Überraschend viele Menschen haben sich an der Bundestagswahl beteiligt. 82 Prozent haben sich für die Wirtschafts- und Sozialpolitik von Parteien entschieden, die entweder bisher schon für wachsende Armut, katastrophale Ungleichheit und die Zerstörung der Existenzsicherung gesorgt haben oder für die Verschärfung dieser Verhältnisse stehen: SPD, Grüne, FDP, CDU/CSU, AfD. Obwohl Umfragen ganz andere Präferenzen zeigen, gaben ebenso viele Wählerinnen und Wähler ihre Stimme für deren Kriegshetze, für die Militarisierung der Gesellschaft und für ein waffenstarrendes imperiales Deutschland: eine breite Einheitsfront für Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit. (Wobei die AfD Russland nicht militärisch besiegen, sondern wirtschaftlich ruinieren will.) 88 Prozent haben Parteien gewählt, die das Thema Migration und die Abwehr von Flüchtlingen zum zentralen Anliegen der Politik gepusht und damit erfolgreich von den drängenden Problemen der Menschen abgelenkt und Sündenböcke für alle sozialen Missstände angeboten haben.
Da bleibt kein Platz für Friedenspolitik, zumal von den beiden Parteien, von denen man einen Einsatz erwartet hätte, wenig Überzeugendes kam: Von der erstaunlich erfolgreichen Linkspartei waren in den letzten Jahren bestenfalls widersprüchliche Stellungnahmen zu hören, Aufrufe für Friedensverhandlungen und -demonstrationen wurden sogar verweigert. Und das BSW legte den Schwerpunkt seiner Wahlkampagne auf Flüchtlingsabwehr und paktierte dabei mit CDU und AfD. Sein enttäuschendes Wahlergebnis ist wohl die Quittung dafür.
Das Wahlvolk muss sich jetzt auf einen neuen Bundeskanzler Friedrich Merz einstellen, der bis 2020 Aufsichtsratschef des elf Billionen schweren Finanzimperiums BlackRock Deutschland war, zahlreichen anderen Konzernen, Lobbyverbänden und Banken gedient hat und der noch im Dezember bei Präsident Selenskyj versprochen hat, der Ukraine Taurus-Raketen zu liefern. Sein wahrscheinlicher Vize Boris Pistorius (SPD) tritt für die Stationierung weitreichender US-Waffensysteme in Deutschland ein: Raketen, Marschflugkörper und Hyperschallwaffen. Er macht damit das Land zum ersten Ziel von Atomwaffen im Krisenfall. Gibt es gegen die Einheitsfront von Vertretern der Klassengesellschaft und der Kriegspolitik eine konsequente Opposition von Gewicht?
Werfen wir einen Blick in die Wahlprogramme der Linkspartei und des BSW. Die ersten fünf Ziele (von zwanzig) der Linkspartei befassen sich mit sozialen Themen: Lebenshaltungskosten, Wohnen, Steuern, soziale Sicherheit und Gesundheit. Mögen in der Analyse der Ursachen und notwendiger Konsequenzen einige Unterschiede bestehen, so ist doch die Schnittmenge der Ziele der beiden Parteien in diesem Bereich groß. Überraschend: Ähnliches gilt für die Friedenspolitik. Die Differenzen der letzten Jahre haben zur Spaltung geführt; bis heute sind sie nicht aufgearbeitet. Trotzdem und umso mehr gilt: Für die Entwicklung einer gemeinsamen Politik für Abrüstung, gemeinsame Sicherheit und Zusammenarbeit – gemeinsam mit dazu bereiten Sozialdemokraten und vor allem mit Aktiven der Friedensbewegung – besteht ein starkes Bedürfnis und ein dringender Bedarf; sie ist überfällig und von existenzieller Bedeutung.
Hat man bisher die Linkspartei wegen ihrer friedenspolitischen Zurückhaltung kritisieren müssen, gilt jetzt, ausformuliert im Programm, entschieden: Friedensinitiativen sind nötig! Die Linkspartei tritt für Abrüstung und Verweigerung der Raketenstationierung ein; sie spricht sich gegen Auslandseinsätze, nukleare Teilhabe und Waffenlieferungen an Israel, für ein Verbot von Rüstungsexporten und für drastische Senkung der Rüstungsausgaben aus. Und sie will alle Abrüstungsbemühungen von unten unterstützen. Da gibt es hohe Übereinstimmung mit BSW und Friedensinitiativen. Man möchte beide Parteien auffordern: Hört die Signale! Wer sonst soll die totale Irrationalität der Politik und den Wahnsinn der Kriegslogik bekämpfen und dafür das Volk mobilisieren? Gerade jetzt, wenn endlich Friedensverhandlungen beginnen, wollen Selenskyj, Deutschland und die EU hunderte Milliarden für Krieg in der Ukraine aufbringen! Wollen die originären Friedensparteien die historischen Fehler wiederholen, also das Versagen vor dem ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik, beim Erstarken des Faschismus, aber auch bei der Nato-Osterweiterung und der Unterstützung der Weltmachtansprüche der USA?
