Zwischen Trump und Selenskyj kam es zum Eklat. Bar jeder Vernunft! Wir stellen fest, der Welt und Europa drohen in einem letzten Stoß durch die neu gewählte US-Regierung unter Donald Trump und seinen Anhängern eines radikalen Deal-Maker-Liberalismus der anarchische Zerfall, ein radikaler Umbau der Welt, bei dem Europas Friedensmöglichkeit auf der Strecke bleibt. Wesentliche Parameter sind: Ende des »kooperativen« und geistig-stillgelegten, parasitär-versorgenden, integrativen Staates. Parasitär, weil er sich selbst, durch die Regierenden und Konsumenten, fast ohne Widerstand im Wesentlichen, ausgehöhlt hat: ohne gute Bildung und damit ohne Denk-Partizipationsfähigkeit, ohne die eine Kooperationsfähigkeit zur Durchsetzung und Entwicklung von Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit nicht möglich ist. Klassenmäßig lässt sich die Rückkehr zur radikalkapitalistischen, anarchischen Variante an der Zerschlagung des Konsenses einer proklamierten politischen Mitte (die Wahrheit, die angeblich in der Mitte liege!) ablesen, früher sozialliberal-integrativer Reformismus, heute auch Fassadendemokratie genannt.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission beerdigt den Green Deal und entkernt regulierende Handelsabkommen zum Erhalt unseres konsumtiven Wohlstandsmodells (vor allem zugunsten der Vermögenden und der Finanzoligarchien). Es wird jetzt gedealt, auf seltene Erden im Tausch gegen militärische Unterstützung, Knechtung der Länder und der unteren Klassen zur Expansion der hegemonialen politischen und ökonomischen Klassen. Abkommen ohne soziale, ökologische und gesundheitspolitische Abfederung, massive Aufrüstung und Militarisierung werden beschlossen; Sondervermögen zur Militarisierung und der Finanzierung einer expansiven Rüstungsindustrie in Windeseile noch vom abgewählten Deutschen Bundestag diskutiert, und Hunderte Milliarden bar jeder Planung verpulvert. Norbert Röttgen, in die Jahre gekommener ewiger Kronprinz der CDU, aber medial wirkmächtiger Anwalt deutsch-atlantischer, weltpolitischer Gefügigkeit, bis Trump kam, verlangt jetzt öffentlich im Deutschlandfunk (26.2.) eine »Politik der Stärke« im Interesse Europas, dessen Schicksaal auf dem Spiel stehe. Eine Armee oft in den Vereinigten Staaten oder bei der Nato ausgebildeter Experten erklärt uns die Welt und ruft zum Kriege, zu den Waffen!
Ein von Götz Neuneck herausgegebenes Bändchen zum Krieg um die Ukraine, über Chancen und Herausforderungen für eine zukünftige Friedens- und Sicherheitspolitik könnte uns Abstand von solchem Verlangen ermöglichen – und Vernunft und (Selbst-)Kritik in Erinnerung rufen. Es beschreibt die Gefahren einstiger und aktueller Konfrontationspolitik, in welche die europäischen Gesellschaften von ihren Regierungen, die nur noch schwach legitimiert sind, erneut geführt werden sollen. Ihre Kriegsführungspropaganda gefährdet den Frieden und die Sicherheit Europas, obwohl Einhegung und Frieden der Auftrag unserer Verfassung sind. Die schwachen Regierungen führen jedoch die Politik der Aufrüstung, Militarisierung und Sanktionierung, eine »Feindpolitik«, fort. Sie treiben die Eskalation voran, die bis zum atomaren Gau führen kann.
