Sieben Professoren des Westfälischen Energieinstituts an der Westfälischen Hochschule haben ein aktualisiertes und erweitertes Positionspapier unter dem Titel »Energie- und Klimawende zwischen Anspruch, Wunschdenken und Wirklichkeit – Umsetzungspfade« verfasst. Die Autoren, fünf Ingenieure und Naturwissenschaftler und zwei Ökonomen (einer davon ist der Verfasser des Artikels) setzen sich darin aus technischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Perspektive kritisch mit der Energiepolitik auseinander. Dem aktuellen Energiewende-Kurs der Bundesregierung zur Lösung der anstehenden energiepolitischen Herausforderungen stellen die Forschenden kein positives Zeugnis aus. Bereits 2022 hatten die Professoren in einer ersten Stellungnahme zur aktuellen Entwicklung der sich weltweit verschärfenden Klimakrise die Herausforderungen sowie potenzielle Lösungsansätze dargestellt. »Die vor zwei Jahren präsentierten Eckpunkte sind nach wie vor relevant«, erklären die Autoren in der überarbeiteten Studie. »Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, wie beispielsweise dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Schuldenbremse, gab es an verschiedenen Stellen jedoch Aktualisierungsbedarf. Zudem haben wir neue technische Erkenntnisse eingearbeitet und uns mit den Auswirkungen der zwischenzeitlich veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen beschäftigt.«
Die erste Studie hatten die Autoren mit einem Begleitschreiben im Mai 2022 Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) zugänglich gemacht. Er hielt es aber in seiner Machtarroganz für nicht notwendig, darauf zu antworten. Auch die neue und überarbeitete Studie ist ihm zugestellt worden. Die forschenden Professoren fokussierten in ihrer Arbeit u. a. folgende Befunde in der zweiten Auflage ihres Positionspapiers:
Erstens, um die deutschen Klimaziele bei Gewährleistung von Versorgungssicherheit einhalten zu können, müssen bis 2045 über 100 Terawattstunden (TWh) an Wasserstoffspeichern, mehr als 700 TWh an grünen Wasserstoffimporten sowie mindestens 100 Gigawatt (GW) an Backup-Kraftwerken realisiert werden. Dies übersteigt die technischen Vorgaben der Bundesregierung um ein Vielfaches. Es wird spätestens 2030 eine erhebliche Strom-Lücke entstehen, die zu ernsthaften Stromunterbrechungen führen wird und die damit eine dringend gebotene uneingeschränkte Versorgungssicherheit in Frage stellt. Hier kommt die Westenenergie-Chefin, Katherina Reiche, zu einem ähnlichen Befund (»Westenergie-Chefin befürchtet ›Strom-Lücke‹« WAZ vom 13. März 2024). Westenergie ist das Tochterunternehmen im Eon-Konzern, dass über 180.000 Kilometer Stromleitungen und etwa 24.000 Kilometer Gaspipelines in NRW, Rheinland-Pfalz und Niedersachen verfügt und außerdem an vielen kommunalen Stadtwerken mit ihren Verteilernetzen beteiligt ist. Auch der Bundesrechnungshof kritisiert die Bundesregierung scharf. Die Regierung verfehle ihre selbstgesteckten Ziele aktuell in allen Belangen: »Die sichere Versorgung ist gefährdet, der Strom teuer, während die Bundesregierung die Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt nicht umfassend bewerten kann«, so der Rechnungshofpräsident Kay Scheller. Hierzu äußerte sich Habeck: »Den Bericht des Bundesrechnungshofs habe ich zur Kenntnis genommen, mehr aber auch nicht.« Er könne die Kritik nicht nachvollziehen. Die Erzeugungspreise für Strom seien auf Vorkriegsniveau, der Ausbau der Erneuerbaren nehme Fahrt auf. »Ich sage nicht, dass wir durch sind. Aber zu sagen, die Bundesregierung tut nicht genug (…), ist eine erstaunliche Wahrnehmung, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.« Später betonte Habeck noch einmal, die Ampelkoalition habe die Probleme von den früheren Regierungen geerbt. Der Netzausbau sei wichtig, um die Strompreise zu senken. Aber er koste jetzt erst einmal Geld. »Dafür hätte ich nicht den Bericht des Bundesrechnungshofs gebraucht. Jeder, der nachdenken kann, sieht, dass das ein Problem ist.« Da habe der Rechnungshof »einen Punkt«, so Habeck – und schob noch ein »Schönen Dank dafür« nach.
