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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Elektroschrott ohne Ende

Dass Tag für Tag Unmen­gen an Elek­tro­schrott anfal­len, ist all­seits bekannt. Um wel­che Grö­ßen­ord­nung es sich tat­säch­lich han­delt, ist aber weit­ge­hend unbe­kannt. Vom Han­dy bis zur Wasch­ma­schi­ne, vom Elek­tro­ka­bel bis zum Bild­schirm, in nur 12 Jah­ren hat sich die Gesamt­men­ge an Elek­tro­schrott welt­weit fast ver­dop­pelt. Allein im Jahr 2022 wur­den auf unse­rem Pla­ne­ten 62 Mil­li­ar­den Kilo­gramm Elek­tro­schrott erzeugt. Das ent­spricht einer Ladung von 1,55 Mil­lio­nen LKWs mit einer Trag­last von 40 Ton­nen. Die­se LKW-Flot­te anein­an­der­ge­reiht wür­de den Äqua­tor fast gänz­lich umrun­den. Ten­denz stei­gend. 1 Mil­li­on Ton­nen Elek­tro­schrott lan­de­te allein 2020 und auch 2021 in Deutsch­land in den Abfall­sam­mel­stel­len. Das ent­sprä­che einem Gesamt­ge­wicht von 100 Eiffeltürmen.

Sind Elek­tro­ge­rät­schaf­ten erst ein­mal unbrauch­bar, gibt es ver­schie­de­ne Wege, die sie durch­lau­fen. Jede Kom­mu­ne ver­fügt mitt­ler­wei­le über einen Recy­cling­hof, auf denen Gerä­te kosten­frei abge­ge­ben wer­den kön­nen. Mit viel Idea­lis­mus bie­ten Frei­wil­li­ge die kosten­lo­se Repa­ra­tur in Repair-Cafés an und brin­gen mit ein­fa­chen Hand­grif­fen die Tei­le wie­der in Schuss; ein lobens­wer­ter Ein­satz, aber natür­lich nur ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein.

Aller­dings wer­den gro­ße Men­gen teils aus Bequem­lich­keit, teils aus Unkennt­nis ein­fach im Haus­müll oder der gel­ben Ton­ne ent­sorgt, eine unge­setz­li­che Hand­lung, da Elek­tro­müll eine Men­ge gif­ti­ger Sub­stan­zen ent­hält und Umwelt und Grund­was­ser kon­ta­mi­nie­ren. Laut einer Hoch­rech­nung aus dem Jahr 2020 lie­gen in Deutsch­land cir­ca 200 Mil­lio­nen alte Han­dys unge­nutzt in pri­va­ten Haus­hal­ten her­um. Groß­ge­rä­te wer­den häu­fig nicht sach­ge­recht ent­sorgt, weil sie in dubio­sen Schrott­händ­ler-Kanä­len ver­schwin­den. Pro­fes­sio­nel­le Schrott­samm­ler wer­ben immer wie­der mit Post­wurf­sen­dun­gen, um Alt­ge­rä­te abzu­ho­len. Häu­fig besteht hier die Gefahr, dass kei­ne umwelt­ge­rech­te Ent­sor­gung statt­fin­det, son­dern die Gerä­te ins Aus­land ver­bracht wer­den. Nur 32 Pro­zent des Elek­tro­schrotts wird ord­nungs­ge­mäß ent­sorgt. Somit ist Deutsch­land mei­len­weit von der EU-weit vor­ge­schrie­nen Sam­mel­quo­te von 65 Pro­zent entfernt.

Ein Grund für die rie­si­gen Men­gen an E-Schrott liegt aber auch im gedan­ken­lo­sen Kon­sum­ver­hal­ten. Salz- und Pfef­fer­müh­len gibt es auch ohne elek­tri­sche Funk­ti­on, Gruß­kar­ten müs­sen nicht sin­gen und Kin­der­schu­he müs­sen beim Lau­fen nicht blinken.