Gustav Gressel ist einer dieser von den Medien und Gressels Arbeitgeber (European Council on Foreign Relations, ECFR) selbsternannten »Militärexperten«, die dafür weder eine Kompetenzprüfung ablegen mussten noch demokratisch legitimiert sind. Im »Rat« des ECFR sitzen über 300 ausgesuchte Europäer! Den Vorsitz führen derzeit, so heißt es, Carl Bildt, Lykke Friis und Norbert Röttgen. Zur strategischen Gemeinschaft des ECFR gehören amtierende Außenminister, ehemalige Ministerpräsidenten, Mitglieder nationaler Parlamente und des Europäischen Parlaments, EU-Kommissare, ehemalige Nato-Generalsekretäre, Denker, Journalisten und Wirtschaftsführer, allesamt nicht demokratisch legitimiert, sondern kraft Beziehungen im Machtgefüge – Personen, die ständig die deutschen Talkshows bevölkern, moderiert von einäugigen Moderatoren, die für gewöhnlich die »Gespräche« so führen, als wäre die äußere und innere Sicherheit akut und massiv »bedroht«, und damit zugleich eine Feindhaltung erzeugen, die notwendig ist, um überhaupt den Krieg in die Mitte Europa lenken zu können. Dessen Wahrscheinlichkeit – nach dem Trump-Selenskyj-Eklat –, glaubt man »unserem« Militärexperten Gressel, sei auf 60 Prozent gestiegen! Wenn nicht mit den USA, dann soll die Eskalation vom Rest-Europa betrieben werden, zur Rettung »unserer« Werte, wie das gerne und oft beschworen wird. Gefragt hat uns keiner! Der Historiker Sönke Neitzel sieht den letzten Sommer in Frieden für Deutschland kommen. Hellseher Masala, Bundeswehr-Uni München, probt schon mal in Form eines Fünfgroschenromans Provokationen und Angriffe auf das Baltikum. Alle erzeugen Angst und Hysterie anstatt über Deeskalation, geschweige denn Frieden nachzudenken.
Um wegzukommen von der Kriegshysterie zur Vernunft, lese man Neunecks Buch – und besonders Wolfgang Richters Beitrag: Der Oberst a. D. war lange Jahre in der OSZE tätig; selbstkritisch und aus verschiedenen Perspektiven kann er als Fachmann gelten, indem er wissenschaftliche Expertise in Methode und Theorie für das Ziel der Aufklärung nutzt – ganz im Sinne unseres Grundgesetzes: »In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen«. Auf gut der Hälfte des Sammelbandes analysiert Richter quellengesättigt und an den Fakten orientiert Vorbereitung, Kriegsverlauf, Ressourcen, Risiken und Folgerungen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seine differenzierte Analyse lässt erahnen, wie groß die Aufgabe sein wird, nicht den Kriegsideologen zu folgen, sondern aufzuzeigen, wie Europa und die Welt nicht in Anarchie versinken, sondern Kompromisse finden für mehr Sicherheit und am Ende eine kooperative Ordnung des Ausgleichs und des Friedens.
Die Persönlichkeiten für dieses notwendige Projekt sind allerdings noch kaum erkennbar. Viele Studien und Forschungen dazu liegen vor, die im Sammelband zum Tragen kommen. Sie halten Lösungsvorschläge vielfältiger Art parat: Jürgen Scheffran fragt, wie kooperative Sicherheit sich dem geopolitischen Machtdenken und den verschiedenen Machtkulturen der Imperien erwehren und eine Kultur der Kooperation geschaffen werden kann, um die Hauptkrisen der Menschheit zu lösen. Elemente dessen deutet auch der Beitrag des Generals a. D. Helmut W. Ganser an, indem er die Frage nach einem gelingenden kriegsverhindernden Konfliktmanagement aufwirft. Alle Beiträge sind nützlich bei der Bewältigung der ungleich größeren Aufgabe, den sich schnell ändernden politischen Herausforderungen zu folgen und den geistigen Müll kriegerischer Apologeten abzutrennen. Diese Absonderungen geistiger Aktivität bedürfen einer Einordnung und gleichzeitig angemessener Antworten gegen die Unterwerfung unter einen militarisierten Raubtier- und Sicherheitsstaat. Der Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges muss entgegengearbeitet, die Vernunft und die Kooperation ins Zentrum der Gesellschaften gerückt werden. Die Friedenskultur ist das Gegenteil der Kriegskultur. Der Frieden steht im Zentrum unserer Verfassung – nicht wegen des Zweiten Weltkriegs, sondern weil die gesellschaftlichen Kräfte in und außerhalb von Deutschland auf die Krisen der Weimarer Republik 1918 bis 1923 und 1929 bis 1933 nicht die angemessenen Antworten fanden. So liegt der Grund für die heutigen Kriege im nicht eingehaltenen Versprechen der Charta von Paris 1990 und den Kriegen dieses Jahrzehnts. Die Leugnung dieser Faktizität ist der Trick, um die Vergangenheit und die Folgen eigenen Tuns und Unterlassens, also eigene Verantwortungslosigkeit, nicht als Störung gegen die heute geforderte Kriegsführungsfähigkeit gegen sich virulent werden zu lassen. Das Büchlein sei allen angeraten; es kann den uns aufoktroyierten Schleier »im Krieg vereint« herunterreißen!
Götz Neuneck (Hg.): Europa und der Ukrainekrieg. Chancen und Herausforderungen für eine zukünftige Friedens- und Sicherheitspolitik, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024, 232 S., 20 €.