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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eklat im Weißen Haus

Zwi­schen Trump und Selen­skyj kam es zum Eklat. Bar jeder Ver­nunft! Wir stel­len fest, der Welt und Euro­pa dro­hen in einem letz­ten Stoß durch die neu gewähl­te US-Regie­rung unter Donald Trump und sei­nen Anhän­gern eines radi­ka­len Deal-Maker-Libe­ra­lis­mus der anar­chi­sche Zer­fall, ein radi­ka­ler Umbau der Welt, bei dem Euro­pas Frie­dens­mög­lich­keit auf der Strecke bleibt. Wesent­li­che Para­me­ter sind: Ende des »koope­ra­ti­ven« und gei­stig-still­ge­leg­ten, para­si­tär-ver­sor­gen­den, inte­gra­ti­ven Staa­tes. Para­si­tär, weil er sich selbst, durch die Regie­ren­den und Kon­su­men­ten, fast ohne Wider­stand im Wesent­li­chen, aus­ge­höhlt hat: ohne gute Bil­dung und damit ohne Denk-Par­ti­zi­pa­ti­ons­fä­hig­keit, ohne die eine Koope­ra­ti­ons­fä­hig­keit zur Durch­set­zung und Ent­wick­lung von Sozi­al­staat­lich­keit und Rechts­staat­lich­keit nicht mög­lich ist. Klas­sen­mä­ßig lässt sich die Rück­kehr zur radi­kal­ka­pi­ta­li­sti­schen, anar­chi­schen Vari­an­te an der Zer­schla­gung des Kon­sen­ses einer pro­kla­mier­ten poli­ti­schen Mit­te (die Wahr­heit, die angeb­lich in der Mit­te lie­ge!) able­sen, frü­her sozi­al­li­be­ral-inte­gra­ti­ver Refor­mis­mus, heu­te auch Fas­sa­den­de­mo­kra­tie genannt.

Die Prä­si­den­tin der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on beer­digt den Green Deal und ent­kernt regu­lie­ren­de Han­dels­ab­kom­men zum Erhalt unse­res kon­sum­ti­ven Wohl­stands­mo­dells (vor allem zugun­sten der Ver­mö­gen­den und der Finanz­olig­ar­chien). Es wird jetzt gedealt, auf sel­te­ne Erden im Tausch gegen mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung, Knech­tung der Län­der und der unte­ren Klas­sen zur Expan­si­on der hege­mo­nia­len poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Klas­sen. Abkom­men ohne sozia­le, öko­lo­gi­sche und gesund­heits­po­li­ti­sche Abfe­de­rung, mas­si­ve Auf­rü­stung und Mili­ta­ri­sie­rung wer­den beschlos­sen; Son­der­ver­mö­gen zur Mili­ta­ri­sie­rung und der Finan­zie­rung einer expan­si­ven Rüstungs­in­du­strie in Win­des­ei­le noch vom abge­wähl­ten Deut­schen Bun­des­tag dis­ku­tiert, und Hun­der­te Mil­li­ar­den bar jeder Pla­nung ver­pul­vert. Nor­bert Rött­gen, in die Jah­re gekom­me­ner ewi­ger Kron­prinz der CDU, aber medi­al wirk­mäch­ti­ger Anwalt deutsch-atlan­ti­scher, welt­po­li­ti­scher Gefü­gig­keit, bis Trump kam, ver­langt jetzt öffent­lich im Deutsch­land­funk (26.2.) eine »Poli­tik der Stär­ke« im Inter­es­se Euro­pas, des­sen Schick­saal auf dem Spiel ste­he. Eine Armee oft in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten oder bei der Nato aus­ge­bil­de­ter Exper­ten erklärt uns die Welt und ruft zum Krie­ge, zu den Waffen!

