Die seit längerem schwelende Weltwirtschaftskrise, die aktuelle Covid-19-Pandemie und die US-Sanktionen bringen die globalisierten Wirtschaftsbeziehungen in Turbulenzen. Zerrissene Lieferketten und betroffene Produktionsstätten werden neu eingerichtet, vor allem in Südostasien. Afrika steht in der globalen Wertschöpfungskette neokolonial am Anfang und am Ende. Am Anfang bietet der Kontinent als Rohstofflieferant Essbares wie »Süd«-Früchte und Kakao oder Kostbares wie Diamanten und Mineralien auf dem Weltmarkt zu wohlfeilen Preisen an. Am Ende der imperialistischen Wertschöpfungskette häuft sich auf dem afrikanischen Kontinent der Abfall aus westlicher Industrie zu Bergen, sei es Wiederverwertbares wie gefrorene Fleischreste, gebrauchte Klamotten oder IT-Schrott, zu ebenso wohlfeilen Preisen gehandelt, oder aber zu Entsorgendes wie Chemieabfälle oder Giftmüll dubioser Geschäftemacher.
Das US-Modell
Harry Sullivan, von 2016 bis 2018 Director for Africa im US-Außenministerium, stellte in einer Pressekonferenz 2018 ein »vorbildliches Beispiel« für die US-Afrika-Partnerschaft vor: In Togo kauft die – von Amerikanern 2003 gegründete – Nichtregierungsorganisation Alafia von örtlichen Kooperativen die für Kosmetik gesuchte Karité-Butter auf, um sie an das US-amerikanische Unternehmen Whole Foods Market Inc. zur Verarbeitung in Seifen, Shampoos und Handwaschmitteln zu verkaufen. Was er nicht sagte: Im Jahr 2017 hatte Amazon die Bio-Naturkost-Kette für 13,7 Milliarden Dollar aufgekauft. Der US-amerikanische Botschafter in Togo ließ es sich im Dezember des gleichen Jahres nicht nehmen, das repräsentative Alafia-Regionalbüro in Baguida, dem noblen Vorort der togoischen Hauptstadt Lomé, einzuweihen. Heute kann Harry Sullivan als Vize-Botschafter in Togo an seiner weiteren Karriere basteln.
Am anderen Ende der Wertschöpfungskette werden aus Kleiderabfällen Monopolprofite gesichert. So verwandelt die 1932 gegründete Secondary Materials and Recycled Textiles Association, SMART, gesammelten Textilmüll in Dollar. Um die Größenordnung des Geschäfts nur anzudeuten: Allein die 2011 gegründete Schweizer SMART-Recycling AG mit Sitz in Nods machte im Jahr 2018 Reklame, mit »Get cash for clothes« schon 50 Millionen Schweizer Franken Umsatz gemacht zu haben.
Das Geschäft drohte zu leiden, als 2016 die Ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, EAC, Restriktionen beschloss, um die lokale Textilindustrie aufzubauen und zu schützen. Importierte gebrauchte Klamotten, also Textilmüll, sollten mit Zoll belegt werden. Ventures Africa, das nigerianische Online-Wirtschafsmagazin, führte am 3. März 2020 eine Studie der US-Agentur für Internationale Entwicklung USAID an, der zufolge 20 Prozent der gesamten US-Direktexporte von Gebrauchtkleidung in die EAC erfolgen. Eine widersprüchliche Entwicklung: An Second-hand-Klamotten hängen nicht nur Märkte mit x-Tausenden Kunden, sondern auch Tausende von Jobs.
Als Tansania, Burundi und Rwanda Zollerhöhungen 2018 umsetzten, drohte US-Außenminister Rex Tillerson, die Zollvergünstigungen gemäß dem Africa Growth Opportunity Act, AGOA, der 6000 Produkte zollfrei stellt, für den Export zu streichen, was seine Wirkung nicht verfehlte: Tansania und Uganda nahmen ihre Zollgesetze wieder zurück.
Wie wohl Mike Pompeo reagieren wird, wenn die EAC-Länder ihren im Februar 2020 in Zanzibar angepassten Plan auf ihrem wegen Corona mehrmals verschobenen Gipfeltreffen annehmen? Um 25 bis 35 Prozent sollen die Zollgebühren für in vier »Bänder« eingestufte Importe erhöht werden. 1294 Produkte, darunter Zucker, Mehl, Reis und Milch, wurden benannt, aber erst zu 327 Tarifen bestehe Übereinstimmung, während 401 Tarife im Streit lägen, so Venture Africa.
Ein Weg aus der Armut: Höhere Wertschöpfung durch Weiterverarbeitung
Die neoliberale Politik von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und EU, Kredite mit der Auflage von »Anpassungsreformen« zu vergeben, prägte die neokoloniale Ära seit den 80er Jahren. Staatsunternehmen wurden privatisiert. Die erzwungene Öffnung der Märkte führte die lokale Industrie in den Bankrott. Die afrikanischen Länder gerieten in den 80er/90er Jahren in eine Schuldenfalle, die es verhinderte, die aus inländischen Vorkommen stammenden Rohstoffe weiterzuverarbeiten und industrielle Güter herzustellen.
