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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ende einer Traditionspflege

Es ist inzwi­schen unbe­strit­ten, dass die bun­des­deut­sche Justiz bei der Ver­fol­gung von Nazi­ver­bre­chen in wei­ten Tei­len ver­sagt hat. Über Jahr­zehn­te wur­den Tat­ver­däch­ti­ge nur halb­her­zig ins Visier genom­men und, wenn über­haupt, ver­hiel­ten sich die Ermitt­lungs­be­hör­den nicht sel­ten »wie der Jagd­hund, der zur Jagd getra­gen wer­den muss« (F. K. Kaul). Auch die in den letz­ten Jah­ren gegen eini­ge weni­ge 95-Jäh­ri­ge oder älte­re Beschul­dig­te ein­ge­lei­te­ten Ver­fah­ren kön­nen die­sen Makel nicht rück­wir­kend besei­ti­gen. Die Auf­fas­sung, dass jeder, der in einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger »Dienst« getan hat und auf die­se Wei­se das Funk­tio­nie­ren der Mord- und Gewalt­herr­schaft unter­stütz­te, auch wegen der Bei­hil­fe zu sol­chen Unta­ten zu bestra­fen ist, setz­te sich auch erst im Jahr 2011 im Zusam­men­hang mit der Ver­ur­tei­lung von John Dem­jan­juk durch das Land­ge­richt Mün­chen II durch.

Seit knapp zwei Jahr­zehn­ten wur­den suk­zes­si­ve meh­re­re wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chun­gen vor­ge­legt, die die Beschäf­ti­gung ehe­ma­li­ger Nazi­ju­ri­sten in ver­schie­de­nen hohen Bun­des­be­hör­den – vom Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ste­ri­um bis hin zur Gene­ral­bun­des­an­walt­schaft – in den ersten Jah­ren der jun­gen Bun­des­re­pu­blik bestä­ti­gen. Gegen­wär­tig wird unter­sucht, wel­che frü­he­ren Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt eben­falls so in die Nazi-Justiz ver­strickt waren, dass sie nach der Zer­schla­gung des Hit­ler­fa­schis­mus nicht hät­ten dort beschäf­tigt wer­den dür­fen. Ver­schie­de­ne juri­sti­sche Stan­dard­wer­ke, die bei der Aus­bil­dung und in der Pra­xis benutzt wer­den, wur­den einst von nazi­be­la­ste­ten Juri­sten vor­ge­legt. Sie tru­gen dann in der Fol­ge auch in der Regel deren Namen. Beim Kom­men­tar zum Bür­ger­li­chen Gesetz­buch bei­spiels­wei­se arbei­te­te man noch bis vor kur­zem mit dem »Palandt«.

Otto Palandt (1877-1951) »dien­te rück­halt­los dem Natio­nal­so­zia­lis­mus« und hat »ins­ge­samt zu einer Ver­tie­fung der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Unrechts­auf­fas­sung bei­getra­gen«. Das ist das Ergeb­nis einer Stu­die, die dem frü­he­ren Prä­si­den­ten des Reichs­ju­stiz­prü­fungs­am­tes eine erheb­li­che Ver­strickung in die NS- Justiz bescheinigt.

Bei dem »Schön­fel­der« wie­der­um han­del­te es sich um eine Geset­zes­samm­lung der wesent­li­chen deut­schen Geset­ze, die in einem Lose­blatt­band auf dem Lau­fen­den gehal­ten und ergänzt wur­den. Auch ihn gab es bereits zur Nazi­zeit. Hein­rich Schön­fel­der (1902-1944) hat­te sich vor allem bereits vor 1933 für die Ein­füh­rung einer faschi­sti­schen Dik­ta­tur ausgesprochen.

Ein Drit­ter im Bun­de ist Adolf Schön­ke, der einen Straf­rechts­kom­men­tar her­aus­ge­ge­ben hat, der noch bis vor kur­zem wei­ter­hin mit sei­nem Namen ver­bun­den gewe­sen ist. Auch er war ein inten­si­ver Ver­fech­ter der faschi­sti­schen Rechts­auf­fas­sun­gen. Erst jetzt hat der Ver­lag ent­schie­den, das Werk künf­tig als »Tübin­ger Kom­men­tar zum StGB« erschei­nen zu las­sen. Der »Palandt« wur­de im Jahr 2021 in »Grü­ne­berg« umbe­nannt und im glei­chen Jahr der »Schön­fel­der« in Haber­sack. Bei­de Wer­ke tra­gen nun­mehr die Namen von Her­aus­ge­bern, die nicht mehr in einer Nazi­tra­di­ti­on stehen.

Bis etwa Mit­te der 1990er Jah­re trug auch der Stan­dard­kom­men­tar zur Straf­pro­zess­ord­nung noch den Namen von Edu­ard Dre­her (1907-1996). Er war einst Staats­an­walt am Son­der­ge­richt in Inns­bruck, wo er Todes­stra­fen wegen Baga­tell­de­lik­ten bean­trag­te. Ihm wur­de beschei­nigt, dass er poli­tisch »voll­kom­men über­zeu­gungs­treu und ver­läss­lich« in die­sen Zei­ten gewe­sen sei. Ab 1951 war er dann als lei­ten­der Mini­ste­ri­al­be­am­ter im Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ste­ri­um beschäf­tigt. Es gibt zumin­dest Hin­wei­se dar­auf, dass er an einer 1968 erfolg­ten Ände­rung von § 50 des Straf­ge­setz­bu­ches betei­ligt gewe­sen sein soll, die letzt­lich zahl­rei­chen Nazi­tä­tern zur Amne­stie über die Hin­ter­tür verhalf.

Zu erwäh­nen wäre in dem Zusam­men­hang noch Theo­dor Maunz (1901-1993) der bereits 1933 der Nazi­par­tei und der SA bei­getre­ten war und sich in der Leh­re und For­schung als nach­hal­ti­ger Unter­stüt­zer des faschi­sti­schen Regimes erwies. Nach dem Ende der Nazi­dik­ta­tur lehr­te er Ver­wal­tungs­recht an der Uni­ver­si­tät in Mün­chen und gab seit 1958 einen der bekann­te­sten Kom­men­ta­re zum Bon­ner Grund­ge­setz her­aus. Dem­ge­mäß war die­ses Werk eben­falls maß­geb­lich mit sei­nem Namen ver­bun­den und erfor­der­te eine Umbe­nen­nung, die auch 2021 erfolgt ist. Maunz und Dre­her waren übri­gens bereits 1968 im Braun­buch der DDR zu Kriegs- und Nazi­ver­bre­chern in der BRD und West­ber­lin mit ihrer dunk­len Ver­gan­gen­heit erwähnt. Ins­ge­samt dau­er­te es also fast acht Jahr­zehn­te bis die Namens­ge­ber juri­sti­scher Stan­dard­wer­ke, die die Ter­ror­ju­stiz unter­stütz­ten, besei­tigt wur­den. Der Bruch mit die­ser Tra­di­ti­on war mehr als überfällig.