Brigitte Reimann (1933-1973) ist früh verstorben, aber unvergessen. Sie gehörte zu der neuen Generation von DDR-Autoren, die sich vor allem für ihre unmittelbare Wirklichkeit interessierten. Sie wollte das Neue, Andere mitaufbauen und gestalten. So begab sie sich mit ihrem zweiten Ehemann Siegfried Pitschmann auf den »Bitterfelder Weg«, arbeitete und lebte in Hoyerswerda, einem Brennpunkt sozialistischen Aufbaus. Romane wie »Ankunft im Alltag« (1961) oder »Die Geschwister« (1963) stammen aus dieser Zeit und sind Zeugnisse ihres Interesses an der Gegenwart. Flott geschrieben und offiziell gelobt.
Enttäuscht von der Realität zog sie sich zurück nach Neubrandenburg und arbeitete – von Krankheitsschüben unterbrochen – bis zuletzt an ihrem großen Roman »Franziska Linkerhand«, der Geschichte einer jungen Architektin, die ihren Traum eines menschlichen, freundlichen Miteinanders sowohl im privaten Leben als auch beim Bauen einer neuen Stadt zu erfüllen sucht und scheitert. Der Roman blieb unvollendet, war aber ein großer Wurf, weil er das Lebensgefühl vieler Leser traf sowie durch Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit überraschte.
Nach der Wende geriet das Werk der Brigitte Reimann nicht wie das vieler anderer ihrer Kollegen in Vergessenheit, im Gegenteil: Die Veröffentlichung ihrer Tagebücher wurde zum literarischen Ereignis. Ungeschminkt hatte die Autorin über ihre Erlebnisse in der DDR geschrieben, von Enttäuschungen und Begegnungen berichtet und auch ihr Liebesleben nicht ausgelassen. Sie war vier Mal verheiratet und hatte eine Menge Affären. Leidenschaftlich und temperamentvoll hatte sie nach ihrem Glück gesucht und es nicht gefunden.
Ihr Kollege Günter de Bruyn (1926-2020) war da von anderem Geblüt. Still und meist zurückgezogen lebte er in Berlin und in der Mark. Seine besten Romane (unter anderem »Buridans Esel« 1963, »Preisverleihung« 1972 und »Neue Herrlichkeiten«1984) und Erzählungen sind kleine Kabinettstücke, in denen er das Leben und die Menschen seines Landes sowohl liebevoll als auch kritisch (ironisch) betrachtete. Intensiv widmete er sich auch der Literaturgeschichte und entdeckte Autoren der 18. und 19. Jahrhundert neu. Günter de Bruyn scheute die Öffentlichkeit, es gibt – außer seiner Autobiografien – von ihm wenige Bekenntnisse, über sein Privatleben wurde kaum etwas bekannt.
Dass diese beiden unterschiedlichen Menschen Kontakt miteinander pflegten, sich nicht gleichgültig waren, weiß man aus wenigen versteckten Bemerkungen in Reimanns Tagebüchern. Nun wird die Beziehung durch die Literaturwissenschaftlerin Carola Wiemers öffentlich gemacht, und es sind überraschende Momente, die die wenigen Briefe offenbaren: Brigitte Reimann ist keineswegs immer die überall Aufsehen erregende und im Mittelpunkt stehende schöne Frau gewesen, sie konnte auch schüchtern und ängstlich sein, und Günter de Bruyn war nicht nur der Einsiedler, der sich um andere nicht kümmerte. Behutsam näherten sie sich einander an, berieten sich und erkannten einander. Wenn Günter de Bruyn anlässlich eines Fernsehfilms über Brigitte Reimann, 30 Jahre nach ihrem Tod, seine Enttäuschung über die Einseitigkeit des Films in seinem Tagebuch ausdrückt, beschreibt er sein weitaus komplexeres Bild der Freundin: »Zum wahren B.-R.-Bild gehört aber: 1. ihre körperliche Behinderung 2. ihre (sich aus der 1 ergebende) Suche, geliebt zu werden. Um das zu erreichen, war sie chamäleonartig. Sie wurde immer zu der Frau, die sie, wie sie meinte, sein müsste, um geliebt zu werden.«
Das sorgsam edierte Bändchen »entdeckt« intime Momente der DDR-Literaturgeschichte.
Ein fertiges Buch ist ein Argument. Brigitte Reimann und Günter de Bruyn in Briefen. Herausgegeben von Carola Wiemers, Quintus Verlag, 112 S., 20 €.