei auf län­ge­re Sicht eine Annä­he­rung oder gar eine Koope­ra­ti­on wohl aus­ge­schlos­sen, und Euro­pa fol­ge gehor­sam US-ame­ri­ka­ni­schen Inter­es­sen, drän­ge Russ­land an die Sei­te Chinas.

Den­noch: Ent­span­nungs­po­li­tik hat histo­risch bewie­sen, seit 1963, dass sie zur Ver­stän­di­gung, zur Abrü­stung und zur Ver­mei­dung gro­ßer Krie­ge füh­ren sowie und zur gemein­sa­men Sicher­heit. Ent­span­nungs­po­li­tik bedeu­tet, unter­schied­li­che Inter­es­sen zu haben, bedeu­tet, Gemein­sam­kei­ten zu suchen. Wider­spre­chen sich Inter­es­sen, müs­sen Kom­pro­mis­se Kon­flik­te lösen: Koope­ra­ti­on zum gegen­sei­ti­gen Nut­zen. Dar­an sind Minsk I und II 2014 und 2015 geschei­tert, nach­dem der »russ­land­freund­li­che« und auf Aus­gleich zwi­schen EU und Russ­land bedach­te Prä­si­dent Janu­ko­wytsch abge­setzt wor­den war. Kom­pro­mis­se und Ver­ein­ba­run­gen sind nicht ein­ge­hal­ten wor­den. Russ­land und die Ukrai­ne wer­fen sich gegen­sei­tig die Nicht­ein­hal­tung vor. Deutsch­land und Frank­reich haben den Kon­flikt nicht ein­däm­men können.

In Deutsch­land sam­meln sich die Zen­trums-Par­tei­en zur »demo­kra­ti­schen Mit­te«, die­se tra­di­tio­nel­len Par­tei­en rekla­mie­ren »Demo­kra­tie« für sich, dabei ist die Ent­wick­lung ledig­lich ein Reflex auf ver­än­der­te Grup­pen­in­ter­es­sen in der Gesell­schaft, es sind Par­tei­en, die nicht wirk­lich Lösun­gen der Pro­ble­me vor­le­gen. Die »Mit­te« hat sich des Staa­tes und sei­ner Insti­tu­tio­nen bemäch­tigt, gegen deren »Weis­heit« sich die Empö­rung und Wut immer grö­ße­rer Tei­le der Bevöl­ke­rung rich­tet. Gegen die wach­sen­de Wut schützt sich die­se poli­ti­sche Macht der Mit­te mit Allü­ren und Aus­re­den. Sie behaup­tet etwa, den demo­kra­ti­schen Staat zu ver­tei­di­gen, jenen Staat, den sie selbst in Besitz genom­men hat.

Weil die poli­ti­sche »Mit­te« zah­len­mä­ßig klei­ner wird, ist auch der Par­tei­en­staat der Mit­te in Gefahr. Aus­druck dafür ist eine Ver­bots­po­li­tik, die Kri­tik zu unter­bin­den ver­sucht. In Wirk­lich­keit ist Kri­tik gera­de das Instru­ment, Bil­dung und Bewusst­sein zu stär­ken. Die­ses wich­ti­ge Instru­ment aber wird aus den öffent­lich-recht­li­chen Medi­en und allen Ein­rich­tun­gen wei­test­ge­hend ver­bannt. Anpas­sung hat Hochkonjunktur.

Aber nur die Kri­tik kann Alter­na­ti­ven erzeu­gen. Das Mit­te-Kar­tell aber will uns seit drei Jah­ren weis­ma­chen, dass Krieg der Ernst­fall ist. Aus ihm wie­der aus­zu­stei­gen, ist schwer und kostet vie­le das Leben. Dass es nicht gelingt, zeigt, dass die Inter­es­sen der »Füh­rer« des Westens nicht auf Her­stel­lung eines trag­fä­hi­gen Frie­dens gerich­tet sind, son­dern auf ande­res. Sie haben ver­säumt, den Frie­den und die Sicher­heit gemein­sam zu ent­wickeln, also mit allen Län­dern Euro­pas, obwohl es auf poli­ti­scher und mili­tä­ri­scher sowie auf For­schungs­ebe­ne bedeu­ten­de Kon­zep­te und Anre­gun­gen gab. In der Pra­xis, spä­te­stens nach dem völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krieg gegen Jugo­sla­wi­en und den Irak, änder­te sich die Lage. Die Marsch­rich­tung lau­te­te nun Kon­fron­ta­ti­on statt Koope­ra­ti­on. Die Char­ta von Paris für ein neu­es Euro­pa geriet aus dem Blick. Hier liegt ein bedeu­ten­des Ver­säum­nis des soge­nann­ten Westens.