Ein von Götz Neuneck her­aus­ge­ge­be­nes Bänd­chen zum Krieg um die Ukrai­ne, über Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen für eine zukünf­ti­ge Frie­dens- und Sicher­heits­po­li­tik könn­te uns Abstand von sol­chem Ver­lan­gen ermög­li­chen – und Ver­nunft und (Selbst-)Kritik in Erin­ne­rung rufen. Es beschreibt die Gefah­ren ein­sti­ger und aktu­el­ler Kon­fron­ta­ti­ons­po­li­tik, in wel­che die euro­päi­schen Gesell­schaf­ten von ihren Regie­run­gen, die nur noch schwach legi­ti­miert sind, erneut geführt wer­den sol­len. Ihre Kriegs­füh­rungs­pro­pa­gan­da gefähr­det den Frie­den und die Sicher­heit Euro­pas, obwohl Ein­he­gung und Frie­den der Auf­trag unse­rer Ver­fas­sung sind. Die schwa­chen Regie­run­gen füh­ren jedoch die Poli­tik der Auf­rü­stung, Mili­ta­ri­sie­rung und Sank­tio­nie­rung, eine »Feind­po­li­tik«, fort. Sie trei­ben die Eska­la­ti­on vor­an, die bis zum ato­ma­ren Gau füh­ren kann.

Gustav Gres­sel ist einer die­ser von den Medi­en und Gres­sels Arbeit­ge­ber (Euro­pean Coun­cil on For­eign Rela­ti­ons, ECFR) selbst­er­nann­ten »Mili­tär­ex­per­ten«, die dafür weder eine Kom­pe­tenz­prü­fung able­gen muss­ten noch demo­kra­tisch legi­ti­miert sind. Im »Rat« des ECFR sit­zen über 300 aus­ge­such­te Euro­pä­er! Den Vor­sitz füh­ren der­zeit, so heißt es, Carl Bildt, Lykke Fri­is und Nor­bert Rött­gen. Zur stra­te­gi­schen Gemein­schaft des ECFR gehö­ren amtie­ren­de Außen­mi­ni­ster, ehe­ma­li­ge Mini­ster­prä­si­den­ten, Mit­glie­der natio­na­ler Par­la­men­te und des Euro­päi­schen Par­la­ments, EU-Kom­mis­sa­re, ehe­ma­li­ge Nato-Gene­ral­se­kre­tä­re, Den­ker, Jour­na­li­sten und Wirt­schafts­füh­rer, alle­samt nicht demo­kra­tisch legi­ti­miert, son­dern kraft Bezie­hun­gen im Macht­ge­fü­ge – Per­so­nen, die stän­dig die deut­schen Talk­shows bevöl­kern, mode­riert von ein­äu­gi­gen Mode­ra­to­ren, die für gewöhn­lich die »Gesprä­che« so füh­ren, als wäre die äuße­re und inne­re Sicher­heit akut und mas­siv »bedroht«, und damit zugleich eine Feind­hal­tung erzeu­gen, die not­wen­dig ist, um über­haupt den Krieg in die Mit­te Euro­pa len­ken zu kön­nen. Des­sen Wahr­schein­lich­keit – nach dem Trump-Selen­skyj-Eklat –, glaubt man »unse­rem« Mili­tär­ex­per­ten Gres­sel, sei auf 60 Pro­zent gestie­gen! Wenn nicht mit den USA, dann soll die Eska­la­ti­on vom Rest-Euro­pa betrie­ben wer­den, zur Ret­tung »unse­rer« Wer­te, wie das ger­ne und oft beschwo­ren wird. Gefragt hat uns kei­ner! Der Histo­ri­ker Sön­ke Neit­zel sieht den letz­ten Som­mer in Frie­den für Deutsch­land kom­men. Hell­se­her Masa­la, Bun­des­wehr-Uni Mün­chen, probt schon mal in Form eines Fünf­gro­schen­ro­mans Pro­vo­ka­tio­nen und Angrif­fe auf das Bal­ti­kum. Alle erzeu­gen Angst und Hyste­rie anstatt über Dees­ka­la­ti­on, geschwei­ge denn Frie­den nachzudenken.