Die seit dem Jahre 2000 im dreijährigen Rhythmus abwechselnd in China und in Afrika stattfindenden Foren sino-afrikanischer Zusammenarbeit (FOCAC) und ihre jährlichen Kalibrierungsmeetings haben den Kontinent verändert – weniger durch die Größe des Kapitalzuflusses der Direktinvestitionen, hier nimmt weit abgeschlagen China den vierten Platz hinter den USA, Großbritannien und Frankreich ein, sondern vielmehr durch den Aufbau von Verkehrsinfrastruktur, kombiniert mit der Gründung einer Vielzahl von Industriezonen als Inkubator industrieller Entwicklung.
Für die Elfenbeinküste versicherte sich im Jahr 2012 Präsident Alassane Ouattara im Rahmen des 5. FOCAC-Forums chinesischer Investitionen in Infrastrukturprojekte in Höhe von 5 Milliarden Dollar – darunter aktuelle Großprojekte für den Hafenausbau von Abidjan, für die Infrastruktur des Abidjaner Stadtteils Yopougon, für ein Wasserkraftwerk am Sassandra-Fluss, so der Wirtschaftsausblick von German Trade & Invest vom 6. August 2020.
Der Aufbau eines speziellen agroindustriellen Sektors kommt in der Elfenbeinküste voran: Schokolade aus eigener Produktion – dank FOCAC wird ein ivorischer Traum Wirklichkeit. Cémoi, der französische Chocolatier, hatte 2015 die Fabrikation für den regionalen Markt aufgenommen. Benjamin Sexy, Regionaldirektor von Cémoi, machte die Rechnung auf: »Nur 30 bis 50 Gramm Schokolade pro Einwohner wird konsumiert, gegenüber acht Kilogramm in Europa und 500 Gramm in China.« (L’Usine nouvelle, 16.6.2016). Nach Zahlen der Internationalen Kakao-Organisation ICCO produzierte die Elfenbeinküste im Jahr 2017 2,1 Millionen Tonnen Kakao (44 Prozent des Weltmarkts), was gerade 3,3 Milliarden Dollar im Handel einbrachte, während allein in den USA die Schokoladen-Monopole 22 Milliarden Dollar umsetzten (The Africa Report, 8.9.2020). Dass nur drei Prozent der globalen Einnahmen aus der Schokolade in Afrika generiert werden, will der ivorische »Conseil Café-Cacao« (CCC) ändern.
Wie Jeune Afrique am 25. Juni berichtete, hat CCC über den Partner China Light Industry Design (CNDC) bei der China Exim Bank einen Kredit von etwa 330 Millionen Dollar aufgenommen, der über die Gewinne der neuen Unternehmen und aus der Kakao-Steuer abgetragen werden soll. Ein Fabrikkomplex wird in den nächsten zwei Jahren in der ivorisch-chinesischen Industriezone PK-24 bei Abidjan errichtet, ein zweiter am Hafen von San Pedro. Die Nachrichtenagentur Reuters informierte am 22. September, dass dadurch die Weiterverarbeitungskapazität um 14 Prozent auf 710.000 Tonnen erweitert werde. China garantiere die Abnahme von 40 Prozent des Outputs der beiden Fabriken, um im Rahmen seiner »dual circulation«-Strategie die heimische Nachfrage zu stimulieren. CCC-Generaldirektor Yves Koné plant bereits für das Knowhow eine Berufsschule für Schokoladenherstellung und Patisserie und eine Berufsakademie für die Aus- und Fortbildung der Ausbilder.
Das Projekt enthält auch die Errichtung zweier großer Lagerhäuser, die insgesamt bis zu 300.000 Tonnen aufnehmen, um nicht sofort verkaufen zu müssen und so die Abhängigkeit vom Weltmarkt und seinen wohlfeilen Preisen zu vermindern und höhere Preise für die Kakaofarmer zu erzielen. Präsident Alassane Ouattara hat am 1. Oktober ein Wahlgeschenk angekündigt, die gesetzliche Erhöhung des Abnahmepreises pro Kilo Kakaobohnen um 21 Prozent auf 1000 CFA-Franc (1,52 Euro). »Genug zum Überleben, aber nicht genug zum Leben«, so Moussa Koné, der Vorsitzende des Bauernverbandes »Syndicat national agricole pour le progres en Cote d’Ivoire« in Le Monde vom 2. Oktober.
Die Abhängigkeit vom Weltmarkt und seinen wohlfeilen Preisen zu vermindern, ist erklärtes Ziel der Präsidenten der Elfenbeinküste und Ghanas, Alassane Ouattara und Nana Akufo-Addo. Beide Länder produzieren 65 Prozent aller Kakaobohnen des Weltmarktes. Am 26. März 2018 installierten sie mit der »Deklaration von Abidjan« eine Kooperation nach dem Modell der erdölproduzierenden Länder, eine Kakao-OPEC. Der ivorische CCC und der Cocoa Board von Ghana vereinbarten im Juli 2019 einen Mechanismus für die Kakaofarmer zum Ausgleich des (niedrigeren) Weltmarktpreises. Außerdem stellten sie den Verkauf ein, so dass nach nur einem Monat Verhandlungen die Händler und Schokoladenmultis zukünftig eine Prämie akzeptierten: 400 Dollar pro Tonne auf alle Verkaufsverträge.
Ein Anfang auf einem weiten Weg.