Seit­her stellt sich die grund­sätz­li­che Fra­ge nach den Zie­len deut­scher Regie­rungs­po­li­tik. Welt­fi­nanz­kri­se 2008, Fuku­shi­ma 2011, »Wir schaf­fen das« 2015. Die gro­ße Poli­tik mar­schiert seit min­de­stens zwei Jahr­zehn­ten von einem Dilem­ma ins näch­ste. Zu ver­heh­len, dass es um impe­ria­le Inter­es­sen geht, nicht nur beim Krieg um die Ukrai­ne, son­dern auch im Nahen Osten, um Syri­en, wäre fahr­läs­sig. Isra­el bom­bar­diert Syri­en. Völ­ker­rechts­wid­rig. Die Tür­kei ver­treibt die Kur­den und Syrer mili­tä­risch. Völ­ker­rechts­wid­rig. Der IS reor­ga­ni­siert sich. Völkerrechtswidrig.

Gegen die Mehr­heits­mei­nung in Deutsch­land wer­den »deut­sche« Inter­es­sen zuneh­mend welt­weit mili­tä­risch wahr­ge­nom­men, was als »Sicher­heits­po­li­tik« ver­kauft wird – demo­kra­ti­sche Neu­ord­nungs­vor­stel­lun­gen wer­den dage­gen nicht ent­wickelt, wo doch bra­chia­le Gewalt und Völ­ker­mord um uns her­um herrschen.

Not­wen­di­ge Hilfs­lei­stun­gen für die Ukrai­ne und alle Kriegs­ge­bie­te im eura­si­schen Kon­ti­nent ver­schlei­ern das Mili­tä­ri­sche und Impe­ria­le, das eigent­li­che Export­an­ge­bot des Westens. Gera­de erst in Afgha­ni­stan, vor­her im Irak geschei­tert, Liby­en und Syri­en mit­ver­ant­wor­tet, hat Euro­pa sich in eine noch tie­fe­re Kri­se gestürzt. Es hat sich ent­fernt von den koope­ra­ti­ven Grund­sät­zen der Char­ta von Paris für ein neu­es Euro­pa, der Char­ta der Ver­ein­ten Natio­nen und unse­rem Grund­ge­setz, in des­sen Zen­trum der FRIEDEN steht; nicht Selbst­be­stim­mung und nicht Frei­heit, weil Vor­aus­set­zung für ihr Gedei­hen eben der Frie­den ist. Das haben die Kriegs­exper­ten bis heu­te noch nicht begriffen!

Deut­sche Inter­es­sen­po­li­tik im Nahen Osten, und nicht nur da, dehnt sich in Euro­pas Osten aus und greift in den asia­tisch-pazi­fi­schen Raum mili­tä­risch ein – wenn auch ver­zwergt. Sie, die nicht ein­mal in der Lage sind, Euro­pa zu demo­kra­ti­sie­ren? Eine Poli­tik für die Bevöl­ke­rung zu ent­wickeln, mit guter Bil­dung, guten Infra­struk­tu­ren und gerech­tem Ein­kom­men für alle, Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung von Aus­po­werung gro­ßer Tei­le der Men­schen zu ergrei­fen? Und der gesell­schafts­schäd­li­chen Ent­wick­lung der pri­va­ten Reich­tums- und Kapi­tal­kon­zen­tra­ti­on für Weni­ge und eines noch nicht an sein Ende gekom­me­nen Nie­der­gangs gesell­schafts­wich­ti­ger Infra­struk­tu­ren und Zer­stö­rung unse­rer Lebens­grund­la­gen entgegenzuwirken!?