Um weg­zu­kom­men von der Kriegs­hy­ste­rie zur Ver­nunft, lese man Neunecks Buch – und beson­ders Wolf­gang Rich­ters Bei­trag: Der Oberst a. D. war lan­ge Jah­re in der OSZE tätig; selbst­kri­tisch und aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven kann er als Fach­mann gel­ten, indem er wis­sen­schaft­li­che Exper­ti­se in Metho­de und Theo­rie für das Ziel der Auf­klä­rung nutzt – ganz im Sin­ne unse­res Grund­ge­set­zes: »In einem ver­ein­ten Euro­pa dem Frie­den der Welt zu die­nen«. Auf gut der Hälf­te des Sam­mel­ban­des ana­ly­siert Rich­ter quel­len­ge­sät­tigt und an den Fak­ten ori­en­tiert Vor­be­rei­tung, Kriegs­ver­lauf, Res­sour­cen, Risi­ken und Fol­ge­run­gen von Russ­lands Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne. Sei­ne dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­se lässt erah­nen, wie groß die Auf­ga­be sein wird, nicht den Kriegs­ideo­lo­gen zu fol­gen, son­dern auf­zu­zei­gen, wie Euro­pa und die Welt nicht in Anar­chie ver­sin­ken, son­dern Kom­pro­mis­se fin­den für mehr Sicher­heit und am Ende eine koope­ra­ti­ve Ord­nung des Aus­gleichs und des Friedens.

Die Per­sön­lich­kei­ten für die­ses not­wen­di­ge Pro­jekt sind aller­dings noch kaum erkenn­bar. Vie­le Stu­di­en und For­schun­gen dazu lie­gen vor, die im Sam­mel­band zum Tra­gen kom­men. Sie hal­ten Lösungs­vor­schlä­ge viel­fäl­ti­ger Art parat: Jür­gen Schef­fran fragt, wie koope­ra­ti­ve Sicher­heit sich dem geo­po­li­ti­schen Macht­den­ken und den ver­schie­de­nen Macht­kul­tu­ren der Impe­ri­en erweh­ren und eine Kul­tur der Koope­ra­ti­on geschaf­fen wer­den kann, um die Haupt­kri­sen der Mensch­heit zu lösen. Ele­men­te des­sen deu­tet auch der Bei­trag des Gene­rals a. D. Hel­mut W. Gan­ser an, indem er die Fra­ge nach einem gelin­gen­den kriegs­ver­hin­dern­den Kon­flikt­ma­nage­ment auf­wirft. Alle Bei­trä­ge sind nütz­lich bei der Bewäl­ti­gung der ungleich grö­ße­ren Auf­ga­be, den sich schnell ändern­den poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen zu fol­gen und den gei­sti­gen Müll krie­ge­ri­scher Apo­lo­ge­ten abzu­tren­nen. Die­se Abson­de­run­gen gei­sti­ger Akti­vi­tät bedür­fen einer Ein­ord­nung und gleich­zei­tig ange­mes­se­ner Ant­wor­ten gegen die Unter­wer­fung unter einen mili­ta­ri­sier­ten Raub­tier- und Sicher­heits­staat. Der Zer­stö­rung der Ver­nunft in Zei­ten des Krie­ges muss ent­ge­gen­ge­ar­bei­tet, die Ver­nunft und die Koope­ra­ti­on ins Zen­trum der Gesell­schaf­ten gerückt wer­den. Die Frie­dens­kul­tur ist das Gegen­teil der Kriegs­kul­tur. Der Frie­den steht im Zen­trum unse­rer Ver­fas­sung – nicht wegen des Zwei­ten Welt­kriegs, son­dern weil die gesell­schaft­li­chen Kräf­te in und außer­halb von Deutsch­land auf die Kri­sen der Wei­ma­rer Repu­blik 1918 bis 1923 und 1929 bis 1933 nicht die ange­mes­se­nen Ant­wor­ten fan­den. So liegt der Grund für die heu­ti­gen Krie­ge im nicht ein­ge­hal­te­nen Ver­spre­chen der Char­ta von Paris 1990 und den Krie­gen die­ses Jahr­zehnts. Die Leug­nung die­ser Fak­ti­zi­tät ist der Trick, um die Ver­gan­gen­heit und die Fol­gen eige­nen Tuns und Unter­las­sens, also eige­ne Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit, nicht als Stö­rung gegen die heu­te gefor­der­te Kriegs­füh­rungs­fä­hig­keit gegen sich viru­lent wer­den zu las­sen. Das Büch­lein sei allen ange­ra­ten; es kann den uns auf­ok­troy­ier­ten Schlei­er »im Krieg ver­eint« herunterreißen!

Götz Neuneck (Hg.): Euro­pa und der Ukrai­ne­krieg. Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen für eine zukünf­ti­ge Frie­dens- und Sicher­heits­po­li­tik, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, Hal­le 2024, 232 S., 20 €.