Da die fach­ge­rech­te Ent­sor­gung von Elek­tro­müll eine kom­pli­zier­te Ange­le­gen­heit dar­stellt, ist der Kosten­auf­wand ent­spre­chend hoch und das gan­ze finan­zi­ell wenig ergie­big. Ein Mix von rund 1000 ver­schie­de­nen Sub­stan­zen kann ins­ge­samt im Elek­tro­schrott ent­hal­ten sein. Bei­spiels­wei­se beinhal­tet ein Han­dy etwa 60 ver­schie­de­ne Roh­stof­fe. Maxi­mal fünf ver­schie­de­ne Metall­sor­ten wer­den durch Recy­cling zurück­ge­won­nen. In der Regel wer­den Smart­phones nach 18 Mona­ten dem Müll übergeben.

Was pas­siert mit dem Elek­tro­schrott? Da jeder Mensch in Deutsch­land sta­ti­stisch pro Jahr durch­schnitt­lich 12,5 Kilo­gramm Elek­tro­ab­fall pro­du­ziert (Stand 2020), müss­te eigent­lich ein ver­gleich­ba­res Ent­sor­gungs­sy­stem wie bei Papier-, Glas- oder der Bio­ton­ne vor­han­den sein. Dem ist aber nicht so, eine Haus­ent­sor­gung gibt es nicht. Gro­ße Men­gen von ver­wert­ba­ren Metal­len wür­den nicht in undurch­sich­ti­gen Kanä­len ver­schwin­den, son­dern lie­ßen sich recy­clen. Pla­ti­nen z. B. ent­hal­ten Gold, Kup­fer, Zinn, Blei und sel­te­ne Erden. In Han­dys und Smart­phones kommt das wert­vol­le Roh­ma­te­ri­al Pal­la­di­um vor. Zum einen besteht E-Schrott-Mate­ri­al aus wert­vol­len Mate­ria­li­en, die als Roh­stof­fe zurück­ge­won­nen wer­den kön­nen, zum ande­ren aber auch aus hoch­gra­dig gif­ti­gen Sub­stan­zen wie Arsen, Cad­mi­um, Queck­sil­ber und krebs­er­re­gen­den Dioxi­nen. Bro­mier­te Flamm­schutz­mit­tel fin­den sich in Kunst­stoff­ge­häu­sen von Com­pu­tern und Fern­se­hern, gif­ti­ge Stof­fe, die kei­nes­falls in Böden oder Grund­was­ser gelan­gen dürfen.

Was pas­siert aber mit die­sem Rest­müll, wenn die wert­vol­len Metal­le ent­nom­men wor­den sind? Dar­über ist nur wenig bekannt. Teil­wei­se wer­den sie in Son­der­müll­de­po­nien trans­por­tiert, der Son­der­müll­ver­bren­nung zuge­führt oder in Hoch­öfen, bei­spiels­wei­se bei der Her­stel­lung von Zement, ein­fach ver­feu­ert. Kunst­soff-Ver­feue­rung als Ersatz­brenn­stoff fin­det aber auch in Stahl­wer­ken, Eisen- und Kup­fer­hüt­ten statt. In Deutsch­land gibt es cir­ca 350 zer­ti­fi­zier­te Erst­be­hand­lungs­be­trie­be, die alte Elek­tro­ge­rä­te mecha­nisch zer­klei­nern und schad­stoff­hal­ti­ge Bau­tei­le an ande­re Ver­wer­ter wei­ter­ge­ben. Immer wie­der tau­chen aber auch ille­ga­le Müll­de­po­nien in Afri­ka und ande­ren Staa­ten auf, in denen E-Schrott ein­fach in der Natur ent­sorgt wur­de. Eini­ge west­li­che Indu­strie­na­tio­nen wie die USA, euro­päi­sche Län­der und Austra­li­en ver­schif­fen ihren Elek­tro­schrott häu­fig in Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­der. Geschätzt wird, dass 50 bis 80 Pro­zent des gesam­ten Elek­tro­schrotts der Indu­strie­län­der vor allem nach Asi­en und Afri­ka expor­tiert wer­den. Dort wird die­ser Schrott oft mit pri­mi­tiv­sten Mit­teln zer­trüm­mert, ver­brannt oder mit Säu­re behan­delt, und das mit erheb­li­chen gesund­heit­li­chen Schädigungen.