Frie­dens­po­li­tik heißt Sozi­al­po­li­tik und Bil­dungs­po­li­tik, kei­nes­falls Rüstungs­po­li­tik und Bil­lio­nen-Euro­ver­pflich­tun­gen für den Auf­bau ande­rer Län­der, noch ehe ein Plan zur gerech­ten Sanie­rung und zum Auf­bau Deutsch­lands und Euro­pas vor­ge­legt wur­de. Nur Ent­span­nungs- und Frie­dens­po­li­tik kann dies Bevor­zu­gung destruk­ti­ver Arbeits­kraft ver­mei­den. Eine Mehr­heit dafür gibt es. Das berich­tet sogar die deutsch-atlan­ti­sche Zeit­schrift Inter­na­tio­na­le Poli­tik. »Nur(!) noch 39 Pro­zent der Deut­schen« spricht sich für ein stär­ke­res außen­po­li­ti­sches »Enga­ge­ment(!) Deutsch­lands in der Welt aus«, »55 Pro­zent sind dage­gen«. Trotz jah­re­lan­ger media­ler Pro­pa­gan­da und »Nar­ra­ti­ve«. Deutsch­land will kei­nen Krieg! Und die Par­tei­en der Mit­te boy­kot­tie­ren Diplo­ma­tie, Waf­fen­still­stand und den Frie­dens­wil­len der Mehrheit.

Was ist eigent­lich eine Poli­tik der Ent­span­nung im Kon­text inter­na­tio­na­ler Bezie­hun­gen zwi­schen den Staa­ten? Ent­span­nung braucht einen Plan, wie­der­hol­te Tref­fen und Ver­hand­lun­gen. Kurz­fri­sti­ge Lösun­gen und Kon­trol­len; die Ergeb­nis­se davon mani­fe­stie­ren sich dann in einem Ver­trag, dem kon­sul­ta­ti­ve Mög­lich­kei­ten bei­gege­ben sein soll­ten, um offen zu wer­den und zu blei­ben für Ver­hand­lungs­er­geb­nis­se im Inter­es­se der Men­schen, etwa ana­log zu den Ost­ver­trä­gen. Es wer­den Jah­re zunächst wohl der Ver­här­tung und Abschot­tung ver­ge­hen. Der Krieg Russ­lands hat uns alle zurück­ge­wor­fen, auf eine Zeit zurück in einen Modus der Här­te und des Unver­ständ­nis­ses. Zwi­schen 1946 und 1963 ver­gin­gen 18 Jah­re, dann ein zähes Rin­gen und Mor­den in Stell­ver­tre­ter­krie­gen bis 1990. Was ist also nach 1990 schief­ge­lau­fen? Die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge geht auch uns im Westen an!

Chri­stia­ne Rix, eine Wis­sen­schaft­le­rin, die einst am noch nicht gewen­de­ten Ham­bur­ger Insti­tut für Frie­dens­for­schung und Sicher­heits­po­li­tik beschäf­tigt war, defi­nier­te: »Ent­span­nung heißt, mit den Span­nun­gen in den inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen umge­hen und ver­su­chen sie zu min­dern.« Eine Außen­po­li­tik, die das anstre­be, brau­che ein Instru­men­ta­ri­um, das es mög­lich mache, Kon­flik­te zu beherr­schen. Wenn alle Staa­ten über­ein­kom­men, Kon­flik­te und Kri­sen unter­ein­an­der zu bear­bei­ten, Ver­ein­ba­run­gen zu ent­wickeln und Ver­trä­ge zu schlie­ßen, wür­de die­ses dann gemein­sa­me Inter­es­se einen bei­der­sei­ti­gen Nut­zen zur Fol­ge haben und ihren Gesell­schaf­ten die­nen. Aus den Erfah­run­gen der Geschich­te nach 1990 ist zu ler­nen, was da schief­ge­lau­fen ist. Und aus der Mensch­heits­ge­schich­te, dass nie nur einer schuld ist, son­dern mehr oder weni­ger auch ande­re Betei­lig­te, die es – in »a long distance« – nicht ver­hin­dert haben. Es geht um Sicher­heit und Frie­den in Euro­pa und in der Welt. Es geht schlicht­weg ums Über­le­ben der MENSCHHEIT.