Es ist bezeichnend, wie Habeck auf die Kritik des Bundesrechnungshofes reagiert. Wie jemand, der den Überblick über sein Tun und die damit verbundenen Konsequenzen verloren hat. Habeck, wie vielen anderen auch, geht es ausschließlich um eine ideologische Umsetzung der Energiewende, ohne fachliche Kompetenz. Man könnte auch sagen, sie wissen nicht, was sie tun bzw. was sie an gesellschaftlichem Schaden anrichten. Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit, gegen jedes Zehntelgrad mehr bei der Erderwärmung zu kämpfen, darf die Rationalität bei der Reduktion der CO2-Emissionen nicht auf der Strecke bleiben. Deutschland hat hier eine hohe Verantwortung, aber allein wird Deutschland das Welt-Klima nicht retten können.
Zweitens stellt das Westfälische Energieinstitut fest: Auch aus ökonomischer Sicht erweist sich die Energiepolitik der Bundesregierung als zu kurz gedacht. Die Hoffnung, allein die Märkte in Verbindung mit einer CO2-Bepreisung würden zu einer effizienten Organisation der Energiewende führen, ist naiv. Eine marktwirtschaftlich inhärente Lösung funktioniert nicht. Sie führt nur zu suboptimalen Ergebnissen. Staatliche Interventionen sind hier dringend geboten. Es bedarf hier der Ergänzung um Industriestrompreise, Differenzverträge und grüne Leitmärkte – allerdings in sehr restriktiver Handhabung, um asymmetrische Vorteilnahmen auszuschließen. Zugleich sollte das Energieeffizienzgesetz tatsächlich auf eine erhöhte Energieeffizienz und nicht auf einen von der Klimaneutralität der Energie unabhängigen verringerten Energieverbrauch abstellen. Dies funktioniert in der Praxis nicht.
Drittens konstatieren die Professoren: Die Energiewende erfordert immense private und staatliche Investitionen (ca. 90 Mrd. € p.a.), die für sich genommen zwar durchaus stemmbar sind. Diese konkurrieren aber mit vielen unterinvestierten Bereichen wie der öffentlichen Infrastruktur, dem Wohnungsbau sowie Bildung, Gesundheit und Digitalisierung (zusätzlich mindestens 250 Mrd. € p.a.). Die Hoffnung auf eine Finanzierung durch ein »grünes« Wirtschaftswachstum ist dabei ein reines Wunschdenken. In Summe stößt Deutschland auch vor dem Hintergrund der Alterung in der Bevölkerung und einer nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit sowie einer Armutsquote von mittlerweile fast 17 Prozent an die Grenzen des Machbaren – trotz einer hohen gesamtwirtschaftlichen Sparsumme von jährlich rund 300 bis 350 Milliarden Euro. Davon werden aber um die 200 bis 250 Milliarden zur Finanzierung der Außenwirtschaftsüberschüsse benötigt, die von der herrschenden neoliberalen Politik und ihren Claqueuren nicht in Frage gestellt werden. Das heißt, es sind Finanzierung-Priorisierungen unausweichlich. Die Politik bietet dazu aber keine ganzheitlichen Lösungskonzepte an.
Viertens, selbst wenn die Finanzierung gesamtwirtschaftlich darstellbar wäre, so ist sie es jedenfalls nicht, ist mit Blick auf die Lastenverteilung der Energiewende bei einem »weiter so« der soziale Frieden hochgradig gefährdet. Dies hat bereits heute politische Implikationen und demokratiegefährdende Auswirkungen. Um die unteren Einkommensgruppen durch die Energiewende nicht zu überfordern, bedarf es dringend einer drastischen Umverteilung des Einkommens und des Vermögens sowie der Aufnahme von staatlichen Schulden, entweder durch die Auflage eines Sondervermögens oder durch die Abschaffung der jetzigen Schuldenbremse. Die Energiewende wird ohne eine Umverteilung beim Einkommen und Vermögen nicht funktionieren. Dies verschweigt die amtierende Regierung völlig. Es wird höchste Zeit, dass Realismus und Ehrlichkeit bei allem politischen Wunschdenken stärkere Berücksichtigung bei der Energiewende finden. Ein zwingend notwendiger Masterplan der Bundesregierung ist derzeit aber nicht einmal im Ansatz erkennbar. So schlingern wir in eine Energiewende, die gesellschaftlich und wirtschaftlich Stückwerk ist und bleibt.
Die Zusammenfassung und die Langfassung der Studie finden sich auf der Website des Westfälischen Energieinstituts