Ein funk­tio­nie­ren­des Elek­tro­schrott-Recy­cling-System müss­te die Her­stel­ler ver­pflich­ten ihre Pro­duk­te wie­der zurück­zu­neh­men, sie zu sam­meln, fach­ge­recht zu ent­sor­gen, und die Wie­der­ver­wen­dung der Gerä­te zu garantieren.

Ange­sichts der Kurz­le­big­keit von Elek­tro­ge­rä­ten und der ste­tig wach­sen­den Schrott­hal­de sah sich der Gesetz­ge­ber gezwun­gen, mit dem Elek­tro- und Elek­tronik­ge­rä­te­ge­setz (Elek­troG) gegen­zu­steu­ern. Mit die­sem Gesetz wur­de die euro­päi­sche WEEE-Richt­li­nie von 2003 in natio­na­les Recht über­führt. Erklär­tes Ziel war die Ver­mei­dung von Abfäl­len. Seit­dem ist der Händ­ler zur kosten­lo­sen Mit­nah­me und einer fach­ge­rech­ten Ent­sor­gung des Elek­tro­schrotts ver­pflich­tet. Ab Juli 2022 kön­nen zudem auch in Lebens­mit­tel­ge­schäf­ten und bei Dis­coun­tern alte Gerä­te abge­ge­ben wer­den, wenn die­se Elek­tro­ar­ti­kel ver­kau­fen. Bei Groß­ge­rä­ten wie z. B. bei Wasch­ma­schi­nen aller­dings nur im Gegen­zug, wenn der Kun­de ein gleich­wer­ti­ges Pro­dukt kauft. Per Kauf­ver­trag ist der Händ­ler ver­pflich­tet das Alt­ge­rät kosten­frei abzu­ho­len. Es ist uner­heb­lich, wo das Gerät ursprüng­lich gekauft wur­de. Auch einen Kas­sen­bon oder Kauf­be­leg ist hier­bei nicht nötig, die Rück­nah­me ist verpflichtend.

Der Kern der Pro­ble­ma­tik liegt weni­ger in der Opti­mie­rung des Ent­sor­gungs­sy­stems, son­dern in der Men­ge der pro­du­zier­ten Elek­tro­wa­ren. Wur­de in den 1990er Jah­ren ein Com­pu­ter noch sie­ben Jah­re lang genutzt, sind es aktu­ell im Durch­schnitt ledig­lich nur noch zwei Jah­re vor der Aus­mu­ste­rung. Bei einer immer schnel­ler wer­den­den Her­stel­lungs­dy­na­mik ist eine mög­lichst lang­le­bi­ge Ver­wen­dung nicht das Ziel. Die Men­ge des Pro­du­zier­ten legt aber die Grö­ßen­ord­nung des Schrott­pro­blems fest. Der not­wen­di­ge kli­ma­ge­rech­te Umbau der Wirt­schaft ent­steht aller­dings erst, wenn ein Groß­teil des Elek­tro­schrotts erst gar nicht pro­du­ziert wird. Die Macht pri­va­ter Akteu­re und der kapi­ta­li­sti­sche Wachs­tums­zwang wider­spre­chen aller­dings res­sour­cen­scho­nen­der Pro­duk­ti­on. Ohne die Umstel­lung und Trans­for­ma­ti­on der indu­stri­el­len Pro­duk­ti­on wird die Müll­pro­ble­ma­tik die Qua­dra­tur des Krei­ses blei­ben. Die Ver­fü­gungs- und Ent­schei­dungs­ge­walt pri­va­ter Kapi­tal­be­sit­zer muss in die gesell­schaft­li­che Hand über­führt wer­den, einer Ver­ge­sell­schaf­tung, die die direk­te Ein­fluss­nah­me und eine nach­hal­ti­ge Regu­lie­rung erst ermöglicht.