Originalton US-Präsident Trump: »Ein mäßig erfolgreicher Komiker, Wolodymyr Selenskyj, hat die Vereinigten Staaten von Amerika dazu überredet, 350 Milliarden Dollar auszugeben, um in einen Krieg zu ziehen, der nicht gewonnen werden kann, der nie hätte begonnen werden müssen.« Er warf Selenskyjs Regierung vor, für den Ausbruch und die Dauer des Krieges verantwortlich zu sein. Das trifft auch für Deutschland und die EU zu. Aber diese wollen die Ukraine – genauer: Selenskyj – den Stellvertreterkrieg mit ungeheurem Aufwand weiterführen lassen. Nun, die USA sind bekanntlich keine Friedensengel. Trump sagt in brutaler Offenheit: Wir wollen von der Ukraine »alles, was wir kriegen können«. Und das ist nicht wenig: 500 Milliarden US-Dollar in Form von verschiedenen Rohstoffen (Lithium, Uran, Titan, Graphit, Kobalt und Kupfer) und die Hälfte aller Exporterlöse aus Verkäufen an Drittstaaten. Die EU könne ja den Aufbau des ruinierten Landes finanzieren. Aber die EU und Deutschland wollen durch ihre Waffenlieferung erreichen, an der Beute beteiligt zu werden. Weitere Milliarden für Waffen mit Hunderttausenden Menschenopfern kann nur eine kluge, engagierte Opposition verhindern. BSW und Linkspartei haben eine historische Verantwortung.
Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Rüstungskonzernen verlangen von der nächsten Bundesregierung, die Hochrüstung der Bundeswehr zu forcieren und die Bevölkerung zur aktiven Unterstützung der Militarisierung der Gesellschaft zu veranlassen. Politiker wie Roderich Kiesewetter, CDU, müssen nicht überredet werden: Auch fünf Prozent des BIP fürs Militär seien berechtigt – dies wären 215 Milliarden Euro oder 44 Prozent des Bundeshaushaltes 2024. Wer soll das bezahlen? Die mächtige Lobbygruppe INSM – ein Gründungsmitglied war Friedrich Merz – weiß die Lösung: Einerseits Steuersenkungen für Superreiche und Konzerne, andererseits radikale Kürzungen öffentlicher Ausgaben für Soziales und fürs Klima.
Alle, die gegen diese Zumutungen und gegen die Staatsräson zu protestieren wagen, erfahren wachsende Repression. Die UN-Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, durfte ihren Vortrag in München nicht halten, auch in Berlin wurden die Räume auf politischen Druck gekündigt: Antisemitismusgefahr! Als ihr die Tageszeitung junge Welt Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, sieht sich die UN-Vertreterin einem Großaufgebot militärisch bewaffneter Polizei gegenüber; das Gebäude ist von Polizeifahrzeugen umstellt, denn man rechne mit »Äußerungsstraftaten«. Albanese charakterisiert die Drohkulisse und ihre Erfahrungen in Deutschland: »Druck, Einschüchterung und Mafia-Taktik«.
Der politische Kampf gegen diese Politik der Militarisierung, Ausbeutung und Repression kann mit Aussicht auf Erfolg nur zusammen, nicht gegeneinander geführt werden, parlamentarisch und außerhalb des Parlaments. Während Linken-Spitzenkandidat van Aken auch jetzt noch giftet, die »Kremlfreunde in unserer Partei haben diese zum Glück verlassen«, leckt das BSW die Wunden, die das Wahlergebnis geschlagen hat. Selbstkritik beider Parteien ist fällig und Stärke nötig, gegenseitige Verletzungen und Enttäuschungen zurückzustellen. Nur zusammen sind sie in der Lage, ein relevantes Gegenprogramm zur Politik der neuen Bundesregierung zu entwickeln und dafür überzeugend zu mobilisieren.
Die furiose Rede von Heidi Reichinnek (Linkspartei) im Bundestag bot ein kämpferisches Bild. Es trug zum überraschenden Gewinn bei der Wahl ebenso bei wie das engagierte Mobilisieren seitens der Mitglieder. Aber es gilt festzuhalten: Die öffentlichkeitswirksame Aufklärung von BSW-PolitikerInnen wie Michael Lüders, Fabio De Masi, Sevim Dağdelen oder Michael von der Schulenburg haben eine enorme Bedeutung als Gegengewicht zur vorherrschenden Manipulation und Desinformation der großen Medien. Der Kampf gegen Rechtsentwicklung und Militarismus braucht beide Standbeine: genaue politische Analyse und Mobilisierung. Linkspartei und BSW werden nur gemeinsam für Frieden und gegen Militarisierung und faschistische Tendenzen im neoliberal radikalisierten Kapitalismus wirksam kämpfen können.