War in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten der Ver­kauf elek­tro­ni­scher Gerät­schaf­ten noch mit einer akzep­ta­blen Pro­fi­tra­te ver­bun­den, wird nun bei Ver­en­gung des Absatz­mark­tes und stocken­den Ver­kaufs­zah­len nach Mög­lich­kei­ten gesucht, die Pro­fi­tra­te durch die Ver­mei­dung von Unko­sten und einem künst­lich erzwun­ge­nem Kauf­ver­hal­ten auf hohem Niveau zu hal­ten. Von der Flau­te in den Flow.

War frü­her die Haupt­ur­sa­che für Ver­schrot­tung ein tech­ni­scher Defekt des Geräts, sind heu­te maß­geb­lich ande­re Grün­de für die Ver­schrot­tung ver­ant­wort­lich. Die Unbrauch­bar­keit von Gerä­ten ist oft bewusst implan­tiert und beab­sich­tigt. Vor­zei­ti­ges Altern oder der Aus­fall von Gerä­ten durch kon­stru­ier­te Maß­nah­men der Her­stel­ler füh­ren dazu, dass eine Instand­set­zung nicht mehr wirt­schaft­lich ist. Zum Bei­spiel wer­den an wär­me­in­ten­si­ven Bau­tei­len pla­stik-gefass­te Kabel vor­bei­ge­führt, was nach Ablauf kür­ze­ster Zeit zwangs­läu­fig zum Defekt füh­ren muss. Eine Metall­schut­zum­man­te­lung der Kabel wäre tech­nisch über­haupt kein Pro­blem, wird aber bewusst unter­las­sen. Die­se Art des Vor­ge­hens hat einen Namen: geplan­te Obso­les­zens. Nicht umsonst wer­den vie­le tech­ni­sche Gerä­te nach Ablauf der Garan­tie defekt.

Ver­schleiß­tei­le, die regel­mä­ßig aus­ge­tauscht wer­den müs­sen (Toner, Akkus), sind nach gewis­ser Zeit nicht mehr ver­füg­bar, sodass funk­tio­nie­ren­de Gerä­te ver­schrot­tet wer­den müs­sen. Ersatz­tei­le wer­den zu deut­lich über­höh­ten Prei­sen ange­bo­ten und ste­hen in kei­nem Ver­hält­nis zum Neu- oder Gebrauchs­wert des Elek­tro­ge­räts, um den Kun­den zum Neu­kauf zu ver­lei­ten. Älte­re Hard­ware von Mobil­te­le­fo­nen bei­spiels­wei­se ist mit neue­ren Betriebs­sy­stem­ver­sio­nen nicht mehr kom­pa­ti­bel. Neue­re Betriebs­sy­ste­me bei Com­pu­tern und Lap­tops benö­ti­gen eine inten­si­ve­re Lei­stung, die von der Hard­ware des genutz­ten Geräts nicht mehr erbracht wer­den kann.

Das System der per­ma­nen­ten Geld­ver­meh­rung braucht die Zer­stö­rung mate­ri­el­ler Güter, um wach­sen zu kön­nen. Immer wei­ter, immer schnel­ler, immer mehr. Das Karus­sell von Kauf und Ver­schrot­tung dreht sich immer rasan­ter, die Maxi­me eines Wirt­schafts­sy­stems, das kei­ne Gren­zen und kei­ne gesell­schaft­li­chen Wer­te akzep­tiert, son­dern nur Preise.